Kirchenbauwerke gehรถren in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfรคltige Bedeutung.
Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen โ und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.
Die Reformierte Kirche war das zweite Kirchengebรคude der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Dresden. Sie stand am Friedrichsring (ehemals Ringstraรe 17 b, heute Dr.-Kรผlz-Ring) in der Altstadt. Die zwischen 1892 und 1894 im Stil der Neoromanik erbaute Kirche entstand nach Plรคnen von Harald Julius von Bosse.
Ab 1669 gab es in Dresden die Evangelisch-reformierte Gemeinde hugenottischer Glaubensflรผchtlinge. Die Gottesdienste โ ursprรผnglich in franzรถsischer Sprache โ gab es ab 1767 auch in deutscher Sprache. 1826 wurde aus der deutsch-franzรถsischen eine deutsche Gemeinde.
Am 16. August 1764 erhielt die Gemeinde die Erlaubnis zum Bau eines โBethauses fรผr die private Religionsausรผbungโ auf dem kurfรผrstlichen Grundstรผck des vormaligen Fraumutterhauses in der Kreuzgasse 12. Das von Samuel Gotthelf Locke (1710โ1773) entworfene Kirchengebรคude wurde ab 1767 fรผr Gottesdienste genutzt.
Am 25. August 1772 erklang im Kirchgebรคude erstmals die von den Silbermann-Schรผlern David Schubert und Adam Gottfried Oehme geschaffene Orgel, โein zierliches Rokokowerk, mit weiรem und goldenem Gehรคuse umgebenโ. Sie fand spรคter in der Kirche Mahlis bei Oschatz ihr neues Zuhause.
Die Kirche wurde bis 1894 genutzt, dann wegen des Neubaus des Dresdner Rathauses abgebrochen. Die Gemeinde erhielt im Tausch gegen Grundstรผck und Gebรคude in der Kreuzgasse ein Grundstรผck auf dem ehemaligen Festungswerk (nachmaliger Garten von Schall), wo das zweite Gotteshaus am aufgeschรผtteten ehemaligen Festungsgraben entstand.
Den Entwurf fรผr diesen Sakralbau schuf der Architekt Harald Julius von Bosse (1812โ1894), er war Mitglied der Evangelisch-reformierten Gemeinde. Der Grundstein wurde am 14. Juni 1892 gelegt, der Erรถffnungsgottesdienst war am 7. Mรคrz 1894 โ drei Tage vor dem Tod des Architekten.

Der Baustil war historistisch im Sinne des Kalvinismus, der Baukรถrper einschiffig ohne Glockenturm und mit zwei Dachreitern. Das Bauwerk hatte die Eigenstรคndigkeit kalvinistischer Sakralbauten: Turmlosigkeit, Unkompliziertheit des Baukรถrpers bei Klarheit des Innenraumes, zentralistische Raumtendenz mit kurzem Innenraum und Verzicht auf den Chorraum.
Die Kanzel mit dem Tisch stand in der Mittelachse des Kirchensaals. Die Kirche war als kompakter Klinkerbau mit reicher Flรคchengliederung รผber dem Sockel gestaltet, sie hatte zahlreiche Sandsteinstufenportale sowie Rundbogen-Fenster. Die Lรคngsseiten markierten mit je drei hรถheren und breiteren Fenstern den Saal รผber der Empore.
รber dem Eingangsportal zierte eine Fensterrose den Westgiebel. Das mit Schiefer gedeckte Satteldach schmรผckten drei Reihen stehender Gauben sowie First- und Ecktรผrmchen. Der รถstliche Gebรคudeteil war etwas zurรผckgesetzt und beherbergte die groรe Sakristei im Erdgeschoss, die Kรผsterwohnung im ersten und den Konfirmandensaal im zweiten Obergeschoss.
Durch das Hauptportal an der Westseite ging es in die Vorhalle an der Saalrรผckseite mit den Emporentreppen. รber der Vorhalle war die groรe hintere Empore. Der Versammlungsraum der Gemeinde war eine dreischiffige, dreijochige Halle mit flacher Holzdecke und runden Gurtbรถgen auf Sรคulen mit Wรผrfelkapitellen.
In der Breite der schmalen Seitenschiffe waren niedrige Holzemporen eingebaut. Die Orgel- und Sรคngerempore befand sich รผber der Kanzel. Es gab 710 Sitzplรคtze. 1894 schuf die Firma Sauer aus Frankfurt/Oder die Orgel im Stile der Hochromantik auf der Chorempore im eichenbraunen Holzgehรคuse. Sie hatte 34 Register auf zwei Manualen und Pedal.
In der Bombennacht vom 13. Februar 1945 wurde das Gotteshaus stark beschรคdigt. Die Kirchgemeinde machte sich fest entschlossen an die Arbeit: 1947 und 1948 wurde in das beschรคdigte Gebรคude unter schwierigen Bedingungen ein Behelfsdach eingezogen โ um fast die Hรคlfte niedriger als zuvor.
In dieser Notkirche fand Weihnachten 1948 wieder der erste Gottesdienst seit dem Bombardement statt. Diese provisorische Kirche โ die Gemeinde wรผnschte sich natรผrlich ihren Wiederaufbau in alter Schรถnheit โ diente als reformiertes Gotteshauses vom 19. Februar 1949 bis ins Jahr 1956.
Am 19. November 1949 erklang erstmals die neue Orgel der Gebrรผder Jehmlich. Mit der Disposition des Kreuzkirchen-Organisten Herbert Collum war sie die erste Orgel in Dresdens Innenstadt nach 1945.
Ihr edler Klangcharakter und ihre auf Klarheit und Farbigkeit ausgerichtete Klangstruktur machte sie ideal fรผr Bachs Musik โ sie hieร daher bald โBach-Orgelโ. 1957 kam die Orgel in Dresdens Kreuzkirche und kehrte 1964 in die Gemeinde zurรผck โ in das nunmehrige Gotteshaus der evangelisch-reformierten Kirche an der Brรผhlschen Terrasse.
Diese dritte Heimstรคtte am Brรผhlschen Garten 4 bezog die Gemeinde 1956: Das sogenannte Hofgรคrtnerhaus am Ende der Brรผhlschen Terrasse, ebenfalls am 13. Februar 1945 ausgebrannt, wurde unter der Leitung des Gemeindemitgliedes Heinrich Rettig wieder aufgebaut und am 27. Oktober 1956 รผbergeben.
Das neue Gemeindezentrum wurde โ nach geschickten Tauschverhandlungen des damaligen Pfarrers August de Haas โ mit Kirchsaal, Verwaltungs- und Gemeinderรคumen, Hausmeister-Wohnung und einem Seniorenheim mit 30 kleinen Einzelzimmern errichtet. Mit groรzรผgiger finanzieller Unterstรผtzung vom Hilfswerk Evangelischer Kirchen in der Schweiz konnte es im Juli 1957 vollendet werden.
1956 zog die Gemeinde aus ihrer bisherigen Kirche aus. Sie wurde fรผnf Jahre spรคter โ ausgerรผstet mit privaten Mรถbelstรผcken, ausrangierten Kino-Klappstรผhlen und einem spendierten Flรผgel โ zur Kleinkunst-Bรผhne des Kabaretts โDie Herkuleskeuleโ. Am 1. Mai 1961war mit dem Programm โKeine Witzbeschwerdenโ erste Premiere im improvisierten Kultur-Tempel; er wurde bis 1963 genutzt.
Als diese Kirche von der Stadt zum Abbruch vorgeschlagen wurde, lieร sich Dresdens Oberbรผrgermeister dies im August 1962 vom Bรผro der SED-Bezirksleitung bestรคtigen. Fรผr den Abbruch wurden Kosten von 90.000 Mark veranschlagt.
Im Jahr 1963 wurde das Gotteshaus gesprengt, auf dem Grundstรผck war mehr als vierzig Jahre bis 2007 eine Grรผnflรคche. Inzwischen steht dort ein Hotel.
Koordinaten: 51ยฐ 2โฒ 52โณ N, 13ยฐ 44โฒ 18โณ O
Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Reformierte_Kirche_(Dresden)
https://www.ev-ref-gem-dresden.de/gc_gemeindegeschichte.htm
https://www.dresden.de/media/pdf/denkmal/verlorene-kirchen-2018_web.pdf
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