Kirchenbauwerke gehรถren in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfรคltige Bedeutung.

Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen โ€“ und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.

Die Sankt-Jakobi-Kirche stand in Magdeburgs Stadtteil Altstadt, am nรถrdlichen Ende der JakobstraรŸe auf der westlichen StraรŸenseite, zwischen heutigem Trรคnsberg und BlauebeilstraรŸe.
Das Datum der Grundsteinlegung ist unbekannt, sie war wohl zwischen 1213 und 1230 unter Erzbischof Albrecht I. von Kรคfernburg.

Ihre erste urkundliche Erwรคhnung war am 13. Mai 1243. Im Jahr 1381 gab es den Neubau des Kirchenschiffs โ€“ vermutlich war das ursprรผngliche Bauwerk zu klein geworden. Es entstand Magdeburgs grรถรŸte Pfarrkirche: Sie war die weitaus bedeutendste Kirchenanlage der Elbe-Stadt โ€“ sowohl von der Flรคche des รผberbauten Raums und von der Spannweite des Mittelschiffs.

Im Jahr 1402 wurde der Sรผdturm der Kirche erwรคhnt: Seine Glocke lรคutete zum Handwerker-Aufstand. Zu Ostern 1438, immerhin 57 Jahre nach dem erneuten Baubeginn, wurde die Kirche eingewรถlbt. 1459 lรคuteten die Glocken der Jakobi-Kirche erneut Sturm zum Aufstand. Den Nordturm der Kirche vollendete nach zweijรคhriger Bauzeit 1497 Ratszimmermeister Hans Knoche.

Sankt-Jakobi-Kirche Magdeburg 1550, rechts der Nordturm mit den Kanonen. Abbildung gemeinfrei, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:JakobikircheMD1551.jpg
Sankt-Jakobi-Kirche Magdeburg 1550, rechts der Nordturm mit den Kanonen. Abbildung gemeinfrei, Quelle: https://commons.wikimedia.org

Besondere Bedeutung erlangte die Kirche mit ihren beiden Tรผrmen 1550/1551 bei der Verteidigung der Stadt โ€“ sie wurde zu โ€žMagdeburgs Retterinโ€œ: Unter Fรผhrung des Kurfรผrsten Moritz von Sachsen eroberten feindliche Truppen in der Nacht vom 28. auf den 29. November 1550 Magdeburgs Neustadt und belagerten Magdeburg.

Die Verteidiger brachten daraufhin am 10. Dezember Geschรผtze auf den Nordturm der Kirche, der Bรผchsenmacher Andreas Kritzmann erรถffnete damit erfolgreich das Feuer auf die feindlichen Truppen. Bei der Erwiderung des Feuers wurde die Kirche erheblich beschรคdigt.

Aufgrund des Dauerbeschusses wurde der Nordturm so beschรคdigt, dass seine Spitze in der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 1551 von den Magdeburgern mit Stricken zu Boden gebracht wurde. Am 15. Mรคrz stรผrzte er ein und fiel auf die Kirche und zerschlug das Gewรถlbe. Die Verteidigung jedoch war erfolgreich, die Belagerung scheiterte.

Am 21. August 1552 riss ein Sturm die Spitze des Sรผdturms herunter, wobei der sรผdliche Teil der Kirche ebenfalls stark zerstรถrt wurde. 1557 wurde erstmals wieder ein Gottesdienst in der Kirche gehalten. Im Jahr 1564 hatte der Sรผdturm wieder eine kleinere Spitze, das letzte Gewรถlbe wurde geschlossen.

Die Orgel โ€“ erschaffen von Hamburgs Orgelbauern Jacob Scherer und Hans Bockelmann โ€“ erklang erstmals am 8. August 1568. Der Nordturm war weiterhin in ruinรถsem Zustand.

Ab 1581 wurde der Turm mit erheblicher Unterstรผtzung von Magistrat und Bรผrgerschaft wieder aufgebaut. Herzog Julius von Braunschweig spendete die zum Decken des Kirchturms erforderlichen 600 Zentner (= 30.000 Kilogramm) Blei, der Turm trug daher den Namen Julius-Hut. Fertigstellung war 1583.

1613 schlug zwischen den beiden Tรผrmen ein Blitz ein. Schwere Zerstรถrungen folgten 1631 bei der Erstรผrmung der Stadt im DreiรŸigjรคhrigen Krieg von Truppen unter Fรผhrung von Johann Tโ€™Serclaes von Tilly: Am 10. Mai lรคutete Jakobi als erste Kirche Sturm wegen des Angriffs der Feinde.

Der bei der Erstรผrmung ausgelรถste Brand vernichtete das Gotteshaus und fast die gesamte Stadt. Ab 1638 wurde das Gotteshaus wieder genutzt โ€“ als Kornlager und Dreschplatz.

Ab 1650 wurde es wieder aufgebaut. Am 15. Februar 1650 goss GlockengieรŸermeister Jรผrgen Schreiber unter Nutzung des Materials der alten geschmolzenen Glocke eine neue Glocke. Zwischen Mรคrz 1652 und Juni 1653 wurden die Trรผmmer aus der Kirche beseitigt. Zimmermann Linderer richtete 1654 die Tรผrme, versehen mit Turmknรถpfen, wieder auf.

1656 wurde das Dach neu gedeckt, 1658 erhielten die Fenster neue Scheiben, am 10. Mai 1659 fand der erste Gottesdienst in der wieder erstandenen Kirche statt. 1844 wurde eine Dielung in die Kirche eingebracht, was den FuรŸboden um 12 Zentimeter erhรถhte.

Von 1851 bis 1906 war Hermann Finzenhagen als Organist an der Jakobikirche tรคtig. Der von ihm gegrรผndete Finzenhagensche Gesangverein wirkte bei Festgottesdiensten mit.

Neben der westlichen Eingangstรผr auf der Sรผdseite befand sich die Inschrift: โ€žNa Goddes ghebort MCCCLXXXI des sondages vor palmen do wart de erste steyn angelecht to disser kerkenโ€œ (MCCCLXXXI = 1381). Aus der Sรผdwand des Turms ragten steinerne Kรถpfe, wohl in Erinnerung an die ehemalige Richtstรคtte.

Im Jahr 1881 wurde das 500-jรคhrige Bestehen der Kirche feierlich begangen.

1902 schrieb Magdeburgs Stadtbaurat Otto Peters vom mรคchtigen Hallenbau, schlanken Pfeilern, klaren Wรถlbungen, einem zierlichen Abschluss der Chorgewรถlbe und โ€žmit der Flut von Licht aus den mit reichem MaรŸwerk verzierten Fensternโ€œ โ€“ vom โ€žreicheren Kirchenbauโ€œ mit โ€žtrefflichen Backsteinvorhallenโ€œ an der Nord- und Sรผdseite.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche beim schwersten Luftangriff auf Magdeburg am 16. Januar 1945 stark beschรคdigt und brannte aus. Das Gotteshaus diente Dutzenden Generationen von Magdeburgern regelmรครŸig zur Andacht sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten als Stรคtte festlicher Begegnung. Sie war vertrauter, heimatlicher Treffpunkt fรผr Taufe und Konfirmation, fรผr Trauung, Silberne und Goldene Hochzeit und fรผr den Heimgang Hunderter Bรผrger. Sie war Ort der Gemeinsamkeit fรผr Andacht und Hoffnung, fรผr Zuversicht und Freude, fรผr Trauer und Leid.

Wie wohl jede andere Kirchgemeinde mit demselben Schicksal wรผnschten sich die Christen dort das Wiedererstehen ihrer Kirche. Es blieb ein frommer Wunsch: Beim Neuaufbau als Bezirksstadt der DDR im Sinne der SED-Ideologie galt das Gotteshaus im Stadtzentrum als stรถrendes Element. 1950 kam die Jakobigemeinde zur Kirchengemeinde Magdeburg-Altstadt und war fortan in der Wallonerkirche zu Hause.

Im Oktober 1959 wurde die Kirche auf stรคdtische Weisung gesprengt, das zunรคchst belassene Pfarrhaus ebenfalls dem Erdboden gleichgemacht. Auf dem Grundstรผck entstand eine DDR-Kaufhalle. Heute sind dort Wohnhรคuser, Geschรคfte und Grรผnanlagen.

An die Sankt-Jakobi-Kirche erinnern in Magdeburg die JakobstraรŸe sowie ein Bronzemodell an dieser StraรŸe am einstigen Standort. Zu Ehren des zur Legende gewordenen Bรผchsenmeisters Andreas Kritzmann gibt es die KritzmannstraรŸe.

An den Volkshelden der Stadt erinnert auch die dortige Grundschule: Am Aufzugsschacht des Schulgebรคudes gibt es die stilisierte Abbildung einer Kirche โ€“ der Sankt-Jakobi-Kirche Magdeburg โ€“ mit dem Schriftzug โ€žGrundschule Kritzmannโ€œ.

Koordinaten: 52ยฐ 8โ€ฒ 7,1โ€ณ N, 11ยฐ 38โ€ฒ 39,2โ€ณ O

Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sankt-Jakobi-Kirche_(Magdeburg)
https://www.ek-md.de/kulturtourismus/kulturtourismus-verlorenekirche.html
https://kirchensprengung.de/kirchensprengung-magdeburg
https://www.gs-kritzmannstrasse.bildung-lsa.de/startseite/schulname/

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