Kirchenbauwerke gehรถren in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfรคltige Bedeutung. Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen โ und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.
Vor 45 Jahren, am 17. Mai 1977, wurde in Dessau die Jakobuskirche gesprengt. Die Jakobuskirche war die evangelische Kirche in der sรผdlichen Innenstadt im Stadtteil Dessau im heutigen Dessau-Roรlau in Sachsen-Anhalt. 1908 eingeweiht, wurde sie 1945 beschรคdigt und 32 Jahre spรคter auf DDR-staatlichen Druck gesprengt.
Die Kirchgemeinde wurde 1905 gegrรผndet und war anfangs in der Marienschule Dessau zu Hause. Die Kirche entstand zwischen 1906 und 1908 in der Tรถrtener Straรe, Ecke Schรผtzenstraรe. Die Einweihung fand am 22. Februar 1908 statt.
Baumeister des Gotteshauses war der Herzogliche Regierungs- und Baurat Gustav Teichmรผller (1862โ1919). Er hatte die Bauplรคne der Jakobuskirche im Stil der Neoromanik (Rundbogenstil) als funktionales Ensemble entworfen. Es umfasste sowohl Gottesdienstraum als auch Gemeindezentrum und hatte 900 Sitzplรคtze.
1945 wurde die Jakobuskirche beim Luftangriff auf Dessau von Brandbomben getroffen. Der Gemeindesaal wurde in jahrelanger Arbeit wieder nutzbar gemacht und mit feierlicher Einweihung am 9. August 1964 wieder in Dienst genommen.
โSprengung war Ausdruck kirchenfeindlicher SED-Politikโ
Die Kirche diente Hunderten Dessauern regelmรครig zur Andacht sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten als Stรคtte festlicher Begegnung. Sie war vertraute, heimatliche Feierstรคtte fรผr Taufe, Konfirmation und Trauung, fรผr Silberne sowie Goldene Hochzeit und andere Jubilรคen, fรผr den Heimgang ihrer Verstorbenen. Sie war Ort der Gemeinsamkeit fรผr Einkehr und Hoffnung, fรผr Zuversicht und Freude, fรผr Trauer und Leid.
Wie anderswo mit dem gleichen Schicksal wรผnschten sich die Christen dort den Wiederaufbau ihrer Kirche.
Doch das blieb ein frommer Wunsch: Am 17. Mai 1977 wurden die Kirche, der Gemeindesaal und das dazugehรถrige Pfarrhaus auf Anweisung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands gesprengt.
Laut offizieller Mitteilung der damals SED-gelenkten Stadt Dessau wurde das Gotteshaus vernichtet, um Platz fรผr DDR-Plattenbauten zu schaffen. Jedoch wurden diese nicht im angekรผndigten Umfang gebaut. Inzwischen wurde der Groรteil der damals errichteten Mietshรคuser abgerissen.
โDie Sprengung der Jakobuskirche war Ausdruck der kirchenfeindlichen Politik der SED, fรผr die jede gesprengte Kirche einen Schritt auf dem Weg zum Sieg des Sozialismus bedeuteteโ, sagte im Jahr 2017 Dessaus Kreisoberpfarrerin Annegret Friedrich-Berenbruch.
Fรผr die Kirchgemeinde entstand 1980 ein kleiner Ersatzbau: Jedoch durfte das Jakobus-Gemeindehaus an der Ecke Stenesche Straรe und Turmstraรe nicht mit Kirchenglocken ausgestattet werden.
Altar, Taufbecken, Stรผhle und Bleiglasfenster aus dem einstigen groรen Gemeindesaal der Jakobuskirche fanden ihren Platz im Jakobus-Gemeindehaus.
Seit 1999 bildeten die Jakobusgemeinde und die Paulusgemeinde gemeinsam die Evangelische Jakobus-PaulusGemeinde Dessau. Seit dem 1. Januar 2019 sind die Kirchengemeinde Jakobus-Paulus und die Kirchengemeinde St. Georg zur Evangelischen Stadtgemeinde an der Mulde Dessau vereint.
Das vom Bombenfeuer 1945 ruรgeschwรคrzte Kruzifix der Jakobuskirche hรคngt im Gemeindehaus รผber dem Altar โ als Mahnung und Erinnerung.
Koordinaten: 51ยฐ 49โฒ 14,1โณ N, 12ยฐ 14โฒ 39,3โณ O
Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jakobuskirche_(Dessau)
https://www.landeskirche-anhalts.de/aktuell/ausdruck-kirchenfeindlicher-sed-politik1
https://www.mz.de/lokal/dessau-rosslau/dessauer-jakobuskirche-wurde-1977-von-der-sed-gesprengt-1310744
https://www.wochenspiegel-web.de/wisl_s-cms/_wochenspiegel/7369/Dessau_Rosslau/54934/Vor_40_Jahren_wurde_die_Jakobuskirche_gesprengt_.html
https://kirchensprengung.de/kirchensprengung-andere
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