Kirchenbauwerke gehรถren in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfรคltige Bedeutung. Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen โ und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.
Es begann mit einem Kaufmann im 18. Jahrhundert
Die Kirche des Ehrlichen Gestifts โ umgangssprachlich: Ehrlichsche Gestiftskirche โ war ein Sakralbau am Stรผbelplatz, dem heutigen Straรburger Platz, in Dresden.
Johann Georg Ehrlich (auch: Johann George Ehrlich, 1676โ1743) war Kaufmann und Ratsherr in Dresden. Aus รคrmlichen Verhรคltnissen stammend, grรผndete er im Jahr 1742 die Armen- und Schulstiftung โEhrlichsches Gestiftโ.
1872 wurde die Schule in eine Bรผrgerschule mit vier Klassen umgewandelt. Wenig spรคter entstand nahe dem heutigen Straรburger Platz an der Blochmannstraรe 2 ein neues Schulgebรคude mit Turnhalle. Die Einweihung des neuen Ehrlichschen Gestifts erfolgte im Oktober 1880. Ab 1894 diente sie als hรถhere Bรผrgerschule mit 10 Schul- und Fortbildungsklassen fรผr insgesamt 250 Schรผler. Ab 1894 gab es ein Internat fรผr 50 Schรผler.
Von 1904 an entstand jener Kirchenbau im Stil des Historismus, geplant von Architekt Karl Emil Scherz. Weihe war am 11. Mรคrz 1907. Die Kirche gehรถrte โ anders als รผblich โ nicht zu einer Kirchgemeinde, sondern zur Stiftung; es gab in ihren Mauern zudem ein reges Konzertleben.
Architektonischer Schmuck mit Neoromanik
Das Gotteshaus hatte eine Klinkerfassade mit Gliederungen in Elbsandstein. Der Grundriss bildete ein Kreuz mit kurzen Schiffen als dessen Schenkel. รber der Vierung lag der Turm mit seinem schlanken und hohen Helm. Die Giebel der Kirchenschiffe waren mit senkrechten Pilastern und horizontalen Gesimsen in Sandstein gegliedert. An ihrer Traufe befanden sich gebogene Abdeckungen, das Schweifwerk eines Volutengiebels andeutend.
In den Giebelfeldern war eine fialenbekrรถnte Baldachin-Nische mit einer Skulptur untergebracht. Runde Rosetten- und Spitzbogenfenster lieรen Tageslicht in den Innenraum und prรคgten zusammen mit Strebepfeilern an den Auรenwรคnden die Fassade neogotisch. Eine Rundbogenkolonnade am Eingang und die Rundbogenfenster des seitlichen Treppenturms ergรคnzten den architektonischen Schmuck mit neoromanischen Stilelementen.
Der Innenraum war schlicht gestaltet. Im Chor hatten die Doppelbogenfenster eine Ornamentverglasung mit Szenen der christlichen Mythologie. Der Altar stand auf einem zweistufigen Podest mit zwei seitlichen, kunstvoll gearbeiteten schmiedeeisernen Gittern. Zwei dunkle Sรคulenpaare trugen die Altarplatte. Oberhalb des Retabels stand in zentraler Position eine Plastik โDie Kreuzigung Jesuโ. Links und rechts des Kreuzes befanden sich eine weibliche und mรคnnliche Figur in kniender Andachtshaltung.
Verheerende Auswirkung des Krieges
In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wurden wegen schwieriger wirtschaftlicher Verhรคltnisse die Gottesdienste im Winter in den Andachtssaal des neu errichteten Erziehungshauses verlegt: Die Kosten fรผr die Kirchenheizung konnten nicht aufgebracht werden.
Aufgrund der Inflation seit September 1923 schmolz das Stiftungsvermรถgen gravierend โ und so musste auf die Stellen von Stiftskantor und 2. Stiftsprediger verzichtet werden.
Der finanziellen Notlage geschuldet, wurde der altlutherischen St.-Pauls-Gemeinde die Mitnutzung der Kirche gestattet und am 1. Mรคrz 1924 vertraglich geregelt: So wurden Mieteinnahmen und Finanzmittel fรผr die Heizkosten erwirtschaftet.
Bei den Luftangriffen auf Dresden am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde auch diese Kirche getroffen: Sie war zwar ausgebrannt, jedoch alles andere als ein โhoffnungsloser Fallโ.
Der Wiederaufbau blieb ein frommer Wunsch
Das Gotteshaus diente vielen jungen Dresdnern regelmรครig zur Andacht, sie war Ort der Gemeinsamkeit fรผr Andacht und Hoffnung, fรผr Zuversicht und Freude. Wie anderswo bei demselben Schicksal wรผnschten sich die Christen dort den Wiederaufbau ihrer Kirche. Der wรคre mรถglich gewesen und wurde auch erwogen โ so etwa als Konzertsaal der Musikhochschule.
So leisteten einstige Schรผler des Gestifts ab 1945 freiwillige Aufrรคumarbeiten, sie forderten am 2. Juli 1950 die Erhaltung und den Wiederaufbau der Kirche. Es blieb ein frommer Wunsch: In Dresdens Rathaus wurde damals รผber das Stiftungs-Eigentum verfรผgt โ und das Gotteshaus am 4. August 1951 gesprengt.
Zuvor konnten Teile der Innenausstattung geborgen werden: Das Kruzifix und die Gedenkbรผste fรผr Stifter Ehrlich kamen in die Nazarethkirche im Stadtteil Seidnitz, an deren Eingang stehen seit 1951 die beiden erwรคhnten andรคchtigen Figuren aus der Gestiftskirche. Das Taufbecken und das Gestรผhl wechselten in die Thomaskirche im Stadtteil Gruna.
1950 und 1951 entstand auf dem Grundstรผck als Ruinenausbau ein Neubau fรผr Dresdens Musikhochschule, dieser wurde bis 1981 genutzt.
An den Stifter und Namensgeber wird bis heute erinnert
Die Erinnerung an den Stifter ist in Dresden heute auf doppelte Weise lebendig: Seit 1873 gibt es in der Wilsdruffer Vorstadt ihm zu Ehren die Ehrlichstraรe. Auch werden seit 2012 jรคhrlich an Jugendliche aus sozial schwachen Familien Johann-Georg-Ehrlich-Stipendien verliehen. Sie werden finanziert von der Akademie fรผr berufliche Bildung gGmbH โ und der Ehrlichschen Schul- und Armenstiftung Dresden: Die 1960 von der DDR enteignete Stiftung erstand wieder in den 1990er Jahren. Ihre Mittel dienen erneut den Ehrlichschen Zwecken.
Der einstige Standort der Kirche ist heute eine Grรผnanlage. Ehrlichs Idee von 1742, sie lebt auch nach 280 Jahren โ und wirkt weiter.
Koordinaten: 51ยฐ 2โฒ 48โณ N, 13ยฐ 45โฒ 17,4โณ O
Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ehrlichsche_Gestiftskirche
https://www.stadtwikidd.de/wiki/Kirche_des_Ehrlichschen_Gestifts
https://buergerstiftung-dresden.de/Stiftungen/Ehrlichsche-Schul-und-Armenstiftung/
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