Kirchenbauwerke gehรถren in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfรคltige Bedeutung.
Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen โ und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.
Als ihre Kirchweihe gefeiert wurde, gab es Leipzigs Neues Rathaus noch nicht. Das wurde 1905 fertiggestellt, das katholische Gotteshaus stand da bereits 58 Jahre. Beide Bauwerke standen sich nahe โ im wรถrtlichen Sinn: Gerade mal 70 Meter betrug ihr Abstand zueinander.
Die Trinitatiskirche zu Leipzig, auch bekannt als Rรถmisch-Katholische Propsteikirche zur Heiligen Dreifaltigkeit, war Leipzigs erster katholischer Kirchen-Neubau seit der Reformation. Sie stand am Promenadenring auf dem Grundstรผck Rudolphstraรe 1/2, der Kirchturm ragte an der dem Promenadenring abgewandten Seite in den Himmel.
Leipzigs Katholiken hatten seit der Reformation kein eigenes Gotteshaus. Ab Juni 1710 konnten sie fรผr ihre Gottesdienste den Reitsaal in der Pleiรenburg nutzen. Als dort im Juli 1841 erhebliche Gewรถlbeschรคden auftraten, feierten sie ihre Messen in der nahegelegenen Matthรคikirche.
รberlegungen fรผr den Bau einer katholischen Kirche in Leipzig gab es im Jahr 1824: Sachsens katholischer Kรถnig Friedrich August I. lieร Mรถglichkeiten fรผr solch einen Bau prรผfen. Schwung kam in die Sache, als die Gottesdienste in der Pleiรenburg nicht mehr mรถglich waren. Die Mitgliederzahl der katholischen Kirchgemeinde Leipzigs war damals stark gewachsen: Vor allem aus Sรผd- und Ostdeutschland waren zahlreiche Arbeiter katholischen Glaubens mit ihren Familien in die Stadt gezogen.

Bischof Franz Laurenz Mauermann gab die Anregung zur Grรผndung eines Baufonds, und so wandte sich die Kirchgemeinde am 4. Juni 1845 mit einem Spendenaufruf an Leipzigs Bevรถlkerung.
Kaufmann Franz Dominic Grassi unterstรผtzte das Neubauprojekt groรzรผgig, der Industrielle Karl Heine verkaufte das Grundstรผck fรผr den Kirchenbau im neu entstehenden Westviertel der Kirchgemeinde zu gรผnstigen Konditionen.
Die Projektierung des Kirchen-Neubaus verantwortete Architekt Carl Alexander Heideloff aus Nรผrnberg. Am 2. Juli 1845 war Baubeginn, Einweihung am 19. September 1847.
Die Trinitatiskirche war etwa 50 Meter lang und 25 Meter breit, die Hรถhe des Mittelschiffs betrug rund 20 Meter. Die Auรenflรคchen des neogotischen Baus waren mit Ziegeln verkleidet, alle Schmuckformen aus Sandstein gefertigt.
Der Kirchturm mit achteckigem Obergeschoss und durchbrochenem Spitzhelm war 54 Meter hoch โ ein bedeutender architektonischer Akzent รผber Leipzigs Westvorstadt hinaus. Das katholische Gotteshaus war zugleich das erste neogotische Kirchengebรคude der Stadt.
Das Mittelschiff, eine dreischiffige Stufenhalle, รถffnete sich zum im halben Achteck geschlossenen Chor. Angefรผgt daran waren zwei Kreuzflรผgel mit Sakristeien, Treppen und Betstuben.
Pfeiler und Gewรถlbe der Stufenhalle waren aus Holz gefertigt und verputzt. Der von Carl Alexander Heideloff entworfene Hochaltar hatte vier Gemรคlde von Carl Christian Vogel von Vogelstein: den wiederkehrenden Jesus Christus auf dem Hauptbild, zwei Evangelisten auf jedem Seitenflรผgel sowie die sieben Werke der Barmherzigkeit auf der Predella.
Die Orgel schuf 1847 Bornas Orgelbauer Urban Kreutzbach, sie hatte 26 Register auf Hauptwerk, Oberwerk und Pedal. Die neogotische Kanzel am linken Chorbogen entwarf ebenfalls Heideloff, sie war รผber die Treppe aus der Sakristei erreichbar. Das Chorgewรถlbe trug einen gemalten Sternenhimmel.
Blickfang auf der linken Seite des Altarraums war ein Gemรคlde von Lucas Cranach dem รlteren: Das 81 Zentimeter breite und 180 Zentimeter hohe Gemรคlde aus dem Jahr 1546 zeigte den gekreuzigten Christus. Das Kunstwerk hatte die Kirchgemeinde in der zweiten Hรคlfte des 19. Jahrhunderts erworben. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ausgelagert, ist es seitdem verschollen. In der Kirche befand sich eine hรถlzerne, 1,47 Meter hohe Madonnenstatue aus Holz, erschaffen um 1800 in Tirol.
1888 entstanden an beiden Seiteneingรคngen Anbauten nach Plรคnen von Hugo Altendorff. 1929 folgten drei weitere Anbauten, entworfen von Leipzigs Architekt Clemens Lohmer.
Beim Luftangriff auf Leipzig am 4. Dezember 1943 wurde die Trinitatiskirche โ ebenso wie die Johanniskirche und die Matthรคikirche โ von Brand- und Sprengbomben schwer beschรคdigt, Auรenmauern und der Kirchturm blieben stehen. Beim Luftangriff am 20. Februar 1944 wurde auch der Altarraum (Presbyterium) zerstรถrt.

Die Kirche diente Leipzigs Katholiken fรผr Generationen regelmรครig zur Andacht sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten als Stรคtte festlicher Begegnung. Sie war vertrauter, heimatlicher Treffpunkt fรผr Taufe, Kommunion und Firmung, fรผr Trauung, Silberne und Goldene Hochzeit wie auch fรผr den Heimgang Hunderter Bรผrger.
Sie war Ort der Gemeinsamkeit fรผr Andacht und Hoffnung, fรผr Zuversicht und Freude, fรผr Trauer und Leid. Die Paulinerkirche wurde fรผr die Trinitatisgemeinde zur Zufluchtsstรคtte, die Katholiken feierten am 5. Mai 1946 ihre erste Messe.
Nach Kriegsende wuchs die Mitgliederzahl in Leipzigs katholischer Kirchgemeinde stark โ Grund dafรผr waren die zahlreichen, aus den deutschen Ostgebieten vertriebenen Menschen katholischen Glaubens. Da ihre Kirche mit ursprรผnglich 600 Plรคtzen daher zu klein sein wรผrde, plante sie einen grรถรeren Neubau am alten Standort.
1950 begannen Enttrรผmmerungs-Arbeiten, Steine der alten Kirche wurden als Baumaterial fรผr den Neubau aufbereitet und das Bauwerk gegen Einsturz gesichert.
Die Bauplรคne wurden vom Rat der Stadt zunรคchst wohlwollend begutachtet. Doch bald gab es dort รnderungswรผnsche: Fรผr die geplante geschlossene Ringbebauung stรถrte man sich an der Kirche mit ihrem Turm als stรคdtebauliche Dominante. Schlieรlich wurde die Standortgenehmigung am 31. Oktober 1954 erteilt.
Um Baufreiheit zu schaffen, wurde daraufhin der beschรคdigte Baukรถrper der Trinitatiskirche im November/Dezember 1954 abgerissen und die Baugrube ausgehoben. Doch dann widerrief die Stadt Leipzig zu Beginn des Jahres 1955 ihre Baugenehmigung; die fรผr den Dreifaltigkeitssonntag 1955 geplante Grundsteinlegung fรผr den Kirchen-Neubau war damit โerledigtโ.
Was tun? Die Katholiken wandten sich am 17. Februar 1955 an SED-Chef Walter Ulbricht. Eine Woche spรคter kam dessen Zusage โ fรผr ein Ersatzgrundstรผck. Doch darum war es gar nicht gegangen, die Kirchgemeinde hatte ja ihr Grundstรผck โฆ
Was folgte, war die Fortsetzung der staatlich-stรคdtischen Verzรถgerungs- und Zermรผrbungs-Taktik: Im April 1955 erteilte das Ministerium fรผr Aufbau die Baugenehmigung โ fรผr das bisherige Grundstรผck, auf dem die gesprengte Kirche stand. Anfang 1957 widerrief die Stadt Leipzig diese Genehmigung. Wieder wurde die Kirchgemeinde โausgebremstโ, ihre Frustration wuchs.
Im Juli 1958 gab es seitens der Stadt bitteren โKlartextโ: Das gesamte Kirchen-Neubauprojekt wurde endgรผltig abgelehnt, das Baumaterial beschlagnahmt, die Flรคche eingeebnet und bis Herbst 1958 begrรผnt.
Das โTricksen und Tรคuschenโ ging weiter: In den folgenden zehn Jahren bot die Stadt den Katholiken dreimal jeweils ein Ersatzgrundstรผck fรผr den Kirchen-Neubau an โ und zog diese Angebote dann wieder zurรผck.
Es dauerte schlieรlich fast drei Jahrzehnte, bis 1982 die katholische St.-Trinitatis-Gemeinde am Rosental ihre neue, zweite Propsteikirche erรถffnen konnte. (Deren Nachfolgebau steht seit 2015 am Martin-Luther-Ring.)
Das ursprรผngliche Kirchengrundstรผck nahe dem Neuen Rathaus ist seit der Einebnung 1958 unbebaut. Heute befindet sich darauf eine Grรผnflรคche mit Spielplatz โ als Teil des Schulhofs der Anna-Magdalena-Bach-Schule, die 1986 in Plattenbauweise errichtet wurde.
Koordinaten: 51ยฐ 20โฒ 10,6โณ N, 12ยฐ 22โฒ 9,6โณ O
Quellen und Links:
de.wikipedia.org/wiki/Alte_Trinitatiskirche_(Leipzig)
www.propstei-leipzig.de/gebaeude
schulz-und-schulz.com/projekte/katholische-propsteikirche-st-trinitatis-leipzig/
kirchensprengung.de/kirchensprengung-leipzig
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