Kirchenbauwerke gehรถren in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfรคltige Bedeutung.

Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen โ€“ und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.

Es waren die Jahre 1874 bis 1878, als in Dresden die Johanneskirche nach den Plรคnen von Gotthilf Ludwig Mรถckel aus Zwickau erbaut wurde โ€“ der erste bedeutende neogotische Kirchenbau in Dresden. Zuvor war ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Einwohnerzahl der Pirnaischen Vorstadt derart gewachsen, dass eine eigene Kirchgemeinde erforderlich wurde. Mit der sogenannten Auspfarrung aus der Kreuzkirchgemeinde entstand am 30. Mai 1877 die Johanneskirchgemeinde โ€“ mit der stolzen Zahl von 25.000 Glรคubigen.

Das Gotteshaus mit Fassade aus Elbsandstein und West-Ost-Ausrichtung war ein einschiffiger Bau mit Querschiff, polygonalem Chor und mit 65 Meter hohem Kirchturm am Sรผdquerschiff, gekrรถnt mit achtseitigem Turmhelm. Turm-Vorbilder waren die Kathedrale von Laon und der Naumburger Dom.

Das Kirchenschiff umfasste 900 Quadratmeter, war 47 Meter lang, 22 Meter breit und bot mitsamt der beiden Emporen 931 Sitzplรคtze. Das Gestรผhl der Johanneskirche war aus Eichenholz. Zu den Besonderheiten ihrer Ausstattung gehรถrten dreifarbige Teppiche und Tรผrvorhรคnge sowie Paramente mit reichhaltiger Stickerei.

Johanneskirche im Jahr 1906. Foto: Paul Flade, CC BY-SA 4.0, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/

An den Pfeilern im Innenraum waren 13 Plastiken aus franzรถsischem Kalkstein angebracht. Sie zeigten die Apostel, die Evangelisten und Johannes den Tรคufer. Die Bildhauer-Arbeiten stammten aus den Werkstรคtten von Gustav Adolph Kietz, Oskar Rassau, Theodor Heinrich Bรคumer und Karl Friedrich Gustav BroรŸmann.

Die drei bronzenen Kirchenglocken mit Schlagtรถnen C, E und G und einem Gesamtgewicht von 3.269 Kilogramm schuf Dresdens GieรŸerei J. G. GroรŸe. Die Orgel mit zwei Manualen, 28 Register und 1.692 Orgelpfeifen baute die Firma Hermann Eule Orgelbau Bautzen.

Bau und Ausstattung kosteten 612.968,53 Mark, etwa drei Viertel dieser Summe stammten aus dem Verkaufserlรถs des alten Johanniskirchhofs am Rande der Innenstadt. Grundsteinlegung war am 29. Juni 1874, Richtfest am 9. Juni 1876, Kirchweihe am 24. April 1878.

Selten und daher besonders: Fรผr den Kirchenbau sind Angaben zu den beteiligten Bauleuten รผberliefert: Wรคhrend der dreieinhalbjรคhrigen Bauzeit waren โ€“ je nach Bedarf und Baufortschritt โ€“ 33 Maurer, 28 Handlanger, 85 Steinmetze, 85 Zimmerleute, der Maurer-, der Steinmetz- und der Zimmerer-Polier sowie der Bauwรคchter tรคtig, insgesamt also 235 Personen.

Bei den anglo-amerikanischen Luftangriffen auf Dresden brannte das Kirchengebรคude am 13. und 14. Februar 1945 aus. Aufgrund ihrer massiven Bauweise blieben ihr Baukรถrper und der Kirchturm stehen. Lediglich drei Wohnhรคuser waren in ihrem groรŸen Einzugsgebiet stehengeblieben.

Der verbliebene Kirchturm um 1951. Foto: Richard Peter, CC BY-SA 3.0, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Turm_Johanneskirche_Dresden.jpg
Der verbliebene Kirchturm um 1951. Foto: Richard Peter, CC BY-SA 3.0, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Turm_Johanneskirche_Dresden.jpg

Die Kirche diente Generationen von Dresdnern regelmรครŸig zur Andacht sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten als Stรคtte festlicher Begegnung. Sie war vertrauter, heimatlicher Treffpunkt fรผr Taufe und Konfirmation, fรผr Trauung, Silberne und Goldene Hochzeit und fรผr den Heimgang Hunderter Bรผrger. Sie war Ort der Gemeinsamkeit fรผr Andacht und Hoffnung, fรผr Zuversicht und Freude, fรผr Trauer und Leid.

Wie wohl jede andere Kirchgemeinde mit demselben Schicksal wรผnschten sich die Christen dort ein Wiedererstehen ihrer Kirche. Es blieb ein frommer Wunsch. Das Kirchenschiff wurde 1951 abgebrochen.

Der fast unversehrt gebliebene Kirchturm sollte wegen seiner bau- und kunstgeschichtlichen Bedeutung in das neu zu gestaltende Umfeld eingebunden werden. Doch da der weit sichtbare Kirchturm die SED-Machthaber in Dresdens Rathaus stรถrte, setzten sie dessen Sprengung am 8. April 1954 durch.

โ€žDie meisten Kirchen hรคtten gerettet werden kรถnnenโ€œ, sagte Christian Halbrock, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesbeauftragten fรผr die Stasi-Unterlagen in Berlin, im Jahr 2018 der Kirchenzeitung โ€žGlaube und Heimatโ€œ.

Doch das widersprach den SED-Plรคnen zur sozialistischen Umgestaltung von DDR-Bezirksstรคdten nach dem Vorbild der Sowjetunion, etwa mit mehrspurigen Magistralen fรผr Aufmรคrsche โ€“ und ohne Kirchen: โ€žKirchengebรคude und das Wรคchteramt der Kirchen stรถrten bei der Umerziehung zum โ€บneuen Menschenโ€นโ€œ. Wenn eine Stadt in der DDR Bezirksstadt wurde, bedeutete dies oft das politisch erzwungene Aus fรผr historische Bauwerke verschiedenster Art.

Bis 1994 blieb der einstige Standort der Johanneskirche Grรผnflรคche. Am 16. Juni 1994 erfolgte der erste Spatenstich fรผr den Neubau des katholischen St.-Benno-Gymnasiums, Einweihung war am 31. August 1996. Ein Teil des St.-Benno-Gymnasiums steht auf einem Teil des Kirchengrundstรผcks. Ihr Name lebte in der Johanneskirchgemeinde fort.

Koordinaten: 51ยฐ 2โ€ฒ 59โ€ณ N, 13ยฐ 45โ€ฒ 25,8โ€ณ O

Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Johanneskirche_(Dresden)
https://www.dresden.de/media/pdf/denkmal/verlorene-kirchen-2018_web.pdf
https://kirchensprengung.de/kirchensprengung-dresden
https://www.verschwundene-bauwerke.de/Dresden/Johanneskirche.php

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Wenn ich den Artikel richtig interpretiere, dann ist es wieder einmal die bรถse DDR, die das Verschwinden zu verantworten hat.
Das mit dem Krieg und der Bombardierung โ€“ und DEREN Hintergrรผnde spielt nur am Rande eine Rolle und wird in einem Nebensatz abgewickelt.
Das folgt dem Muster, wonach rechts ja auch nicht nett war/ ist โ€“ der eigentliche Feind und das Grauen an sich stehen aber LINKS.
Und da wundert man sich offiziell, daรŸ auch die Menschen immer weiter nach rechts abdriften, bei dieser geschichtlichen โ€˜Einordnungshilfeโ€™.

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