Vor 22 Jahren verfolgte Leipzig noch eine ganz andere Verkehrspolitik als heute, geprägt durch Straßenaufweitungen und den Versuch, ein regelrechtes Ringsystem für den Kfz-Verkehr zu bauen. Teil dieses Projektes war die radikale Aufweitung der Friedrich-Ebert-Straße zwischen Tauchnitzstraße und Westplatz. Dem fiel auch das Henriette-Goldschmidt-Haus zum Opfer.
Genau am 18. März 2000 wurde unter großem Protest das Henriette-Goldschmidt-Haus in abgerissen.
Einige Leipziger/-innen erinnern sich vielleicht noch an das Henriette-Goldschmidt-Haus in der Friedrich-Ebert-Straße 16, früher Weststraße 16. Erworben mit Stiftungsgeldern Leipziger Bürger und Bürgerinnen, beherbergte es Einrichtungen des 1871 von Henriette Goldschmidt gegründeten Vereins für Familien- und Volkserziehung wie Volkskindergärten, Seminar für Kindergärtnerinnen, Lyzeum für Damen, Schülerinnenpensionat und Seniorinnenheim.
Nach 1933 wurde auch hier die Erinnerung an jüdische Geschichte getilgt: Name und Emblem Henriette Goldschmidts wurden entfernt und die Geschichte des Hauses unsichtbar gemacht. Nach 1945 ging das Haus in die Sammelstiftung der Stadt Leipzig ein. In der DDR erhielt das Haus seinen Namen zurück und beherbergte weiterhin einen Kindergarten.
Nach 1990 fiel es Spekulationen zum Opfer und wurde nach Verkauf und Wiederkauf mit Zustimmung des Stadtrats sowie des Landesamtes für Denkmalschutz am 18. März 2000 ziemlich grundlos abgerissen. Die Begründung einer notwendigen Straßenverbreiterung war zum Zeitpunkt der Abrissgenehmigung nicht mehr gültig.
Im Vorfeld des Abrisses wurde seit 1993 Protest innerhalb der Leipziger Zivilgesellschaft organisiert: Einzelpersonen und Vereine versuchten, den widerrechtlichen Verkauf rückgängig zu machen und den Abriss zu verhindern.
Eine Akteurin dieser Zeit war die Journalistin und Historikerin Johanna Ludwig, die 1993 die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. initiierte und mitbegründete. Mit ihren Mitstreiter/-innen kämpfte sie jahrelang für eine Würdigung der deutschen Frauengeschichte und jüdischen Geschichte in Leipzig und den Erhalt dieses symbolträchtigen Hauses – ohne Erfolg.
Im Jahr 2022 erschließt nun die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e. V. in einem vom Digitalen Deutschen Frauenarchiv (DDF) geförderten Projekt den Teilnachlass Johanna Ludwigs, in dem sich unter anderem zahlreiche Unterlagen, Presseartikel, Korrespondenzen etc. zum Kampf um den Erhalt des Henriette-Goldschmidt-Hauses befinden.
Dieses Politikum soll noch in diesem Jahr auf der Grundlage des im Nachlass enthaltenden Materials als Essay im DDF-Portal aufbereitet werden, kündigt die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. an.
Eine Fassadennachbildung erinnert heute – um 12 Meter versetzt – an einem Neubau aus dem Jahr 2018 an das vor 22 Jahren abgebrochene Henriette-Goldschmidt-Haus. Dahinter befindet sich heute ein Wohnhaus.
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