Kirchenbauwerke gehรถren in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfรคltige Bedeutung.
Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen โ und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.
Eine schlichte steinerne Gedenktafel. Sie ist eingelassen in eine Stรผtzmauer entlang der Stollberger Straรe in Chemnitz โ und leicht zu รผbersehen. Die Tafel erinnert an die Nikolaikirche, eine der รคltesten Kirchen der Stadt. Wenige Meter von da ragte sie gen Himmel und gehรถrte fรผr viele Generationen zum Ortsbild.

Mitte des 12. Jahrhunderts siedelten Fernhรคndler nahe der Chemnitzfurt, sie bauten zu Ehren ihres Schutzpatrons eine hรถlzerne Kapelle. Eine Urkunde von 1331 erwรคhnt den Nikolaikirch-Innenhof und ist damit รคltestes Zeugnis. 1486 wurde die Nikolaikirche neu erbaut, 1532 brannte sie ab und wurde 1550 wieder aufgebaut. Mit der Eingemeindung 1844 wurde St. Nikolai stรคdtische Kirchgemeinde. Letztmals erneuert wurde der Sakralbau 1789.
Abschied, Schlieรung, Abriss
Am 20. Januar 1882 folgte die Schlieรung โ die Kirche war nicht nur zu klein geworden, sondern offenbar auch akut baufรคllig: Weder ein Abschiedsgottesdienst noch ein letztes Gelรคut waren mรถglich. Die Nikolaigemeinde nutzte als Gast fortan die nahegelegene Paulikirche.
Ab 24. November bis Jahresende 1884 wurde die alte Kirche abgerissen.
Im Herbst 1885 begannen die Fundament-Arbeiten fรผr das neue Gotteshaus, am 28. April 1886 war Grundsteinlegung. Den Entwurf als neugotische Hallenkirche mit 750 Plรคtzen schuf Architekt Christian Gottfried Schramm aus Dresden โ sie wurde Schramms Referenzobjekt fรผr weitere Kirchen in der Umgebung. Kirchweihe war am 7. Mรคrz 1888.
Innen gab es figรผrliche Farbverglasungen, erschaffen von Glasmaler Bruno Urban aus Dresden. Das Altarrelief mit dem Motiv des heiligen Abendmahls stammte von Bildhauer Oskar Rassau aus Dresden. Auch die Orgel mit 27 Registern und das Bronzeglocken-Gelรคut kamen von Meistern aus der Landeshauptstadt: von den Hoforgelbauern Gebrรผder Jehmlich und von Glockengieรermeister Albert Bierling. 1890 erhielt das Gotteshaus als Portal-Schmuck fรผnf Statuen: Christus und die vier Evangelisten.
Treue Begleiterin von Generationen
Die neu erbaute Kirche diente โ ebenso wie ihre Vorgรคngerin โ Generationen regelmรครig zum Gottesdienst sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten als Stรคtte festlicher Begegnung. Sie war vertrauter, heimatlicher Ort fรผr Taufe und Konfirmation, fรผr Trauung und Heimgang Hunderter Bรผrger von Chemnitz. Sie war steinerne Stรคtte der Gemeinsamkeit, fรผr Hoffnung und Zuversicht, fรผr Freude und Leid.

Doch fast 57 Jahre nach ihrer Weihe wurde sie bei den angloamerikanischen Luftangriffen vom 5. Mรคrz 1945 getroffen und schwer beschรคdigt. Wie wohl jede andere Kirchgemeinde mit selbem Schicksal wรผnschten sich die Christen in Chemnitz das Wiedererstehen ihrer Kirche.
Abriss auf politischen Druck der Machthaber
Doch es blieb ein frommer Wunsch. Offenbar gab es bei der Entscheidung zum Abriss politischen Druck: Laut dem Eintrag zu Chemnitz auf der Internetseite kirchensprengung.de โsprengten die Verantwortlichen der SED vier Kirchenbauten, die die verheerenden Bombardements teilbeschรคdigt รผberstanden hatten.โ
Nach der Sprengung des Kirchturms 1948 wurde die letzten Bauwerksreste beseitigt und der Standort eingeebnet. Nahe am alten Standort ist heute ein Seniorenheim zu Hause, in einem einstigen 4-Sterne-Hotel. Das Gelรคnde der frรผheren Nikolaikirche ist nicht รถffentlich zugรคnglich.
Koordinaten: 50ยฐ 49โฒ 41,8โณ N, 12ยฐ 54โฒ 57,2โณ O
Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Nikolaikirche_(Chemnitz)
http://www.altes-chemnitz.de/chemnitz/nikolaikirche.htm
https://web.archive.org/web/20120924184400/http://www.historisches-chemnitz.de/altchemnitz/kirchen/nikolaikirche/nikolaikirche.html
https://kirchensprengung.de/kirchensprengung-chemnitz
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