Am Heiligabend des Jahres 1701 geht den Leipzigern ein Licht auf. Der Stern von Bethlehem hat ausnahmsweise mal nichts damit zu tun. Und auch die in den Gelehrtengehirnen glรผhende Aufklรคrung, die von den Studierstuben in die Stadt hinausstrahlt, kann den Erfolg nicht auf sich verbuchen. Denn das, was da leuchtet, ist weder Gott noch Geist, sondern eine Armada aus 700 Rรผbรถllaternen, die am 24. Dezember 1701 erstmals ihr Licht in Leipzig verstrรถmen, womit sich das Zeitalter der รถffentlichen Straรenbeleuchtung ins groรe Buch der Geschichte einbrennt.
Die Leuchtkraft der Rรผbรถllaternen ist allerdings bescheiden. Rรผbรถl ist ein zรคhes Zeug. Es steigt nur schwer im Docht hoch, verschleimt seine Spitze und ruรt stark beim Verbrennen. Nicht gerade das, was man mit dem Licht der Aufklรคrung verbindet. Und noch weniger mit dem Stern, der รผber Bethlehem strahlt.Ihren Brennstoff beziehen die Rรผbรถllaternen natรผrlich nicht aus Rรผben, sondern aus Rรผbsamen, die โ auch wennโs so klingen mag โ nichts mit dem Samen von Rรผben gemein haben, sondern rapsรคhnliche Pflanzen sind, weshalb Rรผbรถl mitunter als Rapsรถl und Rapsรถl als Rรผbรถl firmiert.
Sie sehen, die Geschichte der Lichtwerdung Leipzigs ist ein wenig kompliziert, aber wir werden sie Stรผck fรผr Stรผck aufdrรถseln, wie einen Docht, den man in seine einzelnen Fasern zerlegt.
Erleuchtung durch Aufklรคrung? Leider nein!
Die aufkommende Straรenbeleuchtung ist, so viel sei schon mal vorweggenommen, jedenfalls kein Produkt aufklรคrerischen, sondern absolutistischen Denkens. Und wie so viele absolutistische Vorhaben beginnt auch dieses in Dresden.
Genauer gesagt am Dresdner Hof. Dort hรคlt im Februar 1678 Johann Georg II. โ im Nebenberuf sรคchsischer Kurfรผrst und hauptamtlich als Kunst- und Kulturfรถrderer aktiv โ zusammen mit seinen Brรผdern eine โDurchlauchtigste Zusammenkunftโ ab. Aus diesem Anlass veranstaltet er ein โFestival der Planetenโ, das vier Wochen dauert und neben jeder Menge adliger Gรคste auch den 300 Personen umfassenden Hofstaat aufs Schรถnste unterhรคlt.
Zรผndfunke aus Dresden
Nun ist ein derart ausschweifendes Fest nichts Ungewรถhnliches, und die enormen Kosten werden โ wie รผblich โ durch Abgaben refinanziert, wobei es in diesem Falle eine Perรผckensteuer ist, mit der man die รผber den Kopf gewachsenen Kosten zu decken versucht. Etwas aber ist neu, und das ist die Tatsache, dass ein Groรteil der Ballett-, Oper- und Theaterauffรผhrungen spรคtabends stattfinden und mit Hilfe tausender Kerzen illuminiert werden.
Fรผrs Erste wird das noch mit der Kunst selbst begrรผndet, auch wenn die wahren Grรผnde โ dazu spรคter mehr โ andere sind. Ein Mitglied des Hofstaats erklรคrt jedenfalls, die Feinheiten der Darbietung kรถnnen โbesser des Nachts, wenn bei angezรผndeten Lichtern agirt wird, als am Tage gesehen werden.โ
Den Hรถhepunkt und zugleich den Abschluss des โFestivals des Planetenโ bildet ein Herkules-Schauspiel, bei dem nicht nur feuerspeiende Hรถllenhunde, funkenschlagende Bรถller und mit Leuchtkugeln bestรผckte Mรถrser zum Einsatz kommen, sondern auch Hunderte pfundschwere Raketen gezรผndet werden, in deren Glanz sich das Kulturfรผrstchen sonnt.
Die Kunst eines Barock-Feuerwerks
Auch auf die vielen Besucher scheint die Vorfรผhrung groรen Eindruck gemacht zu haben. In den zeitgenรถssischen Quellen heiรt es, dass das Festival mit einem gigantischen โKunst-Feuerwerk mit hรถchster Vergnรผgung der Zuschauendenโ zu Ende gegangen ist. Der Verweis auf die Kunst kommt nicht von ungefรคhr.
Barock-Feuerwerke wie dieses sind in der Tat hรถchst artifizielle Gebilde, die ausgeklรผgelte Pyrotechnik, Allegorie und Theater miteinander verbinden. Sie sind Sinnbilder der Macht und Metaphern aufs Leben. Schaubilder des Irdischen in seiner ganzen Ambivalenz.
Das weiร auch jener Kurfรผrst, der 1694 auf Georg den II., III. und IV. folgt und sich โFriedrich August I.โ nennt, ab 1697 zusรคtzlich noch unter dem Namen โAugust II.โ als Kรถnig von Polen und Groรherzog von Litauen firmiert und sich โ die Welt des Hochadels ist halt hochkompliziert โ auch gern als โFriedrich August der Groรeโ oder โSรคchsischer Herkulesโ anreden lรคsst, was dazu fรผhrt, dass er nach seinem Tod 1733 nicht nur nominell zu jenem โAugust dem Starkenโ mutiert, der er zu Lebzeiten nie war.
Feurige Widersprรผche
Aber wie dem auch sei, im Jahre 1711 kommt es jedenfalls dazu, dass sich Friedrich August mit einer seiner Mรคtressen bei einem privaten Abendessen von Hรถflingen wiederfindet, wo man ihn bittet, einen Sinnspruch ins Gรคstebuch reinzuschreiben.
Und Friedrich August, der Freund des Feuerwerks, schreibt: โEine Rakete zischt hoch, es bleibt nichts als Rauchโ. (Wie es sich gehรถrt, schreibt er den Satz auf Franzรถsisch, allerdings mit einer derartigen Sauklaue und in einer solch hundsmiserablen Orthografie, dass die Historiker bis heute nicht klรคren konnten, ob er von einer Rakete oder von einer Frau spricht. Aber vielleicht war das fรผr ihn diesem Fall auch dasselbe.)
Da die Geschichte der Deutschen liebstes Kind ist, sei an dieser Stelle ein kleiner Einwurf gestattet und der Blick nochmal auf das โKunst-Feuerwerk mit hรถchster Vergnรผgung der Zuschauendenโ gewandt. 1678 wurde ein solches Feuerwerk als Ausdruck fรผrstlicher Macht angesehen. Dass die heutigen โFรผrstenโ Feuerwerke stark einschrรคnken und ihre รถffentliche Darbietung im Grunde verbieten, ist โ auch wenn das Umweltaktivisten, รrzten und anderen gefรคllt โ nur vordergrรผndig ein Ausdruck von Macht.
Tatsรคchlich ist es ein Zeichen der wachsenden Distanz zu den Vergnรผgungen der Zuschauenden und Sinnbild einer ins Technokratische schlitternden Aufklรคrung, die nicht mehr versteht, dass der Mensch Entladungen braucht, gerade in Zeiten wie diesen, und seien diese Entladungen auch noch so vergรคnglich und โ von mir aus โ auch voller Verderbnis und Verletzungsgefahr.
(Nebenbei bemerkt: Als es Georg II. anno 1678 bei seinem Herkulesschauspiel ordentlich krachen, blitzen und donnern lieร, nutzte man die Pausen zwischen den Akten nicht nur dazu, die Raketentische neu zu aufzufรผllen, sondern auch, um die Feuerschรคden an Mensch und Material zu beheben.)
Fรผr derartige Dialektiken und Widersprรผche aber scheint es in der schรถnen neuen Welt keinen Platz zu geben. Es ist eben ein schmaler Grat zwischen Verkรผndigung und Entmรผndigung, und wer nicht versteht, dass sich die Dissonanzen gelegentlich als Wahrheit รผber die Harmonie erweisen und stattdessen die wissenschaftliche Rationalitรคt zum Alleinherrscher macht und kontinuierlich in keimfreien Konditionalsรคtzen spricht, trรคgt โ auch wenn er das gar nicht will โ dazu bei, dass die Sinn- und Sehnsรผchtigen aus ihren weihnachtlich illuminierten Buden geirrlichtert kommen.
Aber das nur als Einwurf, als ein kleiner Versuch, die Geschichte รผber bloรe und das heiรt: von allen geteilte Lippenbekenntnisse hinaus fruchtbar zu machen und zur Diskussion anzuregen.
Feiern des Lichts
Im barocken Dresden lรคsst man sich jedenfalls nicht lumpen. Im Gegenteil. Wennโs dunkel ist, wird Licht gemacht. 1695 verlegt Kurfรผrst Friedrich August I. auch die Reiterspiele in den spรคten Abend und lรคsst zu diesem Zweck das Kรถnigliche Reithaus illuminieren. Damit steht er nicht allein da. Im 17. Jahrhundert werden die Feiern bei Hofe in ganz Europa zu Feiern des Lichts. Tausende Kerzen erleuchten die Schlรถsser und Ballsรคle. Das hat Folgen.
Die Rhythmen des Tages verschieben sich. Feste und soziale Aktivitรคten erobern die Nacht. In seinem Text โVon dem Schlafen-Gehen und Aufstehen der groรen Herrnโ erklรคrt der Chronist Julius Bernhard von Rohr: โVon manchen wird auf gewisse Weise die Nacht in Tag und der Tag in Nacht verwandelt. Sie bringen einen groรen Teil der zur Nachtruhe bestimmten Zeit mit Essen, Spielen, Trinken, Tanzen und anderen Vergnรผgungen zu und halten bis dann fast an die Mittagsstunde ihre Ruhe.โ
Der Rhythmus des einfachen Bรผrgers ist dagegen ein anderer und noch an die alte Zeit angelehnt. Die Menschen ziehen sich bei Sonnenuntergang in die Hรคuser zurรผck, schlieรen sich ein und kommen zur Ruhe. Auch die Stadttore werden geschlossen. Nachtwachen patrouillieren. Wer jetzt noch rausgeht, muss ein Licht bei sich tragen und erklรคren, warum er in der Dunkelheit unterwegs ist. Wer das nicht kann, lรคuft Gefahr, eingesperrt zu werden, auch in Leipzig. โEin Jeder, den man ohne Laterne antraf, wurde verhaftetโ, heiรt es da.
Rudimentรคre Straรenbeleuchtung schon im 16. Jahrhundert
Gleichwohl verfรผgt Leipzig bereits im 16. Jahrhundert รผber eine rudimentรคre Straรenbeleuchtung, auch wenn sie nur im Notfall angezรผndet wird.
Eine Mitteilung aus dem Archiv nennt die Details: โMan hatte damals die sogenannten Leuchtpfannen, die auch Pech- oder Feuerpfannen genannt wurden. Es waren Pfannen aus Eisenblech, die in mehr als Mannshรถhe an den Eckhรคusern in den Straรen angebracht waren. Der Brennstoff bestand aus kienigen Holzstรผcken, Pechkrรคnzen und anderem mit lodernder Flamme brennendem Material. Angezรผndet muรten die Pfannen werden, wenn zur Nachtzeit in der Stadt ein Feuer ausbrach oder ein Aufruhr entstand. Zum Anzรผnden waren die die Eckhรคuser bewohnenden Bรผrger verpflichtet.โ
Weil das aber nicht ausreicht, wird 1569 angeordnet, dass die Bรผrger bei einem nรคchtlichen Brande nicht nur die Leuchtpfannen entzรผnden, sondern auch ihr Gesinde vor die Tรผr schicken sollen, damit es die Straรe mit Fackeln erhellt.
Paris macht den Anfang
Im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts beginnen sich diese Zustรคndigkeiten zu รคndern โ und mit ihr auch die Form der Straรenbeleuchtung. Die groรen Stรคdte werden jetzt auf eine neue Art illuminiert. Den Anfang macht am 2. September 1667 Paris. Bis dahin waren die Bรผrger an der Seine โ genau wie die an der Pleiรe โ fรผr die Beleuchtung der Stadt selbst verantwortlich. Im Fall von Paris sah das so aus, dass die Bรผrger wรคhrend der Wintermonate jeden Abend vor 18 Uhr eine Laterne unter das Fenster des 1. Stocks hรคngen mussten.
Eine wirkliche Straรenbeleuchtung war das nicht, die Laterne beschien eher das Haus als die Straรe. 1667 รคndert sich das. Die fahlen Lichter unter den Fenstern werden durch eine Einheitslaterne ersetzt. 5.000 Stรผck werden in Paris installiert. Dafรผr wird ein Seil von einem Haus zum andern gespannt und die Laterne in die Mitte gehรคngt. Als Licht dient eine Kerze.
Rรคumlich betrachtet wandert das Licht vom Haus auf die Straรe, vom Raum des Privaten in den der รffentlichkeit. Parallel dazu verschieben sich auch die Zustรคndigkeiten. Statt der Bรผrger ist jetzt die Obrigkeit fรผr die Beleuchtung der Stadt verantwortlich โ und damit auch fรผr ihren Schutz. Dass mehr Licht nicht automatisch zu mehr Sicherheit fรผhrt, ist dabei egal. Entscheidend ist das Sicherheitsgefรผhl.
Und die Tatsache, dass der absolutistische Staat nicht mehr nur sich selbst erstrahlen lรคsst, sondern auch seine Schutzbefohlenen beleuchtet. Mit anderen Worten: Diejenigen, die das Licht bis dahin vorrangig zur Inszenierung ihrer Macht nutzten, verwenden es ab dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts auch (und zunehmend) zur Kontrolle der Bรผrger. Es ist kein Zufall, dass sich in Europa Straรenbeleuchtung und Polizei zusammen entwickeln.
1701 endlich auch Leipzig
Paris ist nur der Anfang. Andere Stรคdte ziehen nach. 1669 fรผhrt Amsterdam eine allgemeine Straรenbeleuchtung ein. Erstmals kommen hier neue รl-Laternen zum Einsatz, die deutlich heller strahlen als Kerzen. Sie werden spรคter fรผr Leipzig noch interessant werden. Erstmal aber ziehen andere Stรคdte nach. Bis Ende des 17. Jahrhunderts baut fast ein Dutzend weiterer Metropolen Europas Straรenbeleuchtungen auf, darunter London, Wien und Berlin.
1701 ist schlieรlich Leipzig an der Reihe. Neben der Darstellung der Macht und der Kontrolle des Stadtraumes kommt jetzt, wo mehrere Metropolen leuchten, noch ein weiterer Aspekt hinzu: der des Mitspielen-Wollens in der Liga der Lichtstรคdte. Als August II. am 19. September 1701 โ auf dem Thron in Warschau hockend โ das entsprechende Dekret fรผr Leipzig erlรคsst, begrรผndet er die geplante Straรenbeleuchtung nicht nur mit der Verhinderung โallerhand nรคchtlicher inconvenientienโ und zur Mehrung des โZierrathโ, sondern auch damit, dass die Laternen auch in anderen โansehnlichen Stรคdtenโ eingefรผhrt worden sind.
In fast allen europรคischen Metropolen und Residenzstรคdten sind es die Monarchen und Fรผrsten, die den Bau der Straรenbeleuchtung initiieren oder entscheidend vorantreiben. Man kรถnnte auch sagen: So wie sich das Licht von den Hรคusern der Bรผrger auf die Straรe und vom Privaten in die รffentlichkeit bewegt hat, dehnt es sich im Fall der Fรผrsten von den Palais und hรถfischen Festen in den Stadtraum aus.
Oder sagen wir besser: in den reprรคsentativen Stadtraum, denn die รคrmeren Stadtviertel und auch die Vororte bleiben weiterhin โ und noch fรผr lange Zeit โ dunkel, und die verstreut im Land liegenden Kleinstรคdte und Dรถrfer erst recht. Auch die Geschichte der Beleuchtung ist โ wie so viele damals und heute โ eine des Stadt-Land-Gegensatzes.
In Leipzig fรคllt Augusts Beleuchtungsvorschlag indes auf fruchtbaren Boden โฆ
Wie es weitergeht, lesen Sie im nรคchsten Teil am 19. Dezember.
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