Kirchenbauwerke gehรถren in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfรคltige Bedeutung. Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen โ und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.
Die evangelische Kirche St. Peter und Paul in Halberstadt, auch Paulskirche genannt, stand am Ostrand der historischen Altstadt nรถrdlich des Breiten Wegs.
Um etwa 1085 grรผndete Bischof Burchard II. in Halberstadt das Kollegiatstift St. Peter und Paul. 1122 wurde es renoviert, ab 1246 wurden die Seitenschiffe verbreitert. Im 13. Jahrhundert entstand der obere Teil der Kirchtรผrme, die bis zur Zerstรถrung im 20. Jahrhundert erhalten blieben. Ab 1363 erhielt der Sakralbau einen neuen Chor, der hรถher als das Kirchenschiff war; er gab der Kirche das Geprรคge einer Sattelkirche. Im 14. Jahrhundert wurde die Peterskapelle angebaut.
Um 1540 setzte sich in Halberstadt Luthers Reformation durch. Ungewรถhnlich war, dass das St.-Pauli-Stift als geistliche Kรถrperschaft bestehen blieb. Streitigkeiten zwischen den Stiftsherren und der Paulskirchen-Gemeinde wurden 1589 mittels Vertrag ausgerรคumt: Dem Stift wurde die exklusive Nutzung des Chors zugesprochen โ und der Kirchgemeinde das Kirchenschiff. Sie wurde eine sogenannte Simultankirche, also ein Gotteshaus fรผr sowohl katholische als auch evangelische Gottesdienste.
Die Zeiten des Kollegiatstifts und der Pfarrei endeten 1812 โ beide mussten aufgrund einer Behรถrden-Entscheidung des Kรถnigreichs Westphalen geschlossen werden. Das Kirchengebรคude wurde erst Lazarett, spรคter Vorrats-Magazin fรผr Proviant.
Diese profane Nutzung endete knapp hundert Jahre spรคter: Von 1906 bis 1908 erfolgte ihre Renovierung: Sie wurde fortan als Garnisonkirche genutzt, also als Kirche fรผr Soldaten und Offiziere am Militรคrstandort Halberstadt.
Die Kirche wurde als dreischiffige Pfeilerbasilika mit zwei Kirchtรผrmen an ihrer Westseite errichtet. Ihr Querschiff hatte ein Kreuzgratgewรถlbe mit ausgeschiedener Vierung, auch das Chorquadrat hatte ein Kreuzgratgewรถlbe. Der Chor an der Ostseite hatte einen Fรผnf-Achtel-Schluss und war auf zwei Jochen mit einem Kreuzrippengewรถlbe versehen. In der Ecke zwischen dem sรผdlichen Arm des Querschiffs und dem Chor befand sich ein ebenfalls mit einem Kreuzgewรถlbe รผberspannter Raum.
Das Ende der Paulskirche
In der Nordseite des Querschiffs befand sich ein schlichtes Portal, das ursprรผnglich als Zugang zum Kreuzgang diente. Ein weiteres Portal war auf der Nordseite am Seitenschiff nahe dem Turm angeordnet. Das Hauptportal befand sich ursprรผnglich an der Westseite. Bemerkenswert daran war ein doppelt gewรถlbter Bogen.
Am westlichen Ende des sรผdlichen Seitenschiffs, nahe am Turm, befand sich die Peterskapelle, ebenfalls mit Kreuzgewรถlbe ausgestattet. Die Kirche brannte am 8. April 1945 bei der Bombardierung von Halberstadt im Zweiten Weltkrieg bis auf die Umfassungsmauern aus.
Vor knapp 53 Jahren, am 5. Februar 1969, wurde die Doppelturmanlage der Kirche des 1085 gegrรผndeten Halberstรคdter Kollegiatstiftes St. Peter und Paul gesprengt. Dies war Schlusspunkt der Zerstรถrung dieser bedeutenden mittelalterlichen Kirche, die vom Bombenangriff am 8. April 1945 bis zum schrittweisen Abriss 1968 reichte. Grundlage dieses Abrisses war der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung Halberstadt vom 14. November 1968, der ohne Gegenstimme angenommen worden war.
Vorausgegangen war eine zur DDR-Zeit illegale Unterschriftensammlung, initiiert von Halberstadts Bรผrgern Armin Dieckmann, Werner Hartmann und Walter Gemm, mit der sich etwa 600 Bรผrger fรผr den Erhalt der Kirche ausgesprochen hatten.
Auch drei Architekten des VEB Hochbauprojektierung, Georg Timme, Rudolf Steinhagen und Ulrich Mund, protestierten mit einer fรผnf Seiten langen Eingabe an die Stadtverordnetenversammlung gegen den Abriss und unterbreiteten Vorschlรคge fรผr Erhalt und Nutzung โ vergebens. Heute erinnert nur der Straรenname Paulsplan an die Kirche.
Zwischen 1975 und 1980 bekam Halberstadt ein weiteres DDR-Plattenbau-Wohngebiet mit 465 Wohnungen, gelegen am Clara-Zetkin-Ring mit Hugenotten-, Korn-, Kรคmmeken-, Lichtwerstraรe und Paulsplan. Auf dem Grundstรผck der gesprengten Paulskirche entstand zu dieser Zeit eine Schule.
Seit 2001 trรคgt die Schule am Paulsplan den Namen von Walter Gemm: Der Kunstmaler aus Halberstadt gehรถrte 1969 zu den Organisatoren der Unterschriften-Sammlung gegen den Abriss der Paulskirche.
Koordinaten: 51ยฐ 53โฒ 49,1โ N / 11ยฐ 3โฒ 21,3โ O
Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/St._Peter_und_Paul_(Halberstadt)
https://kirchensprengung.de/kirchensprengung-andere
https://www.meine-kirchenzeitung.de/c-kirche-vor-ort/vor-50-jahren-gesprengt_a9103
https://www.halberstadt.de/de/wissenswertes-copy-1445578109/alles-wissenswerte-rund-um-die-domstadt.html#anker_name_18
https://www.wgh.de/die-gruene-genossenschaft/wgh-chronik/der-clara-zektin-ring.html
Nรคchste Folge: Alte Zionskirche Dresden
Mit freundlicher Unterstรผtzung vom Fรถrderverein der Leipziger Denkmalstiftung.
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