Kirchenbauwerke gehören in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Dutzende Kirchen werden heutzutage anders als ursprünglich genutzt, so auch in Dessau.
Die Schloss- und Stadtkirche St. Marien ist Dessaus älteste Kirche, sie gehört gemeinsam mit Rathaus und Stadtschloss zu den herausragenden Bauzeugnissen askanischer Fürstengeschichte. Der einstige Sakralbau ist seit Jahrzehnten eine Veranstaltungs- und Kulturstätte der Stadt.
Ursprünglich war die Kirche ein romanischer Feldsteinbau, sie wurde 1263 geweiht. Fürst Ernst von Anhalt-Dessau legte am 25. Mai 1506 den Grundstein für den Bau einer spätgotischen, dreischiffigen Hallenkirche aus Backstein mit Umgangschor und Westturm, die den romanischen Vorgängerbau ersetzte.
Nach dessen Tod sorgte seine Witwe Herzogin Margarethe von Münsterberg für den Fortgang des Baugeschehens, das 1554 die Baumeister Ludwig Binder und Ullrich Schmiedeberg erfolgreich beendeten.
Das Netz- und Sterngewölbe entstand um 1541, gefolgt vom Einbau der Holzemporen im seitlichen Kirchenschiff, der Anfertigung verschiedener Werke in der Cranach-Werkstatt, der Installation von Kunstwerken aus Holz und Sandstein und schließlich dem Anbau des West-Kirchturms zwischen 1551 und 1554.
Da lag die Kirchweihe schon drei Jahrzehnte zurück: Diese hatte am 15. Oktober 1523 Kardinal Erzbischof Albrecht von Mainz und Magdeburg, ein Gegner der Reformation, vollzogen.
Doch keine elf Jahre später am Gründonnerstag, dem 2. April 1534, zogen die Reformation und der Protestantismus ein.
Es dauerte jedoch noch vier Jahrzehnte bis in die 1570er Jahre, bis Ernsts Nachfolger Georg III. in Anhalt den lutherischen Glauben offiziell einführte. Ab 1780 verantwortete Georg Christoph Hesekiel die Umgestaltung des Kirchen-Innern im Auftrag von Fürst Franz.
Lange Zeit diente die Schloss- und Stadtkirche St. Marien als Grablege der Dessau-anhaltischen Fürsten: In den Jahren 1848 bis 1850 entstand die Gruft im Erdgeschoss des Kirchturms, ihr Portal an der Turm-Nordseite zwischen 1850 und 1852.
Knapp 100 Jahre später, im Zweiten Weltkrieg, fiel die Stadt Dessau weiträumig den Luft-Angriffen zum Opfer. St. Marien trafen am 7. März 1945 Brand- und Sprengbomben: Die Kirche wurde bis auf die Umfassungsmauern zerstört und brannte vollständig aus. Das Inferno überstanden nur drei Cranach-Gemälde, Abendmahls-Geräte und die Kirchenglocken, da diese Sachen ausgelagert worden waren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb der Wunsch der Kirchgemeinde, ihre zerstörte Kirche wieder aufzubauen, ein Wunsch. 1967 vereinigten sich Dessaus zwei Kirchengemeinden zur Evangelischen Kirchengemeinde St. Johannis und St. Marien. Das Gotteshaus blieb jahrzehntelange in seinem damaligen Zustand als Mahnmal gegen Krieg und Zerstörung.
Am 1. März 1983 begann ein neues Kapitel in der Geschichte dieser Kirche: Die Kirchgemeinde schloss an diesem Tag mit dem Rat der Stadt Dessau einen 99-Jahre-Erbbaurechtsvertrag, und damit wurde unter städtischer Regie die Ruine zwischen 1989 und 1998 wieder aufgebaut.
Seitdem ist die Kirche ein Ort für Konzerte, Theater-Aufführungen, Ausstellungen und das jährliche Kurt-Weill-Fest.
Dessaus Marienkirche sieht innen deutlich anders aus als vor der Zerstörung am 7. März 1945: Die Wände zeigen unverputzt das blanke Ziegel- und Feldstein-Mauerwerk und bezeugen so authentisch-rau ihre Entstehung und Entwicklung. Auch gibt es statt gotischem Gewölbe eine eher schlichte, braune Holzbalkendecke.
Die einstige Schloss- und Stadtkirche zu St. Marien ist als besonderer und sensibler Veranstaltungsort eine Stätte vielfältiger Kunst- und Kultur-Erlebnisse – und als ursprüngliches christliches Gotteshaus klar erkennbar.
Koordinaten: 51° 50′ 0″ N, 12° 14′ 49″ O
Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Marienkirche_(Dessau)
https://www.johanniskirche-dessau.de/kirchen/St.-Marien.html
https://verwaltung.dessau-rosslau.de/kultur-tourismus/marienkirche.html/
Nächste Folge: Martinskirche Köthen
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