Zwischen dem Herbst 1933 und dem Frรผhjahr 1934 รผbernahm die in Berlin ansรคssige Verwaltungs-Aktiengesellschaft fรผr kaufmรคnnische Beteiligungen das Geschรคftshaus Schloรgasse 1โ5 / Markgrafenstraรe 2 in Leipzig. Eigentรผmer des Gebรคudes war die August Polich GmbH, die hier das traditionsreiche und renommierte Modehaus August Polich betrieb. Hinter der Verwaltungs-AG stand das niederlรคndische Familienunternehmen C & A Brenninkmeyer. Dass das Textil-Kaufhaus Polich wรคhrend der nationalsozialistischen Diktatur verschwand, ist darauf zurรผckzufรผhren, so ist in diversen Verรถffentlichungen zu lesen, dass ein โjรผdisches Textilkaufhausโ der โnationalsozialistischen Arisierungswelle zum Opferโ gefallen sei.
Wird die Bezeichnung jรผdisches Geschรคft ohne Anfรผhrungszeichen in historischen Betrachtungen zur Zeitgeschichte, wie in Texten รผber das Kaufhaus Polich geschehen, verwendet, werden zeitgenรถssische Befindlichkeiten zur Abgrenzung zwischen Deutschen und Juden unreflektiert weitergegeben.
Ein Ladengeschรคft hat keine ethnischen Eigenschaften; aber die Inhaber kรถnnen beispielsweise Jรผdinnen und Juden sein. Im Fall des Textilkaufhauses Polich waren aber die Inhaber keine Juden, sondern Nichtjuden. Der nationalsozialistische Antisemitismus war hier nicht die Ursache fรผr das Ende des Kaufhauses.
Das Kaufhaus geriet in den Strudel der Weltwirtschaftskrise
Auf dem Hรถhepunkt der 1929 ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise geriet Anfang 1932 das Einzelhandelsgeschรคft August Polich in Zahlungsschwierigkeiten. Die Teilnehmer einer Glรคubigerversammlung, die am 7. April 1932 in Berlin stattfand, verstรคndigten sich auf eine รnderung der unternehmerischen Gesellschaftsform, um einen sich anbahnenden Konkurs zu verhindern. Im Juli 1932 gingen die Glรคubiger auf einen angebotenen Vergleich ein. Das Textilkaufhaus entwickelte eine neue Werbe- und Verkaufsstrategie.
War das Warenangebot bisher im gehobenen Preissegment angesiedelt, wurde nun eine andere Kรคuferinnen- und Kรคuferschicht als Hauptzielgruppe angesprochen: Arbeiter, Angestellte und Beamte mit niedrigem Einkommen. Das Modehaus warb fortan als โDas Textilkaufhaus fรผr Jedermannโ. 1933 wurde die Firma August Polich in eine GmbH umgewandelt. Die bisherigen Firmeninhaber August Walter Polich und Martha Bรผchner, geborene Polich, wurden zu Gesellschaftern.
C & A wollte auch in Leipzig prรคsent sein
Eine wirtschaftliche Konsolidierung gelang der August Polich GmbH nicht. Am Ende musste das Unternehmen Konkurs anmelden. Das Grundstรผck wurde zwangsversteigert und von C & A erworben. Ein firmeneigenes Einzelhandelsgeschรคft sollte in das Geschรคftshaus einziehen. Aber die Kreishauptmannschaft Leipzig als zustรคndige staatliche Mittelbehรถrde erteilte keine Genehmigung. Daraufhin wandte sich C & A an das sรคchsische Wirtschaftsministerium. Auch aus Dresden kam eine ablehnende Antwort.
In einem nรคchsten Schritt intervenierte C & A im Reichswirtschaftsministerium; auch dies hatte keinen Erfolg. Als 1935 die Kreishauptmannschaft Leipzig an seiner ablehnenden Haltung festhielt, setzte C & A ein bedenkliches Zeichen und lieร das Polich-Haus abreiรen, um ein neues Geschรคfts- und Bรผrogebรคude, das Merkurhaus, zu errichten.
Auch im Neubau unterbanden Kreishauptmannschaft und sรคchsisches Wirtschaftsministerium die Erรถffnung eines Kaufhauses. Im Herbst 1937 wandte sich C & A an Hermann Gรถring, der zu diesem Zeitpunkt auch Beauftragter fรผr den Vierjahresplan war. Gรถring setzte sich fรผr das Unternehmen ein und wies das sรคchsische Wirtschaftsministerium an, die Kaufhauserรถffnung zu genehmigen.
Leipzigerinnen und Leipziger mieden anfรคnglich C & A
Wie der Historiker Mark Spoerer in der von ihm verfassten Unternehmensgeschichte, die 2016 erschien, einschรคtzte, mieden die Leipziger zunรคchst das Kaufhaus. Spoerer begrรผndet dies mit Sanktionen, die Beamten und Angestellten im รถffentlichen Dienst angedroht waren, wenn sie oder Familienangehรถrige in โnicht-arischen Geschรคftenโ kauften, und dass vielen Leipzigern die neuen Besitzverhรคltnisse nicht bekannt waren.
Tatsรคchlich wurden auch in Leipzig im รถffentlichen Dienst Beschรคftigte entlassen, wenn bekannt wurde, dass sie in โjรผdischen Geschรคftenโ gekauft hatten. Auf die Umsรคtze wirkte sich diese Gruppe von Nichtkรคufern nur bedingt aus, denn viele Nichtjuden aus Leipzig und dem Umland kauften bewusst in โjรผdischen Geschรคftenโ, um solidarisch mit den jรผdischen Inhabern und Angestellten zu handeln und damit Maรnahmen des NS-Staates offen abzulehnen.
Die von Spoerer gegebene Erklรคrung greift somit ins Leere, da die Polichs Nichtjuden waren, und das Kaufhaus auch nicht als โjรผdisches Geschรคftโ gemieden wurde. Die Ursachen fรผr das zunรคchst schwache Kundeninteresse der Leipziger sind bei der vermuteten Verdrรคngung des Kaufhauses Polich und dem durch den Abriss des Polich-Hauses entstandenen Groll gegen C & A zu suchen.
Nach der zwangsweisen โArisierungโ und Liquidation des โjรผdischen Einzelhandelsโ im Gefolge des November-Pogroms 1938 stieg auch im Kaufhaus C & A Brenninkmeyer der Umsatz in neue Hรถhen.
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