Es fing mal mit einer gar nicht so abwegigen Idee an: Warum nicht für die heute bei Städtereisenden beliebte Stadt Leipzig auch mit einem Kalender werben, der nicht die knallbunten Postkartenseiten Leipzigs von heute zeigt, sondern die Fotoschätze aus den alten Schatzkisten der frühen Fotografie, als noch mit Stativ und Glasplatte fotografiert wurde? „Wir haben davon doch jede Menge“, sagt Dr. Anselm Hartinger, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzigs.
Heißt: Man kann daraus noch ganze Generationen eindrucksvoller Fotokalender machen, die das Leipzig in der Zeit zwischen 1880 und 1930 zeigen, das Leipzig in jener Phase, in der es zur Halbmillionenstadt wurde und eigentlich alles umgekrempelt wurde, was vorher noch beschaulich an nicht so moderne Zeiten erinnerte.
Und Moderne ist auch Thema im neuen Kalender, der sich thematisch gleich mal an das große Thema des Jahres 2020 anlehnt. Denn das Jahr 2020 steht in Sachsen ganz im Zeichen der Industriekultur. Unter dem Motto „Industrie. Kultur.Sachsen.“ wird es im gesamten Freistaat zahlreiche Ausstellungen und Veranstaltungen geben.
Aus diesem Grund widmet sich die 19. Ausgabe des beliebten historischen Leipzig-Kalenders mit dem Titel „Industriekultur in Leipzig“ der Industrialisierung im Leipziger Raum. Die dreizehn großformatigen Motive aus der Zeit zwischen 1897 und 1930 zeigen die Leipziger Industrie in ihrer ganzen Vielfalt: Spinnereien und Textilfabriken sind ebenso dabei, wie Gewerke des Buchwesens und der polygraphischen Industrie, der Maschinenbau und die beeindruckenden Gaswerke, die Großmarkthalle oder der Tagebau und natürlich das Messewesen.
Dabei fanden sich auch ein paar bisher unbekannte Fotomotive aus der Werkstatt des Fotografen Hermann Walter in den Kalender. Denn sein im Stadtgeschichtlichen Museum aufbewahrter Fotoschatz ist noch gar nicht vollkommen aufgearbeitet. Wenn der Betreuer der Fotothek Christoph Kaufmann die Bestände Stück um Stück erschließt, stößt er immer wieder auch auf Überraschungen. So in diesem Fall auch bestechende Architekturaufnahmen aus der Bauzeit des Kohlrabizirkus. Denn dass sich im Atelier Walter so viele Gebäudeaufnahmen aus jener Zeit finden lassen hat damit zu tun, dass das Atelier auch viele Dokumentationsaufträge für die damals entstehenden Neubauten erhielt.
Und der Kalender stimmt gleich auf mehrere Ausstellungen ein, die 2020 in Leipzig auch diese Zeit der Industrialisierung beleuchten. So auch die Ausstellung „Industrie Stadt Mensch – Zeitschneisen in die Leipziger Industriekultur“, die vom 10. Mai bis zum 1. November im Böttchergässchen zu sehen sein wird. Schon vorher, verspricht Hartinger, würden einige neuere Funde aus dem Atelier Hermann Walter in einer kleinen Sonderausstellung gezeigt.
Und natürlich hat die Beschäftigung mit dieser Zeit heute einen besonderen Reiz. Leipzig veränderte sich im Zuge der Industrialisierung rasant. Bis heute ist das Stadtbild unter anderem von ehemaligen Industriekomplexen, erbaut aus rotem Backstein, geprägt. Doch die prächtigen Industriebauten von damals werden heute nur noch selten auch so genutzt. Viele haben in den vergangenen 20 Jahren eine völlig neue Nutzung bekommen. Als kreative Kunst- und Kulturzentren, lichtdurchflutete Ateliers für Architekten, Maler und Designer oder moderne Wohngebäude erleben sie ihre zweite Blüte. Wo einst Schlote rauchten, Maschinen ratterten und tausende Arbeiter ihre Tätigkeit verrichteten, ist in den letzten Jahren neues Leben eingezogen.
Heute finden sich in früheren Fabriken wie der Baumwollspinnerei, dem Tapetenwerk oder dem Kunstkraftwerk Künstlerateliers, Galerien, Museen und Manufakturen. Industriekultur kann man hier wörtlich nehmen. Kulturelle Attraktionen sind auch die in ehemaligen Industriebauten beheimateten Museen, darunter das Panometer Leipzig, das Da Capo Oldtimermuseum & Eventhalle sowie das Museum für Druckkunst. Andere großflächige Industriekomplexe wie die ehemaligen Buntgarnwerke Plagwitz oder die Bleichertwerke wurden aufwendig saniert. Es entstanden schicke Loftwohnungen oder Räume für Start-ups.
Die Aufnahmen im Kalender geben einen (ausgewählten) Eindruck davon, wie die Industriebauten zu ihrer Entstehungszeit aussahen. Die Motive stammen zum Großteil aus dem Atelier Hermann Walter. Zu jedem Bild vermitteln Kurzbeschreibungen, in denen Claudia Hamberger von LTM historische Daten zum Foto erzählt, überraschende und wissenswerte Hintergründe.
Der historische Kalender wird von der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH in Zusammenarbeit mit dem Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig herausgegeben. Er erscheint im Hochformat 40 x 50 cm und in einer Auflage von 2.000 Stück und ist in der Tourist-Information (Katharinenstraße 8, 04109 Leipzig), im Buchhandel sowie in vielen Leipziger KONSUM-Filialen für 19 Euro erhältlich.
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Industrialisierung bedeutete für Millionen Menschen zunächst miserable Arbeitsbedingungen und “Knechtschaft”. Man arbeitete oftmals für den Menschen, in dessen Haus man zur Miete wohnte 6 Tage in der Woche, täglich 10- 14 Stunden. Die schlechte Luft und den Lärm hatte man nicht nur auf Arbeit, sondern in der gesamten Stadt, auch in den viel zu kleinen Wohnungen, in denen es oft noch Schlafgäste gab.
Es ist erstaunlich, wie stark romantisiert man heute über eine Zeit schwadroniert, die für 90% der Bevölkerung äußerst bescheiden war.