Es ist schon erstaunlich, woran in diesem Jahr alles nicht erinnert wird. Neben einigen Staatsgründungen ist das auch ein Jahr, das Demokraten zumindest etwas sagen sollte: das Jahr 1819, das Jahr, in dem die „Karlsbader Beschlüsse“ gefasst wurden und die Demagogenverfolgungen begannen. Aber so etwas ist ja gepflegte deutsche Tradition.

„Als Folge der Demagogenverfolgung wurde der liberalen Opposition im Deutschen Bund die legale Basis entzogen“, kann man im „Brockhaus“ dazu lesen. Deswegen ist es durchaus seltsam, wenn sich heutige Zeitgenossen ausgerechnet in diese Zeit zurücksehnen.

Vor allem, weil das, was damals geschah, so heutig wirkt. Bis hin zu dieser seltsamen Männerrunde im schönen Karlsbad: „Die auf den Karlsbader Konferenzen (06.–31.08.1819) verabredeten Maßnahmen gegen ,demagogische Umtriebe‘ (Demagogenverfolgung) aus Anlass des Attentats des Burschenschafters Karl Sand auf August von Kotzebue (23.03.1819). Die von Österreich (Metternich) und Preußen vorbereiteten, von der Bundesversammlung am 20.09.1819 angenommenen Karlsbader Beschlüsse waren bis 1848 gültig; sie dienten der Unterdrückung nationaler und liberaler Bewegungen.“

August von Kotzebue war der meistgespielte Dramendichter seiner Zeit, galt aber irgendwie auch als Spitzel des Zaren in Moskau. Man hatte zwar 1813 gemeinsam mit den Russen gegen Napoleon gekämpft und die gekrönten Feldherren waren sich im erzkonservativen Denken auch denkbar einig. Aber das empfanden einige Burschenschafter längst als bedrückend. Sie wollten keine russischen Verhältnisse in Deutschland.

Aber die Mächtigen waren nur zu erfreut über dieses Ereignis. Es bot ihnen den Vorwand, das freie Denken in der Öffentlichkeit zu untersagen. Sie glaubten tatsächlich, so könnten sie den Wunsch der Bürger, freier atmen und reden zu dürfen, unterdrücken. Für immer.

Für einen hatte das Folgen, an die er nicht gedacht haben kann, als er sich – nach einem verzweifelten Versuch, als Kapellmeister in Leipzig am Schauspiel unterzukommen – wieder um eine Anstellung im preußischen Staatsdienst bewarb: Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann, jener Bursche, der 1815 beschloss, den (preußischen) Wilhelm aus seinem Namen zu schmeißen und dafür seinen Lieblingskomponisten darin aufzunehmen: den Amadeus von Mozart. Seitdem kennt man den Dichter, der bis dahin vom Dichten nicht leben konnte, als E.T.A. Hoffmann.

Nachdem es 1814 in Leipzig in der berühmten Theatertruppe von Seconda zu Ende war, wurde der studierte Jurist wieder Richter am Kammergericht in Berlin. Der preußische König muss mit seiner Arbeit zufrieden gewesen sein – 1816 wurde er zum Kammergerichtsrat ernannt. Da hatte er gerade „Die Elixiere des Teufels“ veröffentlicht. Vielleicht kannte sie der König nicht. Vielleicht brachte er den Gespenster-Hoffmann, wie ihn seine Leser/-innen liebevoll nannten, nicht mit seinem angestellten Gerichtsrat zusammen. Der Ärger begann ja erst später. Denn es zahlte sich aus, dass dieser kleine Hoffmann jetzt endlich feste Einkünfte hatte, nicht mehr hungernd im Dachstübchen hocken musste. Und er hatte das Komponieren an den Nagel gehängt. Denn sein Unglück war, er war anständig und doppelt begabt. Das geht meistens schief, weil sich einer nicht wirklich entscheidet und konzentriert.

Vielleicht hatten ihm seine Berliner Freunde gut zugeredet, denn er war gesellig, wenn er Geld in der Tasche hatte. Man traf sich in den von ihm so innig geschilderten Weinstuben. Man nannte sich „Serapionsbrüder“, so, wie später wieder ein dickes Buch von E.T.A. heißen sollte, und einer seiner Mit-Serapionsbrüder war der Dichter, Forscher und weltreisende Adelbert von Chamisso. Mancher kennt noch seine Parabel vom „Mann ohne Schatten“. Über die auch zu reden wäre.

Das Unheil kam 1819 schnell über E.T.A. Denn – wie schreibt der „Brockhaus“ so schön knapp: „Im Oktober 1819 wurde Hoffmann ohne sein Zutun Mitglied einer Kommission, die auf Veranlassung Metternichs gegen politische ,Aufwiegler‘, gegen Burschen- und Turnerschaften vorgehen sollte (,Demagogenverfolgung‘). Mit viel Zivilcourage setzte sich Hoffmann für die Betroffenen ein (u. a. für den ,Turnvater‘ F.L. Jahn), weswegen ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wurde.“

So fix sind die Mächtigen, wenn es um das Verfolgen unbotmäßiger Bürger geht. Im August erst haben sie getagt, im Oktober schon wurde die Kommission gegründet. Man kann wohl davon ausgehen, dass König Friedrich Wilhelm II. nur lauter zuverlässige Leute hineinberief. Heißt: Leute, von denen er erwartete, sie würden munter und ohne Federlesen aburteilen, was ihnen an Demagogen vorgesetzt wurde.

Was der Richter Hoffmann nicht übers Herz brachte. Der sich damit ein Disziplinarverfahren einhandelte, das ganz bestimmt so harmlos nicht war, wie es hier steht. Wenn über seine letzten drei Lebensjahre geschrieben wird, wird immer von einem schweren seelischen Leiden gesprochen, das durch diese amtsinterne Maßregelung ganz bestimmt nicht besser geworden ist.

Und dabei hatte er sich nur wie ein ehrlicher Richter betätigt. Denn den später so berühmten Turnvater mochte er persönlich eigentlich nicht. Kurz zuvor hatte er ihn erst in einer Anekdote als berühmten „Hüpf-, Spring- und Schwungmeister“ in eine Tierschau platziert.

Aber als der mittlerweile berühmte Direktor im Preußischen Polizeiministerium Karl Albert von Kamptz in Berliner Zeitungen behauptete, dem seit Juli inhaftierten Jahn seien die Verbrechen Aufwiegelei der Jugend und ein geplanter Mordanschlag auf den Polizeichef bewiesen, klagte Jahn. Hoffmann riet zum Prozess, der Kriminalsenat eröffnete den Prozess auch. „Der Königlich preußische Kammergerichtsrat Hoffmann lud nunmehr den Königlich preußischen Polizeichef von Kamptz zum Termin vor“, schreibt Klaus Günzel genüsslich in seinem Buch mit Dokumenten zum Leben E.T.A. Hoffmanns. „Der allgemeinen Verblüffung folgte schon nach wenigen Tagen eine wahrhaft hysterische Aufregung des Hofklüngels: Das hatte seit Menschengedenken kein beamteter Richter der preußischen Krone gewagt!“

Der Justizminister verfügte die Einstellung des Verfahrens, das Kammergericht gehorchte nicht. Der König schritt ein und ließ das Verfahren einstellen. Fortan war der Herr Richter Hoffmann in Ungnade – und bemühte sich trotzdem weiter um die Freilassung Jahns. Dafür schrieb er sogar ein 100-seitiges Gutachten, in dem er auch Jahns „Schwächen und Verschrobenheiten“ beim Namen nannte. Doch er bekam Jahn nicht frei. Die preußische Regierung schob Jahn auf die Festung Kolberg ab.

Und Hoffmann versuchte tapfer im Staatsdienst auszuharren. „Inmitten eines Ensembles von Lakaienseelen stand er aufrecht und allein …“. Die preußischen Staatsprofessoren verziehen ihm übrigens nie, versuchten sein Werk noch 100 Jahre lang zu diskreditieren. Bis 1918, als dieses Preußen ohne Sang und Klang unterging. Die Lakaienseelen aber blieben, wie man weiß, übrig, und suchten sich ein neues Herrchen, das nichts als gehorsame Befehlserfüller wünschte.

Vielleicht sahen sie den hochdekorierten preußischen Lakaien auch nur zu trefflich geschildert, etwa in der Gestalt des Knarrpanti (der natürlich an von Kamptz erinnert) in „Meister Floh“, der 1822 nur verstümmelt erscheinen konnte.

Und wer selbst nachlesen will, findet die wohl treffendste Stelle im „Vierten Abenteuer“: „Knarrpanti hörte dies alles mit einem selbstzufriedenen Lächeln an und versicherte, dass es seiner ungemeinen Sagazität bereits gelungen, den Täter zu erforschen. Auf die Erinnerung, dass doch eine Tat begangen sein müsse, wenn es einen Täter geben solle, meinte Knarrpanti, dass, sei erst der Verbrecher ausgemittelt, sich das begangene Verbrechen von selbst finde.“

Da weiß man zumindest, woher das selbstzufriedene Lächeln kommt. So lächelt die Macht, wenn sie Flöhe fängt.

Die Serie „Nachdenken über …

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