Du sollst was lernen, sprach der Autor, und ließ einen Künstler auftreten. Längst ist Heinrich Mann über jeglichen Pardon für diesen schauspielernden Kaiserdarsteller Wilhelm Nr. Zwo hinweg. „Der Untertan“ ist längst zu einer Abrechnung mit einer peinlichen Zeit geworden und auch deshalb ein zutiefst deutscher Roman. Denn mit der Theatralik deutschen Heldenschwulstes trifft er ins Mark des heiligen Patriotismus.
Und jetzt lässt er auch durchgucken, dass er mit Diederichs millionenteuren Plänen für ein Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Netzig eigentlich einen ganz anderen Größenwahnsinnigen karikiert hat: Wilhelm II. und seine 1895 in Auftrag gegebene Siegesallee in Berlin, von der heute vielleicht noch ein paar Berliner wissen. Dass sie aber genau zu der Zeit, als „Der Untertan“ spielte, ein ganzes Land zum Lachen brachte, findet man in Spuren noch auf den zugehörigen Beiträgen der Wikipedia.
Natürlich findet man in der Reihe der bis 1901 vollendeten Statuen für diese preußische Geschichtsinszenierung keinen Markgrafen Hatto, der Gewaltige. Den gab es einfach nicht. Nicht einmal zu Zeiten der Askanier, deren erster Markgraf – Albrecht der Bär – einst die Heldenallee eröffnete, die wie ein Bilderbuch preußischer Geschichte wirkte und ziemlich genau zeigte, wie Historiker damals Geschichte aufzufassen pflegten: Als eine Geschichte großer, gewalttätiger Männer.
Indem Heinrich Mann einfach mal einen Hatto dazuerfindet, zeigt er schon einmal, was er von dieser Art preußischer Geschichtsklitterung hielt. Und die Zeitgenossen hielten sich mit Spott über die Figurenauswahl, die Kostüme, Beinstellungen und Dazuerfindungen auch nicht zurück.
Natürlich gab es in der Galerie auch keinen Mönch Tassilo, „der an einem Tage hundert Liter Bier trinken konnte“, und auch keinen Ritter Klitzenzitz, „der die Berliner roboten lehrte, wenn sie ihn dann auch hängten“. An der Stelle muss Tucholsky lachend aus dem Lehnstuhl gepurzelt sein. Er kannte ja die Siegesallee noch. Erst im Zweiten Weltkrieg wurde sie zerstört. Die Reste der Statuen stehen zum Teil in der Zitadelle Spandau.
(Und bemerkenswert: Heinrich Mann benutzt hier das Wort roboten noch ganz im ursprünglichen Sinn, der an die slawische Herkunft des Wortes Roboter erinnert. Nicht zu vergleichen mit unserem seltsamen heutigen Verhältnis zu Robotern.)
Darunter auch der Rumpf des Ritters Wedigo von Plotho, der einst zur Seite der von August Kraus geschaffenen Statue von Heinrich II., genannt Heinrich das Kind (1308-1320), stand. Den Kopf muss sich ein Zille-Verehrer eingesackt haben. Denn das Gesicht des Bauernschlächters hatte Kraus nach dem Gesicht seines Künstlerfreundes Heinrich Zille gestaltet, worüber sich die Berliner natürlich zu Recht bekringelten.
Heinrich Mann ist also mit seiner Sicht auf Wilhelms prächtige Siegesallee nicht allein. Und dass er jetzt einen Neffen des Bürgermeisters Scheffelweis als Künstler auftauchen lässt, ist dann schon die fröhliche Ouvertüre zum großen Finale. Auch wenn man späterhin stutzt und sich fragt, wie sehr einen eigentlich Wolfgang Staudtes Verfilmung des „Untertan“ 1951 mit falschen Bildern versehen hat. Denn im Kopf hat man ja: Es ist das Unwetter bei der Denkmalseinweihung, mit dem das Ganze endet. Stimmt aber nicht.
Auch wenn einen der Wilhelm auf dem Pferd, der in Staudtes Film zu sehen ist, erstaunlich an den Wilhelm vom Leipziger Siegesdenkmal erinnert, das 1946 demontiert wurde. Zum Glück, muss man sagen, sonst müssten wir jedes Jahr einen neuen Band mit Witzen über dieses aufgebrezelte Kolossaldenkmal veröffentlichen. Nicht auszudenken. Selbst im Wikipedia-Artikel klingt ja so eine Spur Wehmut an, als hätte der Autor hier das Gefühl, etwas verloren zu haben.
Der muffige Hauch des preußischen Militarismus ist ja nicht ganz verschwunden. Leider. Denn er hat ja mit der unsterblichen Anbetung der gnadenlosen Macht zu tun, die heute wieder durch die Gazetten weht. Darum geht es ja auch bei diesem Diederich, der sich auf den vorhergehenden Seiten nur zur gern zur Marionette des Herrn von Wulckow, des preußischen Regierungspräsidenten, gemacht hat, um selbst Teil der Macht zu werden und binnen weniger Jahre zum einflussreichsten Mann im Netziger Stadtrat.
Aber Wulckow lässt ihn jetzt spüren, dass er ihn nur für eine Marionette hält. Herr von Wulckow ist beleidigt – abgespeist mit einer Ehrengabe von 2.000 Mark als Ehrenvorsitzender des Denkmalsvereins, zeigt er Diederich, wie Standesschranken in Deutschland aussehen – Rang und Uniform zählen nämlich, nicht Amt. Und so wird Guste von ihm einfach mal ein Sitzplatz auf der „Tribüne der offiziellen Damen“ verweigert.
Sage keiner, das sei bei offiziellen Anlässen heute anders. Es ist noch genauso – auch wenn nicht mehr so viele Generalsuniformen und Adelsnasen dort auftauchen. Auf Rang und Stand nimmt die Etikette noch immer Rücksicht. Wer nur ein einfacher Malocher ist, der steht hinter der militärischen Absperrung beim Volk an der Brandmauer.
Auch das so eine Szene, die im Film nicht vorkommt, denn der Blitz trifft das alte Haus mit der schäbigen schwarzen Brandmauer – und Herr von Quitzin macht noch einmal ordentlich Reibach.
Aber so weit sind wir noch nicht. Denn Diederich glaubt, mit diesem von Wulckow ringen zu können, und sorgt mit seinem Einfluss auf die Presse dafür, dass Herr Generaldirektor Heßling mit Frau im Zusammenhang mit dem Denkmal groß abgebildet wird – der Herr Regierungspräsident aber nicht. Hat er die Macht der modernen Medien erkannt?
Aber auch der bärbeißige Herr von Wulckow ist eitel – und jetzt scheint etwas zu passieren, was Diederich in tiefstem Herzen freut: Mitten auf der Straße spricht der gewaltige Regierungspräsident seine Guste an und erklärt, die Sache sei ein Missverständnis. Diederich scheint obenauf – nun scheint er auch noch den mächtigsten Mann in Netzig kleingekriegt zu haben und prophezeit schon seinen Untergang.
„Jetzt sieht er, es gibt noch andere Mächte.“
Und er glaubt tatsächlich, von Wulckow fertigmachen zu können, indem er jetzt ausgerechnet seinen ehemaligen Maschinenmeister und jetzigen Reichstagsabgeordneten Napoleon Fischer dazu anstachelt, die Schiebungen rund um das Kaiser-Wilhelm-Denkmal in einer Reichstagsrede öffentlich zu machen. Das glauben ja heute noch viele Leute, dass eine mächtig-gewaltige Rede im Parlament reicht, und finstere Machenschaften werden aufgedeckt und die Missetäter sofort entlassen und ans Kreuz genagelt. Wirkung erreicht die Rede, keine Frage.
Doch was justiziabel wird, entscheidet in so einem Reich noch immer die Mehrheit derer, die an der Macht partizipieren. „Das Haus urteilte, indem es dem Herren Minister Beifall klatschte. Parlamentarisch war der Fall erledigt, es erübrigte nur noch, daß auch die Presse ihren Abscheu äußerte und, soweit sie nicht einwandfrei gesinnt war, ganz leicht dabei mit dem Auge zwinkerte.“
Sieht man hier Heinrich Mann selbst zwinkern?
Denn Zeiten, in denen die Presse schreiben durfte, was sie wollte, waren das nicht. Es sei denn, die Redakteure waren kaisertreu bis in die Knochen. Napoleon Fischer ist durch sein Reichstagsmandat immun – die Redakteure der SPD-Zeitungen, die über seine Rede schrieben, sind es nicht. Und reihenweise landen sie jetzt vor Gericht – auch wieder der Redakteur der Netziger „Volksstimme“.
Und Diederich muss einsehen, dass er sich als kleiner Emporkömmling mit der Macht nicht anlegen kann. Er geht mit Guste zum Regierungspräsidentenbesuch. Der bekommt hernach eine ganze Seite in der „Woche“.
„Diederich überzeugte sich, daß der gebührende Abstand wieder hergestellt war. Die Macht blieb, auch unter modernen Lebensbedingungen einer großzügigen Öffentlichkeit, unangreifbar wie je – was ihn trotz allem tief befriedigte.“
Der große Tag kann kommen.
Wir blättern um.
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