Am liebsten möchte man durchstürmen, aufs Finale hin in diesem Buch. Das ein zutiefst satirisches ist, was man nur merkt, wenn man immer wieder zu diesen Sätzen zurückkehrt, in denen Heinrich Mann seine ganze Ironie verpackt hat. Sätze, die man in heutigen Bestsellern selten bis nie liest, weil die Autoren aus lauter Ernsthaftigkeit gar nicht mehr wagen, aufmüpfig zu sein mit Sprache. Oder umstürzlerisch, wie Diederich Heßling sagen würde. Denn Seinesgleichen nimmt sich so ernst, dass es schon clownesk wirkt.

Borstensteif stecken sie in ihrer Auserwähltheit fest. Kaum zu glauben, dass dieselben Typen heute Rabatz machen und auf „die Elite“ schimpfen, obwohl sie es selbst sind. Keine besonders dolle Elite. So wie dieser Gottlieb Hornung, den Diederich schon in Berlin getroffenen hat, Apothekersohn, aber nun studiert und vor allem in derselben Burschenschaft sozialisiert wie Diederich, der Neutonia.

Und dort haben sich ja die Herren Studenten gegenseitig beigebracht, was man unter kommensurabler Haltung zu verstehen habe. Da kann man immer wieder – wie Diederich – in peinlichste Situationen geraten, man erklärt sich die Peinlichkeit einfach zurecht, setzt die steife Maske auf, nichts gewesen. Erst recht, wenn einen einer in hoher Machtposition oder Uniform so richtig zur Sau gemacht hat.

Alles ist Rolle und Einordnung und Dünkel. Den kehrt man dann heraus, wenn man – wie Hornung – auf einmal zu niederen Tätigkeiten herangezogen wird: Bürsten und Schwämme verkaufen. Wo er doch ein Studierter ist und nur für Rezepturen zuständig.

Fünf Stellungen hat es den eingebildeten Pinsel schon gekostet. Aber Diederich kann den überkandidelten Neuteutonen gut gebrauchen. Denn jetzt will er ausziehen zur Schlacht und jemanden jagen, wie das ja im Teutonendeutsch so schön heißt. „Diederich bedachte, daß Gottlieb Hornung eben vermöge seiner aristokratischen Richtung, die ihm beim Verkauf von Schwämmen und Zahnbürsten so hinderlich war, im Kampf gegen die Demokratie ein wertvoller Bundesgenosse werden könne.“

Dabei hatte nur Guste, da sie ja von Rom so überstürzt aufgebrochen waren, nur eine Zahnbürste kaufen wollen. Die Netziger Lümmel stehen an der offenen Apothekentür und feixen sich eins, wie Hornung sich standhaft weigert, Dinge zu tun, die unter seiner neuteutonischen Ehre sind.

Und solche Typen kann Diederich gebrauchen. Denn Diederich muss einen Kandidaten aufstellen. Der Reichstag ist ja aufgelöst. Die Reichstagssitze sind neu zu besetzen. Der alte Kühlemann tritt zwar nicht mehr an. Aber Diederich hat ja einen Deal. Schriftlich niedergelegt. Wir haben es ja gesehen, als er mit den Sozis bei Klappsch in der Kneipe saß: Jetzt muss er seinem Maschinenmeister Fischer zu einem Reichstagsmandat verhelfen. Das kriegt Fischer aber nur, wenn die Freisinnigen, die in Netzig seit Jahren den Ton angeben, nicht gewinnen. Also muss ein knallharter Nationaler her, der den Freisinnigen Stimmen abjagt. Einer, der nicht Diederich ist.

Nur dass Major Kunze, den Diederich dafür auserkoren hat, so doof nicht ist, dass er an einen Sieg glaubt: „Ein nationaler Kandidat in Netzig, was dem passiert, darauf bin ich nicht neugierig. Wenn alles so gewiß wäre wie der nationale Durchfall!“

Er lässt sich trotzdem breitschlagen und Diederich verspricht ihm auch noch ein Denkmal, gleich gegenüber vom geplanten Kaiserdenkmal. Und als der Alte ihn trotzdem drängeln will, schlüpft er – wer hatte das gedacht – in die Opferrolle. Die lieben unsere Patrioten über alles. Immer haben sie zu leiden, zu tragen und zu ertragen, immer wird ihnen was zugemutet.

Diederich: „Dabei habe ich mich nicht gescheut, als Vorkämpfer der guten Sache, allen Haß der Schlechtgesinnten auf meine Person zu laden, und hab es mir dadurch unmöglich gemacht, die Frucht meiner Opfer selbst einzustecken. Mich würden die Netziger nicht wählen …“

Der Schmalz kommt an bei seinen nationalen Freunden. Bravo! Und der Major lässt sich breitschlagen, ahnt aber, dass Diederich wieder heimliche Absprachen getroffen hat. „So ganz koscher kommt Ihnen die nationale Sache auch nicht vor, und daß Sie mich durchaus rankriegen wollen, wie ich Sie kenne, Herr Doktor, hängt das mit irgendwelchen Fisimatenten zusammen, von denen ich als grader Soldat gottlob nichts verstehe.“

Da hat er wohl recht: Ganz koscher ist die Sache nicht. Und von all der nationalen Tünche bleibt nicht viel übrig, wenn man genauer hinschaut. Stattdessen verspricht Diederich alles mögliche, jeder kuhandelt ein bisschen: dem Major einen Orden, dem Pastor Zillich eine neue Kirche, dem kriegslüsternen Kühnchen die Rektorstelle im Gymnasium, Diederich hat’s ja …

Die patriotischen Jäger verteilen schon mal die Felle. „Gesunde Grundlagen der Interessen“ nennt es Heinrich Mann in seiner feinsinnigen Art und lässt sich die Herren Vorkämpfer der Begeisterung hingeben, die „von Gott kam und auch der besten Sache erst die höhere Weihe lieh, und so begab man sich in den Ratskeller.“

Da wird man misstrauisch, wenn weihevolle Worte von nationaler Sache schwärmen: Wessen „gesunde Interessen“ werden da bedient? Wer macht seinen Reibach bei der Sache – außer dem Wirt vom Ratskeller?

Wir ahnen es schon.

Und blättern um.

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