Was nach Diederichs beschämendem Gespräch mit dem alten Bürgermeister Scheffelweis folgt, ist ganz mieses Schmierentheater. Auf jeder Bühne würde das peinlich wirken. Und man würde es auch als Klamotte abtun, wenn einem diese Kratzfüße von Leuten, die sich bei mächtigen Tieren anwanzen, nicht so schrecklich vertraut wären. Egal, ob ein Minister einfliegt oder ein Präsident von Sonstwas sich mal zum Banddurchschneiden einfindet.
Nur dass diese beiden mehr oder weniger allein sind – das „Bürgermeisterchen“ nimmt dieser Regierungspräsident von Wulckow ja nicht ganz so ernst. Wie er das ganze demokratische Verfahren nicht ernst nimmt. In seiner Welt gibt ein Regierungspräsident dem Bürgermeister noch Anweisungen, die schnurstracks zu befolgen sind. Etwa bei der Abschaffung der Arbeitsnachweise. Ihm ist egal, ob dadurch die Arbeitslosigkeit in Netzig niedrig ist. Ihn interessieren nur die billigen Arbeitskräfte für seine Ländereien: „Dafür, daß es weniger Arbeitslose gibt, will ich nicht bluten. Mein Geld ist mein Geld.“
Das nennen diese Brachialegoisten dann meist eine patriotische Haltung und Wirtschaftskompetenz.
Es ist eine doppelte Szene, denn von Wulckow, seine kreative Gattin und Diederich beobachten das Spiel auf der Bühne ja durch den Türspalt. Drinnen geht das ganze Blaue-Blut-Theater über die Bühne, ist sich das adelige Zimmermädchen zu fein, den Klavierlehrer zu heiraten und das ganze Publikum schmachtet mit, weil alle – durch deutsche Märchen verdorben – heftigst daran glauben, dass blaublütige Gräfinnen auch dann erkannt werden, wenn sie Kaffee eingießen. Oder Tee. Das Publikum ist ja noch genauso. Ganze Medienimperien leben von dieser Wundertütelei der kleinen Bürger, die felsenfest daran glauben, dass ein von vorm Namen aus einem Klops ein Schneewittchen macht.
Und weil ja Diederich von Größerem träumt, lobhudelt er der Autorin gegenüber alles über den Klee. Auch wenn man merkt: Er tut’s mit Absicht. Er will sich einschmeicheln. Und vor allem will er sich Sporen verdienen in den Augen des Regierungspräsidenten, der seine Macht rücksichtslos ausnutzt und nicht nur den Bürgermeister einschüchtert, der auch in Wilhelms Reich nicht einfach so kann, wie der polternde Regierungspräsident befiehlt.
Der Magistrat beschränkt seine Macht. Logisch, dass er sich hin- und hergezerrt fühlt. Erst recht, weil die neuen Deutsch-Nationalen sich rücksichtslos benehmen. So wie die bayerischen Nationalen von heute. Und die anderen Nationalen sowieso. Es ist immer dieselbe Masche. Weil sie augenscheinlich in einer Welt leben, in der nur noch Brachialpolitik als akzeptabel gilt. Als hätten wir alle vergessen, wie wertvoll Übereinkünfte sind, das gemeinsame Suchen nach Lösungen und Respekt auch und gerade für die Schwächeren.
Und nun das, diese Typen, die andere behandeln wie Dienstboten. Da klingt es fast nett, wenn Heinrich Mann diesen bauchschwenkenden Landjunker als „sorgenvollen Menschenfresser“ beschreibt. Dabei sortieren die beiden da draußen am Buffet schon mal den Stadtrat von Netzig um. Denn die Verurteilung des Fabrikanten Lauer hat noch eine Folge: Er fliegt aus dem Rat.
Der Platz muss neu besetzt werden, ebenso der des jungen Buck. Was schon verblüfft: Da hat es Wolfgang Buck ja schon erstaunlich weit gebracht. Nun sind zwei Plätze frei, die neu besetzt werden müssen. Und Diederich meldet sich schon mal an, als Kaisertreuer zu kandidieren – und dann dafür zu sorgen, dass alles anders wird.
„Ich würde das Opfer bringen. Unsere städtischen Körperschaften haben zuwenig Mitglieder, die in nationaler Beziehung zuverlässig sind.“
Sie wollen Karriere machen und reden von Opfern. Diese Diederiche. Und bevor sie sich zum Opfer bringen, verteilen sie schon mal die Beute. Denn auch im Reichstag wird bald ein Platz frei, denn der freisinnige Abgeordnete Kühlemann aus Netzig ist sichtlich schon hochbetagt. Sein Testament hat er auch schon gemacht und alles der Stadt vermacht. Ein Säuglingsheim könnte man davon bauen, wagt Bürgermeisterchen Scheffelweis einzuwerfen. Aber da hat er das „Ach so“ von Diederich schon weg. Der denkt jetzt schon daran, das Geld lieber für „eine nationale Sache“ auszugeben. Kein Säuglingsheim.
Es werden also schon mal Pläne geschmiedet für baldige Wahlen, während drinnen im Saal auf der Bühne die verkappte Gräfin den adeligen Leutnant wohl doch nicht bekommt. Wer keine Pinkepinke hat, kann auch nicht nobel heiraten. Und außerdem soll ja die Länderei nicht zerstückelt werden.
Da walten dann wohl „höhere Mächte“. Und Diederich wird ganz romantisch zumute.
„Der Leutnant hätte die heimliche Gräfin auch ohne Geld heiraten sollen, es würde Diederich tief befriedigt haben in seinem weichen und idyllischen Herzen. Aber ach! Diese harte Zeit dachte anders.“
Da ist sie also hingebreitet, die sentimentale Seele des braven Diederich, der jetzt die ganze Zeit vor von Wulckow gekatzbuckelt hat und dessen begabter Gemahlin fortwährend Honig ums Maul geschmiert hat, um nur angeschaut und für akzeptabel befunden zu werden, akzeptiert im Geruchskreis des Mächtigen, der hier nun einmal von Wulckow heißt. Und der es vor allem ist, weil er keine Rücksichten nimmt. Irgendwie kommt einem das verflixt bekannt vor. Als wäre dieser Typus, der Politikmachen vor allem als Niederwalzen und Brüskieren versteht, nie weg gewesen und neuerdings wieder frisch am Werk. Es riecht regelrecht nach Mottenpulver, Haarfärbemittel und ungewaschenen Pfoten.
Armes Netzig.
Aber es wird noch peinlicher.
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