Für FreikäuferLZ/Auszug aus Ausgabe 51Es ist eine historische Entdeckungstour der besonderen Art. Aktuell umfasst sie bis zu 25 Stationen und führt den neugierigen Fußballfan an bedeutungsvolle Orte der Leipziger Fußballgeschichte. Immerhin eine, die den DFB hervorbrachte und zu ersten Kicks an einer heute vollkommen vergessen Stelle führt. An manchem Platz erinnert rein gar nichts mehr daran, dass hier einmal große Spiele stattgefunden haben. An anderen Stellen sind zumindest noch ein paar Grundzüge der früheren Sportanlage zu erkennen. Doch auf einigen Anlagen wird auch heute noch auf traditionsreichem Boden dem Ball hinterhergejagt.
Zusammengestellt hat diese Route der Leipziger Fußballhistoriker André Göhre. „Ich habe es mir zum Hobby gemacht, in der Geschichte von Leipzig zu stöbern und fand dort auch viele der ehemaligen Sportplätze. Seit etwa zwei Jahren biete ich nun diese Stadtführungen an“, verrät der 50-Jährige, dem die Auswahl seiner Stationen wirklich schwerfiel, „denn auf fast jedem Sportplatz hat irgend eine berühmte Mannschaft gespielt oder waren bedeutsame Ereignisse geschehen“.
Ich traf mich mit André Göhre, um die Geheimnisse von ein paar der wichtigsten Stationen der Tour vor Ort zu entdecken.
1.) Die Bauernwiesen
Es wirkt etwas unaufgeräumt an unserer ersten Station an der Fockestraße. Wildes Gesträuch und die Reste von gefällten Bäumen haben das geschichtsträchtige Sportareal komplett verschwinden lassen. Doch hier, am Fuße des Fockeberges, nahm das organisierte Fußballspielen in Leipzig seinen Anfang.
Es waren die Turner der „Vereinigten Riegen“ des ATV Leipzig, die auf den sogenannten Bauernwiesen am 3. Juni 1888 erstmals Schlagball und Fußball spielten und die erste organisierte Fußballmannschaft bildeten. Immerhin 40 Jahre lang wurde an dieser Stelle Sport getrieben, bis das Amt für Leibesübungen im Februar 1928 die Bauernwiesen als Sportplatz sperrte. Damit mussten sich die inzwischen ansässigen Vereine BC Union, FC Corso und VfR Leipzig nach neuen Spielstätten umschauen.
2.) Verein Sportplatz Leipzig/Lindenau
„Mein Highlight ist nach wie vor der ehemalige Sportplatz Leipzig/Lindenau, weil dort der VfB Leipzig und viele andere Mannschaften aus Leipzig den Grundstein zu ihren großen Erfolgen gelegt hatten. Leider ist der Platz heute nur noch rudimentär vorhanden“, sagt Göhre.
Zwischen dem Straßenbahnhof Angerbrücke und dem Gelände der Kleinmesse schlagen wir uns in die Büsche, um vielleicht doch noch ein paar Artefakte der 1892 eröffneten Sportanlage zu entdecken, die zunächst als Radrennbahn erbaut worden war. Später kam ein Fußballfeld hinzu und mehrere Fußballmannschaften mieteten sich auf dem Gelände ein – unter anderem der erste deutsche Meister VfB Leipzig.
Ende der 1920er Jahre verlor der Sportplatz an Bedeutung, weil sich die ansässigen Vereine eigene Spielstätten errichteten. Im Jahr 1938 schließlich wurde die Anlage komplett abgetragen und teilweise gesprengt, da hier die Gutenberg-Reichsausstellung stattfinden sollte. Auf unserem Streifzug entdeckten wir ein paar in den Waldboden eingelassene Ziegelsteine.
Waren es Reste historischer Zuschauertraversen – oder stand hier in späteren Jahren einfach nur eine Bockwurstbude?
3.) Die Spielvereinigung 1899 Leipzig
Endlich gab es bei strahlendem Sonnenschein tatsächlich auch einen Fußballplatz zu begutachten. Denn die dritte Station führte uns in die Demmeringstraße zum Vereinsgelände der Spielvereinigung Leipzig. Die SpVgg wurde 1899 gegründet und war seinerzeit der stärkste Konkurrent des VfB Leipzig. Viermal holte sie die Mitteldeutsche Meisterschaft und nahm fünfmal an der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft teil, wo sie zweimal das Halbfinale erreichte.
Die noch heute benutzte Spielstätte samt Vereinsheim weihte die SpVgg im Oktober 1911 mit einer Partie gegen den VfB Leipzig ein – damals trug sie den Namen „Spielvereinigungs-Sportpark“. Im Jahr 1947 wurde die Anlage in Gedenken an den im Zuchthaus Waldheim verstorbenen Kommunisten und Widerstandskämpfer in „Karl-Enders-Sportpark“ umbenannt. Nach dem 2. Weltkrieg verblasste der sportliche Ruhm. Mit mehreren Namensänderungen ging es durch die DDR-Zeit (SG Lindenau-Hafen, BSG Fortschritt West, BSG Motor Lindenau), bevor die politische Wende 1990 den traditionellen Namen Spielvereinigung 1899 Leipzig wiederbrachte.
An die großen sportlichen Erfolge konnte allerdings nicht mehr angeknüpft werden. Die 1. Mannschaft der SpVgg kickt heute in der Stadtklasse. Ein Besuch in der Demmeringstraße lohnt sich trotzdem, denn „das Vereinsheim ist noch weitestgehend original aus dem Jahr 1911 erhalten geblieben“, erklärt Göhre und schwört: „Das Essen sowie das Bier schmecken dort hervorragend, und man bekommt es zu humanen Preise. Ein Geheimtipp für alle Leipziger Fußballfans“.
4.) Das DFB-Gründungshaus
Unweit des Hauptbahnhofes, im Schatten des Wintergarten-Hochhauses, liegt die Büttnerstraße, die früher Carlsstraße hieß. Hier wird momentan das Hofmeister-Haus für den solventen Immobilien-Käufer hergerichtet. Der historische Hintergrund des Gebäudes darf als Verkaufsargument natürlich nicht fehlen: „Weltmeisterlich wohnen. DFB Gründungsstätte“, steht auf einer Werbeplane am Giebel des Hauses.
Es war am 28. Januar 1900, als sich im damals hier befindlichen Restaurant „Zum Mariengarten“ Vertreter von 86 Fußballvereinen im Rahmen des „Ersten Allgemeinen Deutschen Fußball-Tag“ zusammenfanden und den Deutschen Fußball-Bund (DFB) gründeten. Fünf Leipziger Vereine waren mit dabei: Leipziger BC, FC Lipsia, BV Olympia, VfB Sportbrüder und der FC Wacker. Zum ersten DFB-Präsidenten wurde Ferdinand Hueppe vom DFC Prag gewählt – übrigens damals mit 47 Jahren der älteste Anwesende!
Im selben Jahr wurde hier am 26. Dezember außerdem der Verband Mitteldeutscher Ballspiel-Vereine (VMBV) aus der Taufe gehoben, sozusagen der älteste Vorgänger des heutigen Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV). Bei beiden Gründungen waren VfB-Akteure federführend. Anlässlich des 100. Jahrestages des DFB wurde am 28. Januar 2000 am Haus eine Gedenktafel eingeweiht.
5.) S.K. Bar Kochba
Wir machen uns auf den Weg in den Leipziger Norden. An der Delitzscher Straße, direkt neben dem Parkplatz des Hornbach Baumarktes, geht es für uns wieder durch dichtes Gestrüpp. Leicht erhöht, von einem kleinen Hang aus, öffnet sich uns der Blick über den einstigen Fußballplatz des S.K. Bar Kochba. Zumindest die Umrandung des Spielfeldes kann man noch immer erkennen.
„Das hier ist einer der wichtigsten Punkte meiner Führung“, macht André Göhre deutlich. Im Jahr 1920 hatten 60 Fußballer jüdischer Abstammung den Verein gegründet, der sich eines raschen Mitgliederzuwachses erfreute. So konnte zwei Jahre später dieser Sportplatz erworben und mit einem Spiel gegen den FC Hakoah Zürich eingeweiht werden. Mit der Machtergreifung der Nazis im Jahr 1933 begannen die Repressalien.
Bar Kochba wurde aus dem Gau Groß-Leipzig ausgeschlossen und durfte nur noch Spiele gegen andere jüdische Vereine austragen. Dafür musste der Platz mit einem Sichtschutz („Judenmauer“) umgeben werden, um die arischen Deutschen nicht zu „belästigen“. Die ständigen Schikanen führten Anfang 1939 zur Auflösung des Vereins, dessen Gelände an die Stadt Leipzig überging.
Nach dem Krieg, den viele der einstigen Bar Kochba-Sportler nicht überlebt hatten, trug auf dem Gelände die BSG Leipzig-Nord ihre Spiele aus. Die Wende 1990 brachte das sportliche Aus für die Sportanlage, die nun verwilderte und zuwucherte. Auf dem Hang, der einst Zuschauertribüne war, werden wir durch die üppige Vegetation in unserem Forscherdrang gebremst. Überall an der Kleidung haften Kletten, und ohne Machete ist ein Durchkommen nicht möglich.
Hier und da liegen Trümmer der alten Anlage herum. Erst vor wenigen Monaten wäre die geschichtsträchtige Stätte um ein Haar komplett dem Bagger zum Opfer gefallen. Für den Bau eines Autohaus-Parkplatzes wurden unter anderem Reste der „Judenmauer“ sowie ein Gedenkstein abgerissen. Bürgerprotesten und gesellschaftlichem Engagement ist es zu verdanken, dass ein sofortiger Baustopp verhängt wurde.
Der Schaden war jedoch bereits immens. Mauerteile und Gedenkstein sollen nun geborgen werden und doch noch eine Gedenkstätte für den Verein Bar Kochba entstehen.
Zeiten für historische Sport-Führungen in Leipzig: individuell zu vereinbaren. Ansprechpartner: André Göhre per Mail unter: andre.goehre(at)netzwerk-blau-gelb.de. Preise: auf Anfrage, Sprachen: Deutsch, Englisch (auf Anfrage / on request)
Den 2. Teil der fußballhistorischen Entdeckungsreise lesen Sie in der nächsten Ausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG ab dem Freitag, 23. Februar 2018.
Bereits erschienene Zeitreisen durch Leipzig auf L-IZ.de
Der Leipziger Osten im Jahr 1886
Der Leipziger Westen im Jahr 1886
Leipzig am Vorabend des I. Weltkrieges 1914
Einblicke in die Jüdische Geschichte Leipzigs 1880 bis 1938
Alle Zeitreisen auf einen Blick
Die Januar-LZ im Handel: Silvesterknaller, Treuhandschatten, Sondierungs-Gerumpel und eine Stadt in der Nahverkehrs-Klemme
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