Viele Dinge würden in Leipzig gar nicht geschehen, wenn es nicht die fleißige Vorarbeit von Bürgern gebe, die sich für etwas mit ganzer Kraft engagieren und Dinge aus dem Grau des Vergessens holen. Das war beim Rabensteinplatz der Fall, der in diesem Jahr endlich wieder instandgesetzt wurde – wenn auch diesmal ohne Spielplatz und auch noch ohne die Bronzefiguren vom einst beliebten Froschbrunnen.
Aber 2018 wird auch der Froschbrunnen mit den spielenden Kindern des Künstlers Werner Stein wieder in Betrieb gehen, verspricht die Leipziger Stadtverwaltung. Und mit der Stele auf dem Platz bekommen die Besucher auch lauter Informationen zur Geschichte dieses Fleckchens Leipziger Erde, das bis zum vergangenen Jahr regelrecht trostlos vor sich hin verwilderte. Das konnte der Stadthistoriker Manfred Wurlitzer einfach nicht mehr mit anschauen.
Schon um die Erinnerung an das Grab der beiden Gellert-Brüder hat er sich intensiv eingebracht. Denn so richtig viel Initiative, 2015 den 300. Geburtstag des Dichters Christian Fürchtegott Gellert zu feiern, hatte die Stadt Leipzig ja nicht gezeigt. Nach der eiligen Umbettung der Gebeine der beiden Gellert-Brüder 1968 aus der zur Sprengung vorgesehenen Paulinerkirche auf den Südfriedhof zierte eine nüchterne Platte das dort fast vergessene Grab. Das Gellert-Denkmal in der Lennéanlage kennt zwar mancher. Aber wenn es um die eigenen Dichter geht, ist Leipzig geradezu geschichtsvergessen.
Mit einer Broschüre half Manfred Wurlitzer damals der Leipziger Erinnerung ein bisschen auf die Sprünge. Darin ging er auch darauf ein, dass Gellert einst eine eigene Gruft in der Johanniskirche hatte, die bis zu ihrer Kriegszerstörung auf dem Johannisplatz stand. Und da ist man schon dicht am Rabensteinplatz. Geschichtsträchtiges liegt hier alles nah beieinander. Mittlerweile erinnern auch Bronzetafeln an der Einfassung des Johannisplatzes an seine Geschichte. Die Reste des Alten Johannisfriedhofs hinterm Grassi-Museum kennen die Leipziger Geschichtsliebhaber.
Nur der Rabensteinplatz an der Spitze von Dresdner Straße und Täubchenweg war zu einer simplen Hundewiese mit Birkeneinfassung geworden. Kein bisschen Aufenthaltsqualität, kein bisschen Erinnerung an die 600-jährige Geschichte des Platzes, der seinen Namen ja von den Leipzigern erhielt, weil die Stadt hier ab dem 15. Jahrhundert ihr Oberes Gericht unterhielt – die Hinrichtungsstätte fürs Rädern und Köpfen.
Das Hochgericht lag noch ein Stück weiter östlich am Gerichtsweg. Dort erinnert ein Stein an den Standort der einstigen Galgen. Auch davon erzählte Manfred Wurlitzer in seiner Broschüre zum Rabensteinplatz, die er gemeinsam mit der Stadt zur Drucklegung brachte und in der er die wechselhafte Geschichte des Platzes erzählt, zu dem über vier Jahrhunderte die Leipziger strömten, wenn Diebe, Straßenräuber, aber auch Kindsmörderinnen hier hingerichtet wurden auf einem drei Meter hohen Steinpodest, damit alle Zuschauer gute Sicht hatten. Die öffentliche Hinrichtung sollte abschrecken. Wie wir heute wissen, tun das Hinrichtungen nicht. Das hatte man in Leipzig auch im 19. Jahrhundert begriffen.
Die Hinrichtung von Johann Christian Woyzeck fand zwar noch 1824 auf dem Marktplatz statt. Und es war auch nicht die letzte öffentliche Hinrichtung. Aber mit der zunehmenden Rolle des Gefängnisses als Korrektionsmittel verlor die Todesstrafe ihre zentrale Rolle im Strafregister. Plätze wie der Rabensteinplatz aber behielten lange ihre unheimliche Aura. Erst 40 Jahre nach der Aufgabe der Hinrichtungsstätte wurde es ernsthaft angegangen, den Platz als städtischen Schmuckplatz zu gestalten. Und auch das erst nach einem zähen Ringen der Stadtverordneten um das Ob und Wie und das Wie-teuer.
Diese Platzgestaltung freilich wurde 2016 nicht wieder aufgegriffen, als Leipzigs Amt für Stadtgrün und Gewässer den Rabensteinplatz wieder aufpäppelte. Es ist die Platzgestaltung der frühen DDR-Zeit, die hier wieder hergestellt wurde – ohne Spielplatz. Die Brunneneinfassung des Froschbrunnens wurde erst einmal abgesperrt. Manfred Wurlitzers Anregung, den Brunnen unbedingt wieder zu rekonstruieren, wurde aufgenommen. Genauso wie die Wiederherstellung des Platzes – wenn auch in eher reduzierter Form. Was auch damit zu tun hat, dass augenscheinlich auch noch die Reste des Bunkers aus dem Weltkrieg unter der Grasnarbe liegen. Augenscheinlich hat man die Bunkeranlage nicht komplett entfernt. Auch das ist ein Stück „vergessener“ Geschichte, die Wurlitzer in seiner 60-seitigen Broschüre aufbereitet hatte.
Die wichtigsten Informationen aus Wurlitzers Vorarbeit sind auf der Stele auf dem neu gestalteten Rabensteinplatz in komprimierter Form zu lesen.
Und wenn der Froschbrunnen 2018 wieder zu sprudeln beginnt, gibt es auch ein Stück Erinnerung an den Platz, wie er vor 1933 mal war. Beliebt bei Familien und natürlich besonders bei Kindern, die die spielenden Kinder mit dem Riesenfrosch geliebt haben sollen, liest man bei Wurlitzer. Der das wieder in alten Zeitungen fand. Manchmal muss man alte Zeitungen lesen, um ein Stück Leipziger Geschichte wiederzufinden, das beinah abhanden gekommen wäre.
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