Es ist zwar kein runder Jahrestag. Aber darauf wartet man in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ eh nicht, wenn es darum geht, wichtige Ereignisse in der jüngeren Leipziger Geschichte im öffentlichen Raum sichtbar zu machen. Eine App soll nun auch sichtbar machen, was am 17. Juni 1953 in Leipzig geschah. Denn Leipzig war einer der Brennpunkte dieses Ereignisses.

In der Agitation der SED wurde diese massenhafte Arbeitsniederlegung, die von einem Streik in vielen Großbetrieben in große Massenkundgebungen und Demonstrationen mündete, schon gleich nach der gewalttätigen Niederschlagung als „faschistischer Putschversuch“ bezeichnet. Die planlosen Genossen, die sich nur mit dem Rückhalt der sowjetischen Armee an der Macht halten konnten, dachten gar nicht daran, die Zügel aus der Hand zu geben.

Im Gegenteil: In den Folgejahren verstärkten sie ihren Verfolgungsdruck gegenüber Andersdenkenden und kritischen Stimmen auch in den eigenen Reihen.

Und sie versuchten, die Arbeiter ruhigzustellen mit einer Vielzahl von Zugeständnissen. Worüber Heidi Roth sehr kenntnisreich in ihrem Beitrag im Sammelband „Unruhiges Leipzig“ schreibt.

Historische Dokumente machen den 17. Juni 1953 lebendig. Foto: Zwei Punkt Null Marketing
Historische Dokumente machen den 17. Juni 1953 lebendig. Foto: Zwei Punkt Null Marketing

Tobias Hollitzer, Leiter der Gedenkstätte „Runde Ecke“, spricht von der ersten Massenerhebung gegen die kommunistische Diktatur in der DDR. Und die soll man jetzt zumindest virtuell erleben können in Leipzig.

Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ entwickelte dafür die zweisprachige App „Leipzig 1953“. Der Multimediaguide mit GPS-geführtem Rundgang und Audioführung in deutscher und englischer Sprache erinnert an 13 bedeutende Orte des Widerstandes am 17. Juni 1953 in Leipzig und klärt über die Ursachen, den Verlauf und die Folgen des Volksaufstandes auf. Zeitgenössische Fotos und Dokumente sowie Ton- und Filmmaterial ermöglichen eine tiefergehende Befassung direkt an den Ereignisorten. Auch die drei Leipziger Gedenkorte sind enthalten.

Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 war acht Jahre nach dem Ende des Krieges und der NS-Terrorherrschaft die erste Massenerhebung gegen die kommunistische Diktatur in der DDR. Aus den anfänglichen Protesten gegen die sozialen und wirtschaftlichen Probleme entwickelte sich weniger als vier Jahre nach Gründung der DDR ein flächendeckender Protest, an dem über eine Millionen Menschen in über 700 Städten der DDR teilnahmen. Sie forderten Freiheit und Demokratie sowie die Deutsche Einheit. Sowjetische Panzer und die Deutsche Volkspolizei schlugen den Aufstand blutig nieder.

„Auch wenn sich ihre Forderungen erst mit der Friedlichen Revolution von 1989/90 erfüllten, so ist der Aufstand ein wichtiges Zeugnis, das an die Kraft und den Willen der Bevölkerung erinnert, sich bereits wenige Jahre nach der Gründung der DDR gegen das kommunistische System und seine Repressionen zu erheben“, betont Hollitzer.

Die App „Leipzig 1953“ informiert an 13 Originalschauplätzen in Leipzig über bedeutende Aktionen des Widerstandes gegen das SED-Regime. Rund 40.000 Demonstranten protestierten in Leipzig gegen die Normerhöhung, gegen die Regierung und für freie Wahlen. Sie rissen Propagandaplakate und Spruchbänder der SED herunter und belagerten verschiedene Institutionen der SED-Diktatur, darunter die Bezirksleitung der Staatsjugendorganisation FDJ oder das Ernst-Thälmann-Haus mit Sitz des Bezirksvorstandes der gleichgeschalteten Gewerkschaften.

Als Demonstranten versuchten, in die Stasi-Untersuchungshaftanstalt in der Beethovenstraße vorzudringen, erschossen Volkspolizisten den 19-jährigen Demonstranten Dieter Teich aus Wiederitzsch. Er war das erste Todesopfer in der Messestadt. Im Bezirk Leipzig kamen in diesen Tagen neun Menschen ums Leben, an die mit Kurzbiographien in der App an den Orten, an denen Sie ums Leben kamen, auch erinnert wird.

In die GPS-geführte Tour zu den 13 Ereignisorten in Leipzig sind außerdem die drei nach der Friedlichen Revolution entstandenen Gedenkorte in Leipzig integriert. Beim Gedenkort auf dem Südfriedhof wird mit entsprechenden Kurzbiographien auch noch einmal an die neun Todesopfer erinnert, die im dortigen Krematorium heimlich eingeäschert worden waren. Eine Vielzahl von originalen Fotos und Dokumenten sowie zeitgenössischem Ton- und Filmmaterial ergänzen die Informationen in der Hörführung. So können sich die Nutzer sowohl tiefergehend an den Ereignisorten mit den Geschehnissen auseinandersetzen als auch den Stadtwandel seit 1953 im direkten Vergleich nachvollziehen. Sechs Kapitel informieren darüber hinaus über Vorgeschichte, Entwicklung und Folgen des Aufstandes und nehmen eine historische Einordnung vor.

Ab sofort ist die App in den üblichen Stores zu finden.

Die neue LZ, seit Freitag, 16. Juni 2017 im Handel

Die Leipziger Zeitung Nr. 44: Über die Grenzen hinaus

 

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