LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug aus Ausgabe 41Nie wieder zweite Liga! So müssen sich die Leipziger in diesen Jahren in der Grün­dungsstadt des DFB (1900) wohl gefühlt haben, angesichts des scheinbar unaufhaltsamen Aufstiegs der nordwestsächsischen Metropole an Elster und Pleiße. Der 1878 gegründete Leipziger Zoo erfreut sich eines weltweiten Renomées, so mancher schaut beim Scharwenzeln über den Königsplatz zu einem der schönsten Rathäuser Deutschlands hinauf. Die Kleinmesse am Cottaweg ist gut besucht, man findet irgendwie sein Aus­kommen in dieser noch jungen Republik.

Vieles erinnert an das Leipzig von Heute, es herrscht geschäftiges Treiben zu niedrigen Löhnen, Messen finden regen Zuspruch und unter Stadtbaudezernent Hubert Ritter wird in neuem Stil gebaut, was das Zeug hält. Und die ersten Konflikte zwischen dem Automobil und der vorherigen Bewegungs­arten in der Stadt tauchen auf.

Der Krieg scheint trotz ab und an in der Außenpolitik vernehmbarem Säbelrasseln fern, acht Jahre und rund 3 Monate ist das erste große Schlachten vorbei, das kom­mende liegt noch 12 Jahre entfernt. Die Situation der Republik hat sich scheinbar, wenn auch latent labil ein wenig stabilisiert, auch hier erinnert einiges an die heutige Situation. 1926 bis 1928 hat mit Marx, Wil­helm natürlich, ein Zentrumspolitiker zum zweiten Mal die Kanzlerschaft inne, dieses Mal mit der Unterstützung der SPD und der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP).

Und versucht sich redlich im Ausgleich innerhalb des damals bereits sogenannten „demokratischen Lagers“. Auch außenpoli­tisch stehen die Zeichen eigentlich auf Ent­spannung – immerhin tritt Deutschland dem „Völkerbund“ bei, einem Vorläuferversuch der UNO, Konflikte zukünftig friedlich zu lösen. Man sucht nach Stabilität, was auch dringend nötig ist: bei seiner zweiten Kanzlerschaft führt Marx nun bereits die 9. Regierung seit 1919 an – es herrscht reges Kommen und Gehen in der Politik, die Republik steckt nach wie vor in einer latenten politischen Dauerkrise.

Was geworden wäre, wenn der auf Aus­gleich bedachte Katholik und nicht der Ex-Militär und Kriegsveteran Paul von Hindenburg 1925 die Reichspräsidenten­wahl gewonnen hätte …? Immerhin wird dieser keine acht Jahre später, 1933, Adolf Hitler zum Kanzler berufen und somit den Weg in Notstandsgesetze und schließlich den abschließenden Gang ins weltweite Schlachthaus öffnen.

Militarismus als Tradition und ein brummender Wirtschaftsmotor

Ab und zu zieht, wie 1925 vor großem Publikum, ein Veteranenverbund zum 1. „Reichskriegertag“ durch die Hain­straße, man gedenkt reichlich militärisch angehaucht der Toten aus immer ferner werdenden Tagen der Jahre 1871 bis 1918. Der Kaiser steckt noch in den Knochen, die Demokratie wird eher als schwächlich belächelt. Und es sind nur noch zweieinhalb Jahre bis zum „Schwarzen Freitag“ am 24. Oktober 1929 und dem nachfolgendem, weltweiten Wirtschaftsabsturz.

Jetzt brummt es aber erst einmal wieder ordentlich in der Messestadt, fast scheint es ein ähnliches Lied von der „Vollbeschäf­tigung“ zu geben wie in heutigen Tagen. Und die in rascher Folge wechselnden „Reichskanzler“ unter Reichspräsident Paul von Hindenburg geben sich offenbar redlich Mühe, zumindest irgendetwas in den kurzen Amtszeiten auf die Beine zu stellen. Immer­hin existiert nach langer Vorbereitung Mitte 1927 das „Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung“ und damit erstmals ein Rechtsanspruch auf Arbeitslo­senunterstützung.

Der Beitragssatz liegt bei 3 Prozent vom Lohn und anders als heute tragen Arbeitnehmer und Arbeitgeber je genau die Hälfte.

Das Problem: Offenbar kann sich niemand vorstellen, was der Crash von 1929 auslösen soll, denn die Einzahlungen reichen so nur für einen Spitzenwert von 700.000 Arbeits­losen bei rund 64 Millionen Deutschen. Die Massenarbeitslosigkeit während der Weltwirtschaftskrise ab 1929 wird über fünf Millionen Arbeitslose betragen, viele von diesen werden danach beginnen, Hitlers Autobahnen zu bauen oder finden in der Rüstungswirtschaft einen neuen Job.

Ausdruck monarchischer Vergangenheit in der Weimarer Republik - der Königsplatz - heute Wilhelm Leuschner Platz. Foto: Pro Leipzig Verlag
Ausdruck monarchischer Vergangenheit in der Weimarer Republik – der Königsplatz – heute Wilhelm Leuschner Platz. Foto: Pro Leipzig Verlag

Leipzigs Bevölkerung wächst auf ein Allzeithoch

Durch weitere Eingemeindungen ab 1920 gehören nun auch die Paunsdorfer, Leutz­scher und Wahrener zu Leipzig. Knautklee­berg und Abtnaundorf sollen bald (1930) hinzukommen. Jährlich wächst Leipzig durch diese Eingemeindungen und durch weiteren Zuzug von 620.000 Einwohnern (1920) über 679.159 (1925) auf das bis heute bestehende Allzeithoch im Jahre 1930 von rund 718.200 Leipzigern. Die Stadt hatte zuvor und danach (bislang) nie mehr Ein­wohner als in diesen Jahren.

Die Pferde-Waggons sind längst der „Elek­trischen“, also der „Bimmel“ gewichen, das gesamte Streckennetz entspricht mit über 124 Kilometern bereits fast den heutigen 146 km der LVB. Denn während des I. Weltkrieges hatten die „Große Leipziger Straßenbahn“ und die „Leipziger Elektrische Straßenbahn“ unter dem Dach der GLSt fusioniert – 1938 wird die bis heute gültige Umbenennung in LVB erfolgen.

Der Medienmarkt ist übrigens breit aufgestellt, von sozialistischen Zeitungen bis hin zu deutsch-nationalistischen Publikationen kann der Leipziger sich seine Weltsicht täglich am Kiosk kaufen. Und er oder sie tun es, Fernsehen und Internet sind noch weit …

So auch die „Neue Leipziger Zeitung“ (NLZ), welche seit 1921 in unserer Stadt erscheint. Mit ihr und nicht mit der sozialistischen LVZ oder der später eingeführten, deutschtümelnden „Leipziger Neueste Nachrichten“ (LNN) also wollen wir in das Jahr 1927 in Leipzig und damit mitten in die sogenannten „goldenen 20er“, in den 1. März 1927 und die Themen der NLZ eintauchen.

Die Leipziger Zeitung - ein Vorläufer der NLZ aus dem Jahr 1814. Abbildung: Wikipedia Gemeinfrei
Die Leipziger Zeitung – ein Vorläufer der NLZ aus dem Jahr 1814. Abbildung: Wikipedia Gemeinfrei

Die „Neue Leipziger Zeitung“

Die Geschichte der ab 1921 erscheinenden „Neuen Leipziger Zeitung“ (NLZ) ist eng mit den zeitgeschichtlichen Entwicklungen verbunden und heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Sie selbst ging als Nachfolger (mit ein wenig zeitlichem Abstand von gut 2 Jahren) aus den von 1810 bis 1918 erscheinenden „Leipziger Zei­tung“ (LZ) und der „Leipziger Abendzeitung und Handelsblatt für Sachsen“ (bis Ende 1918) hervor und sollte selbst das Schicksal beider Vorgänger teilen. Auch sie wurde gegen Ende eines großen Krieges, in ihrem Fall also 1945, eingestellt.

Denn seit 1932 war auf dem Leipziger Presse­markt neben der USPD-dominierten „Leipziger Volkszeitung“ (LVZ) und den strikt nationalistischen „Leipziger Neueste Nachrichten“ (LNN) noch die „Leipziger Tageszeitung“ (LTZ) hinzugekommen.

1934 gründeten die Nationalsozialisten eine ei­gene Leipziger Tagespublikation. Die „Leipziger Tageszeitung für nationalsozialistische Politik, Kultur und Wirtschaft“ war bis Ende 1940 das amtliche Organ der NSDAP in Leipzig, bevor die Medienvielfalt in Leipzig abschließend sehr gering wurde. Passend zum damals laufenden Umbau der Presselandschaft: Die LVZ selbst wurde bereits 1933 verboten, der Rest zusam­mengeführt.

Zum Jahreswechsel auf das Jahr 1941 wurden alle drei Publikationen zur „Neuen Leipziger Tageszeitung“ unter Führung der Nazis vereinigt. 1945 wurde deren Erscheinen mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eingestellt. Alle Pub­likationen verstanden sich als Lokalzeitungen für und in Leipzig, doch die Breite der Medien sollte sich durch die DDR und auch in der Nach­wendezeit nie wieder so entwickeln, wie in den „goldenen 20ern“.

Mehr in Teil 2 aus der LEIPZIGER ZEITUNG hier auf L-IZ.de: Die „goldenen 20er“ in Leipzig (Teil 2): Fake News, Augustusplatzbebauung und Wohnungsnot im Jahr 1927

Bereits erschienene Zeitreisen durch Leipzig auf L-IZ.de

Der Leipziger Osten im Jahr 1886

Der Leipziger Westen im Jahr 1886

Westlich von Leipzig 1891

Leipzig am Vorabend des I. Weltkrieges 1914

Einblicke in die Jüdische Geschichte Leipzigs 1880 bis 1938

Alle Zeitreisen auf einen Blick

Die LEIPZIGER ZEITUNG Ausgabe 41, März 2017

Eine Stadt zwischen Friedensbotschaft und inszenierter Gewalt

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