Er saß mit am Verbrechertisch. Und am 6. Dezember wäre er 200 Jahre alt geworden. Wir hätten es ja beinah noch rechtzeitig gefeiert. Aber das haben wir nicht ganz geschafft. Was auch daran liegt, dass man mit Ernst Keils „Gartenlaube“ auf regelrechte Gedanken und Abwege kommt. Ernst Keil? Ein Verbrecher?
Das war der Mann genauso wenig wie seine Leidensgefährten Adolf Roßmäßler (ohne den Leipzig kein Naturkundemuseum hätte) oder der umtriebige Heinrich Laube, der sich genauso wie Keil in verlegerische Wagnisse begab in jener Zeit, die die einen als romantisches Biedermeier erlebten und die anderen als rumorenden Vormärz: die Zeit zwischen 1830 und dem Ausbruch der Revolution von 1848. Metternich-Zeit, Zeit der straffen Zensur, der Schreibverbote für Republikaner, Demokraten und andere libertinierende Geister. Eine Zeit, mit der sich heute nur wenige Historiker beschäftigen. Vielleicht, weil sie damit Vokabeln benutzen würden, die ihnen heute wieder Geschrei und Zürnen eintrügen. Denn die ganze berühmte Autorenbande dieser Zeit war ein einziger Haufen von Unruhegeistern, Ideenverbreitern und Rumorern.
Stichwort: Jung-Deutschland. Zu dem Heinrich Laube gezählt wurde, der von den Preußen schon vor 1848 in Festungshaft gesteckt wurde. Da kannten sie nichts. Was sie unter einem wohlgeordneten Staat verstanden, hat jede Menge mit Zucht und Ordnung und Liebe zur Obrigkeit zu tun, aber nichts mit Verfassungen, Kritik und demokratischem Geist.
Man darf auch heute noch staunen, wie viele mutige Kerle das schreibende Bürgertum damals hervorbrachte, die trotzdem schrieben und Zeitschriften herausbrachten, in denen Aufrührerisches steckte. Wie dieser Ernst Keil, in Langensalza geboren, ausgebildeter Buchhändler, und ab 1837 als Gehilfe in der Weygandschen Buchhandlung in Leipzig anstellig. Da war Laube gerade zu sieben Jahren Festungshaft verurteilt worden. Das hätte ja eine Lehre sein können. War’s auch irgendwie. Die Frage lautete ja eigentlich: Wie kann man in einem Reich, in dem die Zensoren regieren, trotzdem Aufklärung betreiben und viel gelesen werden?
Nicht nur Laube hatte das beschäftigt. Für Keil war die Sache elementar.
„Gerade der Journalismus aber war dasjenige Feld, welches dem jugendlichen Neuling auf dem Boden der alten Buchhändlermetropole schon als Knabe in die Seele geleuchtet und jederzeit als das erstrebenswertheste aller Ziele vorgeschwebt hatte. Schon in Weimar und Erfurt, ja schon auf dem Gymnasium hatte sein Drang zu eigenem Schaffen mannigfach nicht unglücklich sich versucht, unter den Anregungen Leipzigs jedoch und der inneren Fortbildung, die es ermöglichte, wuchs erst der Muth, sich wirklich damit herauszuwagen“, schreibt Alfred Franck 1882 über Keil.
Ab 1838 gab er die Zeitschrift „Unser Planet“ heraus, benannte sie später in „Wandelstern“ um. Aber dann: „Das Blatt war unter der Redaction Keil’s eines der gelesensten jener Tage, bis ihm die Polizei, ihrer damaligen Befugniß gemäß, sowie geschäftliche Bedenken die weitere Führung derselben unmöglich machte“, schreibt Franck.
So war das, wenn die Polizei kam und einem mitteilte, dass ein Journalist zu mutig gewesen war. Noch nicht so mutig, dass man ihn einkassierte. Aber mutig genug für ein Verbot. In Leipzig. Der Buchstadt. Ließ sich Keil deshalb entmutigen? Gar nicht. 1845 wagte er den nächsten Anlauf und gründete den „Leuchtthurm“. Was schon frech war im meerlosen Sachsen. Wem sollte dieser Turm leuchten, wenn hier keine Segelschiffe anlegten?
„Im Vormärz wurde die Zeitschrift durch ihre kritischen Artikel zu einem der führenden Blätter der liberalen Opposition. Da in Sachsen hierfür keine Konzession zu erlangen war, wählte Keil zunächst Zeitz als Erscheinungsort. Dieses Blatt enthielt schon stahlgestochene Illustrationen; oft brachte es satirische Porträts bekannter Politiker, die Texte ließen an der liberalen und revolutionären Haltung der Herausgeber keinen Zweifel“, schreibt Wikipedia.
Was fast schon staubtrocken wirkt im Vergleich zu den Worten, die Jakob Franck 1882 fand, denn für ihn war der „Leuchtthurm“ ein „Organ, bemerkenswerth in der Geschichte des bis dahin immerhin dürftig gewesenen vormärzlichen Journalismus, dessen Eintritt als ein Ereigniß ersten Ranges und eine eingreifend bedeutsame Wendung hervorragt und ein journalistisches Unternehmen, welches eine für die damaligen Verhältnisse ganz ungewöhnliche Verbreitung fand. Denn von der glücklichen Hand und dem gesunden Urtheile seines talentvollen Redacteurs wurde es so erfolgreich geleitet, daß die hervorragendsten Stimmführer der liberalen Bewegung. Männer wie Robert Blum, Johann Jacoby, Wislicenus, Uhlich u. a. sich ihm als Mitarbeiter anschlossen und die neue Zeitschrift immer mehr und mehr zu einem Ausdrucke des erwachten Befreiungsdranges auf politischem und religiösem, wie auch socialem und litterarischem Gebiete ward.“
Und das 1882? Da hilft schon ein kleiner Nachschlag, wer dieser Franck eigentlich war und was er 1848 tat. Und siehe da: Er war mit dabei. Nur wurde er nicht belangt. Aber er hat es nicht vergessen und versteckt in seiner Würdigung für Keil seine alte Begeisterung für die Revolution, die so schäbig vor die Hunde ging.
Auch für Keil. Denn dass er mit dem „Leuchtthurm“ dem rebellischen liberalen Geist so viel Echo verschafft hatte, das vergaßen ihm die Mächtigen nicht, die sich 1848 so erschreckt hatten und fürchten mussten, dass ihnen die Nationalversammlung in Frankfurt die Souveränität entzieht – was sich die Frankfurter leider nicht trauten. Für Leute wie Keil ging’s also ab 1849 so weiter, wie sie es vorher schon erfahren hatten. Franck: „Aber über dem Haupte des Herausgebers hing fortwährend das Schwert der Untersuchungen und Preßprozesse, bis er endlich im April 1852 Weib und Kinder und das bereits in Blüthe gekommene, aber einzig und allein auf seiner Arbeitskraft beruhende Geschäft verlassen mußte, um als Staatsverbrecher in Hubertusburg hinter Schloß und Riegel zu sitzen.“
Da haben wir den Verbrecher und den Grund dafür, warum er mit am berühmten Verbechertisch sitzen durfte mit den anderen, die ebenso ihre sächsischen Zuchthauserfahrungen gemacht hatten. Der Tisch stand in der Gaststätte „Zur Guten Quelle“ am Brühl. Heute steht er in der Dauerausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums. Ab 1856 trafen sich die einstigen Rebellen an diesem Tisch. Unter ihnen auch Ernst Keil, Roßmäßler und ein gewisser Dr. Fritz Hoffmann, „genannt Gartenlaube-Hoffmann“, wie ein bewundernder August Bebel schrieb, der stolz war, mal an den Tisch eingeladen zu werden. Denn zu dem Zeitpunkt hatten sie alle einen Namen in Leipzig.
1853 hatte Keil eine neue Zeitschrift gegründet. Darüber hatte er im Zuchthaus nachgedacht (worüber sächsische Köpfe im Zuchthaus so alles nachdenken, das wäre eine eigene Geschichte wert – man denke an Karl May oder Erich Loest!). Mit dem „Leuchtthurm“ hatte er ja gezeigt, wie man das Publikum begeistert – auch für neue Gedanken. Nur: Die Mächtigen mochten keine neuen Gedanken. Was tun?
Die „Gartenlaube“ war das Ergebnis. Keil durfte seine „Gartenlaube“ anfangs übrigens gar nicht selbst herausgeben. Ihm waren ja auch noch seine bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt worden. Und so fungierte anfangs Ferdinand Stolle als Herausgeber, Keil als Verleger. Statt Leuchtturm eine brave, unscheinbare Gartenlaube. Wer konnte da misstrauisch werden? „Diese Zeitschrift ist geradezu maßgebend für die ganze Literatur der illustrierten Unterhaltungsblätter geworden“, schrieb Franck 1882. Da war Keil seit vier Jahren tot und sein Blatt würde bald zusehends an Kontur verlieren, bräsig und flach werden, so dass keiner mehr an Verbot dachte.
„Die Gartenlaube“ verboten? Jawohl.
Von einer vorsichtigen Startauflage von 5.000 im Jahr 1853 war diese erste richtige deutsche Familienzeitschrift bis 1863 auf 157.000 Abonnenten gewachsen. Dann erschien ein „unvorsichtiger Artikel“ über Preußen – und die Zeitschrift wurde in Preußen verboten. Aber Keil wollte auch anecken: Er kämpfte mit seinem Blatt für ein einiges Deutschland. Jakob Franck: „Das Erscheinen dieser Zeitschrift aber ist geradezu ein epochemachendes Ereigniß im Buchhandel und ihr Einfluß auf die Bildung und den nationalen Gedanken ein ganz außerordentlicher geworden.“ Diese Haltung ging damals noch einher mit freiem Denken und dem Wunsch, endlich mal ein „einig Land“ zu sein. Nationalliberalismus nannte sich das damals. Davon sind nur noch die Nationalisten geblieben. Die Liberalen haben sich aufs Altenteil begeben.
Und wer die Preußen geärgert hatte, das vergaßen die nie. 1866 besiegten sie ja bekanntlich nicht nur die Österreicher, sondern auch die Sachsen, besetzten Leipzig und verboten „Die Gartenlaube“. Generäle denken nicht viel. Kanzler schon eher. Bismarck übte Einspruch, die „Gartenlaube“ durfte weiter erscheinen, „eine Volkszeitung im wahren Sinne des Wortes“, wie Franck schrieb.
Und wie das so ist mit Verboten: Sie erhöhen nicht nur den Bekanntheitsgrad, sondern auch die Neugier. So dass Franck schreiben konnte: „nach Verlauf von wenigen Wochen hatte die ‚Gartenlaube‘ 177.000 Abonnenten und 1881 zählte sie 378.000. Der Papierverbrauch aber beläuft sich jährlich auf 4.300 bis 4.500 Ballen, in der Druckerei arbeiten 60-70 Leute, in der Buchbinderei 40-50, das Geschäftspersonal beträgt 25 und bei der Herstellung des Blattes sind 18 Schnellpressen und 4 Satinirmaschinen in Thätigkeit.“
Damit war „Die Gartenlaube“ das erste echte Massenmedium in Deutschland. Den Niedergang des Blattes im seichten Unterhaltungsmulch erlebte Franck auch nicht mehr wirklich mit. Er starb 1884.
Ernst Keil aber wurde damit einer der erfolgreichsten Verleger in Leipzig. Und „Die Gartenlaube“ wurde vor allem deshalb so beliebt, weil sie Unterhaltung, hochwertige Bilder und vor allem eine enzyklopädische Bildung vereinte. Hier schrieben Leute wie Roßmäßler und Alfred Brehm. Das Blatt bildete seine Leute. Und zwar alle – das unterhaltungslustige Bürgertum genauso wie das Volk, unter dem man damals keine bärbeißigen alten Demonstranten verstand, sondern das arbeitende Volk: Arbeiter, Tagelöhner, Angestellte, Dienstboten …
Man würde ja heute gern zu Ernst Keils opulenter Verlegervilla in der Königstraße 33 (heute Goldschmidtstraße) pilgern und nachschauen, ob sein Arbeitszimmer tatsächlich wie eine Gartenlaube geformt war, wie Sabine Knopf schreibt. Aber das Haus wurde im zweiten Weltkrieg zerstört. Nur das Papierlager im Hof ist noch erhalten. Und da und dort in Archiven finden sich noch Exemplare der „Gartenlaube“.
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