Sie werden meistens vergessen, diese Dichter und Denker. In Sonntagsreden werden sie beschworen, als wenn die Büttenredner zu Hause die komplette Goethe-Schiller-Sammlung stehen hätten mit Lesezeichen und lauter bewundernden Ausrufezeichen drin. Aber die Wahrheit ist wohl: Sie werden nicht gelesen. Und im Stadtmarketing spielen sie keine Rolle. Dabei ist dieses Jahr auch Gottsched-Jahr.

Eine Straße ist nach ihm benannt. Seit 1933, was leider kein Zufall ist. Der berühmte Professor der Logik und Methaphysik hatte sie wohl verdient. Aber es war die Poniatowski-Straße, die damals seinetwegen geopfert wurde, benannt nach dem berühmten polnischen Marschall, der 1813 nach der Völkerschlacht in der Weißen Elster ertrank. Die Umbenennung löste nicht nur in Polen Befremden aus, auch in Leipzig. Denn Gottsched gegen Poniatowski auszuspielen, dass war mehr als frech, das war ein Affront.

Gottsched hätte es auch nicht verstanden. Dazu war er viel zu sehr Aufklärer. Der wichtigste, wie nun die Universitätsbibliothek feststellt, die für den Berühmten nun tatsächlich doch noch eine Festveranstaltung untergekriegt hat im Kalender.

Vor 250 Jahren, am 12. Dezember 1766, starb der wichtigste Vertreter der Aufklärung in Leipzig, Johann Christoph Gottsched. Das Institut für Germanistik der Universität Leipzig, die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und die Universitätsbibliothek Leipzig gedenken dieses großen Vorläufers der heutigen Geisteswissenschaften in Leipzig in einer gemeinsamen Festveranstaltung. Sie findet am Todestag des Gelehrten und Dichters, dem 12. Dezember 2016, um 18:00 Uhr im Vortragssaal der Albertina statt.

Wobei die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig nicht ganz zufällig mit dabei ist: Sie gibt gerade den gewaltigen Briefwechsel des Mannes heraus, der über rund 20 Jahre in Leipzig das Zentrum der deutschen Aufklärung bildete. Um den Mann kamen sie alle nicht herum. An dem rieben sich dann auch seine Kritiker – wie Gotthold Ephraim Lessing, der später kein gutes Haar mehr an diesem Gottsched ließ, obwohl es Gottsched war, der auch theoretisch die Basis für das deutsche Schauspiel legte und die ganz besondere Rolle der Neuberschen Theatertruppe, die als erste ein Stück Lessings spielte.

Gottsched habilitierte sich 1724 für das Fach Poesie an der Universität Leipzig, versucht die Uni-Bibliothek den Kurzeinstieg in dieses Leben, das aber erst dadurch möglich wurde, weil der „lange Kerl“ Gottsched vor den Soldatenwerbern seines preußischen Königs ins sichere Sachsen floh, wo er sich 1725 habilitierte und schon bald die ersten Zeitschriften der Aufklärung herausgab.

„1730, in seinem 30. Lebensjahr, wurde er zum Professor ernannt. Gottsched blieb der Universität, zu deren Rektor er mehrmals gewählt wurde, bis zu seinem Tod treu. Mit seinen Büchern zur Dichtkunst, zur Sprachkunst und zur Redekunst sowie zur ‚Weltweisheit‘ fasste er als einer der letzten großen Universalgelehrten das gesamte Wissen seiner Zeit zusammen“, so die Einladung der Universitätsbibliothek. „Mit seiner Frau Luise Adelgunde Victorie Gottsched (1713–1762) prägte er das Theater der Aufklärung vor Lessing. Sein Briefwechsel wird seit 2007 von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften vollständig ediert; der 10. Band ist soeben erschienen. Gottsched zeigt sich hier als der Mittelpunkt eines riesigen europäischen Gelehrtennetzwerkes der Aufklärung.“

Wichtig zu erwähnen: Wer den berühmten Professor besuchen möchte, kann das tun: Am Eingang zum Campus der Universität in der Universitätsstrasse ist eine Tafel in den Fußweg eingelassen, die daran erinnert, dass Johann Christoph mit seiner Luise Adelgunde Victorie hier lebte ab 1735, nachdem er sie endlich heiraten konnte. Sie wohnten hier im „Goldenen Bären“ beim Verleger Bernhard Christoph Breitkopf im 1. Stock. Das steht nicht auf der Tafel.

Genauso wenig, wie am neuen Paulinum eine Tafel zu finden ist, dass die beiden Gottscheds hier einst beerdigt wurden in der 1968 gesprengten Paulinerkirche. Ihre Gebeine sind genauso verschwunden wie die der meisten anderen Berühmten und weniger Berühmten, die sich in der Paulinerkirche bestatten ließen.

Aber das gehört zum großen Leipziger Vergessen. Es ist nur noch den Forschern bewusst, wie sehr Leipzig in der Gottsched-Zeit im Zentrum der deutschen Aufklärung stand – wofür allein schon der gigantische Briefwechsel Gottscheds und seine emsige Arbeit in der „Deutschen Gesellschaft“ sorgte. Er galt als „Sprachpapst“ seiner Zeit und war einer der Männer, die die deutschen Autoren überhaupt erst einmal ermutigten, die eigene deutsche Sprache mit Anspruch zu benutzen.

Denn Luther hatte nur die erste Tür aufgestoßen zur Herausbildung einer gemeinsamen deutschen Sprache. Die zweite stieß Thomasius 1688 auf, als er in Leipzig die ersten Vorlesungen auf Deutsch hielt. Denn die Gelehrten der Zeit redeten und schrieben in der Regel immer noch auf Latein. Die Tätigkeit der diversen „deutschübenden Gesellschaften“ in der Gottsched-Zeit ist gar nicht zu unterschätzen, denn aus diesen Gesellschaften gingen die ersten namhaften deutschsprachigen Autoren des 18. Jahrhunderts hervor und es entstand überhaupt erst so etwas, was Goethe später Nationalliteratur nennen würde.

Dass Lessing den aus seiner Sicht orthodoxen Professor in Leipzig angriff, hat auch damit zu tun, dass das Zentrum der Aufklärung in Gottscheds späten Lebensjahren nach Berlin wechselte.

Die Festveranstaltung in der Bibliotheca Albertina am 12. Dezember fragt nun nach der zeitgenössischen und der aktuellen Bedeutung Gottscheds in Leipzig. Nach der Einführung durch Prof. Dieter Burdorf (Institut für Germanistik der Universität Leipzig) befasst sich Dr. Rüdiger Otto (Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig) mit Gottsched als Editor und Prof. Ludwig Stockinger (Institut für Germanistik der Universität Leipzig) spricht in seinem Beitrag „Der Aufklärer als Redner“ über Johann Christoph Gottsched als Festredner.

Gottsched wird so als Teil einer lebendigen Leipziger literarischen Kultur erkennbar, betont die einladende Bibliothek. Wobei die Stadt Leipzig hier sichtlich nicht auftaucht, die mit „literarischen“ Jubiläen so gar nichts anfangen kann. Buchstadt? Kann man vergessen. Wenn es nicht ein paar einzelne Engagierte gäbe, die Leute wie Gellert, Gottsched und eigentlich auch Leibniz vor dem Vergessen bewahren, kämen sie im Leben der Stadt gar nicht mehr vor.

Die Festveranstaltung findet in der Bibliotheca Albertina (Beethovenstraße 6) am Montag, 12. Dezember, 18:00 Uhr statt.

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Bleibt noch zu ergänzen, dass es auch unabhängig von der Gottsched’schen Regelpoetik deutschsprachiges Theater einerseits sowie andererseits deutschsprachige Dramen gab. Gottsched ist zweifelsohne eine hoch zu schätzende Persönlichkeit seiner Zeit, seine Rolle in der deutschen Theatergeschichte (und die der Neuberschen Truppe) wäre jedoch noch einmal präzisierend zu überprüfen, gegebenenfalls zu relativieren. Ãœberhaupt wäre sie, wie alle anderen Aspekte dieses Gelehrtenlebens, die der Artikel dankenswerterweise anspricht, vor dem Vergessen zu bewahren. (Wozu es am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig durchaus Bestrebungen gibt.)

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