Seit gerade einmal drei Jahren ist die Erinnerung an einen Teil Leipziger Stadtgeschichte dank der Bemühungen des Tüpfelhausen e.V., der Initiative 1903, dem Netzwerk Blau-Gelb und dem Sportmuseum Leipzig Stück um Stück ins Gedächtnis der Stadt zurückgekehrt. Der einstige jüdische Sportverein „Bar Kochba“ prägte nicht nur die Sportlandschaft der Messestadt und das jüdische Gemeindeleben mit. Er war bis zu seiner Auflösung 1939 in Folge der Novemberpogrome 1938 in Leipzig ein wichtiges Stück Heimat für die jüdischen Mitbürger der Stadt. Was über die Geschichte des Vereins und die Tage vom 7. bis 13. November 1938 bislang bekannt ist, beschreibt diese Serie.
Viele Spuren sind heute verschwunden, das ehemalige Bar Kochba – Stadion an der Delitzscher Straße ist Geschichte. Dafür halten nun ein jährliches Kinder- und Jugend-Turnier im Fußball sowie ein Begegnungsfest im Alfred-Kunze-Sportpark die Erinnerungen wach. Doch wer oder was war Bar Kochba eigentlich?
Zur Jahrhundertwende ins 20. Jahrhundert ist Leipzig vor allem eines: Ein echter Schmelztiegel Deutschlands, mit rund 590.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt des Landes und weiter im Wachsen begriffen. Waren hier 1870 noch gerade 100.000 Menschen beheimatet, hält seitdem der Zuzug in die Stadt an, von 1910 bis 1933 explodiert die Einwohnerzahl regelrecht auf 700.000 Bewohner. Überall wird gebaut, das Neue Rathaus wird errichtet und 1905 auf den Grundfesten der alten Pleißenburg auch als Sinnbild einer aufstrebenden Stadt mit selbstbewussten Bürgern und Unternehmen eingeweiht.
Auch die Leipziger Universität expandiert in dieser Zeit kräftig. Neue Eisenbahnverbindungen und die international bekannte Messe tragen zu einem regelrechten Industrialisierungsboom bei.
Im Zuge der wachsenden Bevölkerung entstehen auch neue Sportvereine, der Fußball steht in der Zuschauergunst noch am Beginn seines Siegeszuges, als sich in Leipzig am 18. Januar 1900 der Deutsche Fußballbund (DFB) gründet. Bereits 1893 war mit dem VfB Leipzig der spätere erste Deutsche Meister (1903) ins Leben gerufen worden, Leipzig wurde Stück um Stück neben der Bezeichnung als Stadt der Verlage und des Handels auch „Sportstadt“. Mit anfangs unzähligen Turnvereinen zur Leibesertüchtigung, denen sich rasch weitere Sportarten wie Boxen, Leichtathletik oder eben Fußball als neuer Teamsport aus England hinzugesellten. Auf der Insel spielte man bereits seit 1888 in der ersten regulären Liga der Welt um Meistertitel und Pokale, Kontinentaleuropa folgte nun im Sauseschritt.
Es entsteht mehr als ein Fußballverein
Am 19. August 1920 ist es dann so weit. Mit dem Sportverein SK Bar Kochba entsteht der erste jüdische Fußballverein in Leipzig, welcher 1924 mit dem gleichnamigen Turnverein fusioniert. Zu dieser Zeit besteht – im Gegensatz zu den heute etwa 1.300 Mitgliedern – die jüdische Gemeinde Leipzigs aus etwa 13.000 Menschen, welche regen Anteil am Leipziger Leben nehmen. Die Gründung des Vereins folgt einem internationalen Trend. In Konstantinopel wird 1895 der erste Verein gegründet, 1898 entsteht in Berlin der erste gleichnamige Sportverein namens Bar Kochba auf deutschem Boden. Weitere folgen.
Die Gründe für das Entstehen rein jüdischer Vereine unter einem Dachverband beschreibt der „Makkabi Deutschland e.V.“ heute so: „Bis ins 19. Jahrhundert waren Juden zahlreich in den europäischen Turnvereinen vertreten. Die Errichtung jüdischer Vereine ist durch zwei Effekte begründet. Einerseits wurden Juden aufgrund des wachsenden Antisemitismus aus nationalen Turnvereinen gedrängt.“ Andererseits entstand eine Bewegung, welche sich aktiv auf das Sehnsuchtsland Israel vorbereiten wollte.
Verstehbar wird die Konzentration auf eigene Vereine dennoch wohl vor allem durch das Beispiel Österreich und die damit verbundenen antisemitischen Ausgrenzungen bereits zu dieser Zeit. So wurden beim deutschen Nachbarn bereits „1901 die Juden aus den Turnvereinen ausgeschlossen. Andererseits motivierte der aufkommende Nationalismus einige Juden, sich jüdischen Vereinen anzuschließen“, so Makkabi Deutschland.
Und kämpften viele jüdische Mitbürger noch im ersten Weltkrieg ganz selbstverständlich auf deutscher Seite, verschärften sich die nationalistischen, antisemitischen Töne und Abgrenzungen auch durch die Leipziger nach Ende 1918 immer weiter. Während sich einige jüdische Vereine im Sportbund „Schild des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten“ in Deutschland selbst der nationalen Idee zuwandten und sich dem Verbleib in Deutschland sowie der Ehrung der Soldaten des ersten Weltkrieges verschrieben haben, ist gleichzeitig der Traum von einer Rückkehr in das Gebiet des heutigen Israels unter vielen deutschen Juden ungebrochen.
Die erste Masseneinwanderung von Juden nach Palästina, bedingt durch politische und religiöse Unterdrückung in vielen Herkunftsländern Europas, war bereits um 1882 erfolgt. Theodor Herzl, der Begründer des politischen Zionismus, berief demnach nicht grundlos 1897 den ersten Zionistenkongress in Basel ein. Dort wurden erstmals eine Rückkehr und die Errichtung eines eigenen Staates öffentlich ausgesprochen. Fortan gilt vielen Juden in Deutschland die Vorbereitung der Rückkehr ins gelobte Land als Ziel, der Makkabi-Verband bündelt auch hierbei die Interessen auf sportlicher Ebene.
Auch der Verein Bar Kochba Leipzig versteht seit der Gründung seine Aktivitäten als Vorbereitung des Aufbaus eines eigenen, israelischen Staates in Palästina.
So werden neben den sportlichen Angeboten von Beginn an auch regelmäßige Vorträge, Theaterveranstaltungen und Musikaufführungen durchgeführt. Sport, Geschichte und Geist sollen im Vereinsleben ab 1920 für die jungen Sportler gleichermaßen angesprochen werden, Traditionspflege und Training gehen Hand in Hand.
Vielen Dank für die inhaltliche Unterstützung und Freigabe des Textes/der Bilder an den Verein Tüpfelhausen e.V.. Informationen zum jährlichen Fußball-Begegnungsfest finden sich unter www.fussballbegegnungsfest2016.de
Zeitreise Artikelserien auf der L-IZ.de
www.l-iz.de/artikelserien/oestlich-von-leipzig-1886
www.l-iz.de/artikelserien/westlich-von-leipzig-1886
www.l-iz.de/artikelserien/leipzig-1914
Video: Mit der Straßenbahn durch Leipzig (1931) – Youtube
In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei
Keine Kommentare bisher
Vielen Dank für das Video. Eine echte Perle!