Manchmal suchen Museen aus ihren Beständen auch Dinge hervor, die etwas mit ihrer eigenen Geschichte zu tun haben. Mit ihrer ganz frühen Geschichte, als alles noch in den Kinderschuhen steckte und ein gewisser Albert von Zahn Kustos am Haus war. Wer? Selbst Dr. Marcus Andrew Hurttig lässt gern beiläufig fallen: "Den kennt sowieso kein Mensch."

Das könnte man auch als Selbstkritik verstehen. Denn 2008, als das Museum der bildenden Künste die Ausstellung “Kopf oder Zahl” mit 150 Kunstwerken aus der eigenen Geschichte veranstaltete und auch einen schönen Katalog dazu herausbrachte, tauchte von Zahn nicht auf. Weder für das Jahr 1860, als er Kustos des Museums wurde, noch für 1873, als er – gerade einmal 37 Jahre alt – in Marienbad starb. Und ganz gewiss wäre der Mann noch ein paar Jahre völlig übergangen worden, wenn Marcus Andrew Hurttig im grafischen Archiv des heutigen Museums der bildenden Künste nicht über ein Konvolut von Zeichnungen gestolpert wäre.

Und für Hurttig gab es da so einen Aha-Effekt. Denn von Zahn war ihm ein Begriff. Denn er gilt unter den deutschen Kunstwissenschaftlern als einer der Begründer dieser Wissenschaft. Was es zu erinnern gilt, denn bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war Kunstsammeln eine Art Laiensport. Die zumeist durchaus reichen Sammler mussten sich auf die Angaben der Verkäufer verlassen, wenn sie sich mit Bildern berühmter Maler eindeckten. Einige der großen bürgerlichen Kunstsammlungen Leipzigs wurden ja mittlerweile recht gründlich erforscht. Und die Bilanz ist durchaus erhellend, denn Vieles, was die stolzen Kunstkenner da im 18., 19. Jahrhundert der staunenden Welt als originale Michelangelos, Tizians und Rembrandts präsentierten, erwies sich bei näherer Betrachtung als Nachahmung, Imitation oder ein Werk irgendwo im Dunstkreis der jeweiligen Meisterschule.

Der Fundus des Bildermuseums weist noch heute viele dieser Beinahe-Meisterwerke auf.

Die Sammler konnten nicht viel dafür. Sie mussten sich auf die Angaben der Verkäufer verlassen, die seinerzeit gerade erst den bürgerlichen Käufermarkt in Europa für sich entdeckten. Und wenn ein Rembrandt gesucht wurde, wurde halt auch einer gefunden.

Die Wissenschaft, die mit modernen Analysemethoden begann, die Spreu vom Weizen zu trennen, wurde erst im 19. Jahrhundert entwickelt. Und einer derjenigen, die dafür ein professionelles Instrumentarium entwickelten, war Albert von Zahn. Aber wie man das macht, die Meisterwerke von den Nachahmungen zu unterscheiden, das lernte er zuerst als Künstler. Denn da braucht man Grundwissen: Wie setzen Künstler ihre Pinselstriche? Wie erzeugen sie ihre Lichteffekte? Wie bauen sie ihre Malschichten auf? Was sind ihre unverwechselbaren Marotten? Welche Malgrundlagen benutzten sie? Welche Farben? Usw. Also alles Dinge, die der simple Kunstgenießer eher nicht sieht, weil ihn Technik eher nicht interessiert.

Aber für von Zahn war Technik der richtige Weg, das Original vom Duplikat zu unterscheiden. Mit Gleichgesinnten ließ er sich in hochkarätige Diskussionen ein. Besonders mit Dürer und Holbein beschäftigte er sich. Im Dresdner Holbein-Streit war er der wohl wichtigste Akteur. Aber das war erst später.

Zeichnung von Zahns zum Dresdner Holbein-Streit. Foto: Museum der bildenden Künste Leipzig
Zeichnung von Zahns zum Dresdner Holbein-Streit. Foto: Museum der bildenden Künste Leipzig

Über seine Anfänge hüllen sich die üblichen knappen Quellen in Schweigen. Vielleicht gibt es im September mehr, wenn die kleine Ausstellung im Museum der bildenden Künste gezeigt wird. Geboren wurde Albert von Zahn am 10. April 1836 in Leipzig. Da verwundert es schon, dass er unter den großen Söhnen der Stadt praktisch nie genannt wird. Kann es sein, dass sich die Stadterinnerung mit Wissenschaft und Wissenschaftlern tatsächlich schwer tut? Dass das nicht nur das Naturkundemuseum betrifft? Sondern auch die Kunst-Wissenschaft? Die ja irgendwie noch nicht erfunden war, als Albert von Zahn damals die Nikolaischule besuchte. Führt ihn die (Neue) Nikolaischule als besonders bekannten Schüler auf? Irgendwo zwischen Leibniz und Karl Liebknecht? Tut sie nicht. Vergessen.

1854 ging er zum Studieren nach Dresden, an die dortige Akademie der Künste, wo er Schüler von  Eduard Bendemann und Gustav Jäger wurde.

Kennt heute keiner mehr, könnte Hurttig sagen. Aber die Art der Malerei dürfte mancher kennen, denn damals dominierte die Düsseldorfer Malerschule. Das war sozusagen die “Leipziger Schule” der damaligen Zeit – sehr klassisch, sehr romantisch, mit Hang zur Historienmalerei und eingebauter Italiensehnsucht. Goethe lässt grüßen. Auch von Zahn reiste, wie das unter den damaligen deutschen Malern üblich war, nach Italien. Unter anderem auch in das Örtchen, wo sie alle strandeten und Naturlandschaften malten: Olevano. Davon sind in der Zeichnungssammlung im Bildermuseum etliche Skizzen erhalten. Sehr meisterlich. Man sieht: Er hat sein Handwerk gelernt.

Man sieht aber auch: In großen Ausstellungen mit Malerei und Zeichnungen der Zeit würden die Bilder nicht auffallen. Sie sind zu sauber, zu brav, zu meisterhaft.

Das hat der junge Mann wohl auch gemerkt. Und wechselte kurzerhand das Studienfach. Was die “Deutsche Biografie” so beschreibt: “er hatte jedoch kaum erst angefangen, die Kunst der Malerei selbständig in seiner Vaterstadt auszuüben, als er seine ursprüngliche Berufswahl aufgab und in der Kunstwissenschaft das Fach erkannte, auf das ihn seine besondere Begabung hinwies.”

Das mache mal heute einer. Die Bologna-Regulatoren würden über ihn kommen. Wie kann er nur! Konnte er sich nicht gleich entscheiden?

Manchmal muss einer erst seine richtige Profession suchen. Von Zahn tat es. Die Italienreise hatte sich gelohnt. Er studierte in Leipzig weiter und begann auch schon mal nebenbei, sein Wissen in der Praxis anzuwenden – in der Weigel’schen Kunsthandlung “als wissenschaftlicher Gehülfe”. Die Zeit war reif: Wer nun Kunst kaufte, wollte schon gern wissen, ob das Gekaufte auch echt war und der Malername stimmte. Um 1860 muss sich von Zahn in Leipzig schon einen guten Namen gemacht haben, denn da wurde er als Kustos an das Städtische Museum geholt. Nicht zu verwechseln mit dem heutigen Stadtgeschichtlichen Museum – das kann seine Wurzeln nur bis ins Jahr 1867 zurückverfolgen, als in Leipzig sich der Geschichtsverein gründete.

Städtisches Museum hieß damals das Leipziger Bildermuseum, seit 1848 in der Bürgerschule auf der Moritzbastei und ab 1858 dann im neu gebauten Haus am Augustusplatz präsentabel untergebracht. Bis zum Zweiten Weltkrieg stand das Bildermuseum da, wo heute das Gewandhaus steht. So kann man neben der Alten Nikolaischule auch diesen Wirkungsort von von Zahn verorten. Der sich aber mit dem bloßen Bilderverwahren nicht begnügte. 1866 habilitierte er an der Universität Leipzig als Privatdozent.

In den Jahren 1867 und 1868 haben sich die Titel seiner Vorlesungen erhalten: “Geschichte der Malerei vom 13. bis 16. Jahrhundert”, “Geschichte der Malerei, von Mitte des 15. bis Mitte des 16. Jahrh.” und “Geschichte der Malerei, von Mitte des 16. bis Mitte des 17. Jahrh. (verb. mit Erläuterungen der Kunstsammlungen im städt. Museum)”. Das nennt man Bandbreite. Und der Mann hatte da wohl auch schon längst einen Ruf weit über Leipzig hinaus. 1868 wurde er als Direktor an das Großherzogliche Museum in Weimar berufen, 1870 wurde er zum “vortragenden Rathe in der Generaldirection der königlichen Sammlungen für Wissenschaften und Künste in Dresden” ernannt. Das war im Grunde höchste Anerkennung: Die königlichen Sammlungen waren das Nonplusultra dessen, was in ganz Mitteldeutschland an Kunst gesammelt war. Und da war auch von Zahns fachlicher Rat gefragt.

Möglicherweise auch, weil er in der Fachwelt als anerkannte Autorität galt, wozu die von ihm herausgegebene Zeitschrift “Jahrbücher für Kunstwissenschaft”, die er von 1868 bis 1873 herausgab, beigetragen haben dürfte. Erscheinungsort: Leipzig.

Aber die rasante Karriere fand dann in der Nacht vom 15. zum 16. Juni 1873 in Marienbad ein abruptes Ende. Hatte er sich zu viel vorgenommen? Immerhin hatte er noch 1873 die Stelle des Direktors einer von ihm selbst begründeten königlichen Schule für Modellieren, Ornament- und Musterzeichnen in Dresden übernommen. Woran er starb, verraten die so flugs auffindbaren Quellen nicht.

Aber auf einmal hat man einen Mann im Bild, der sich augenscheinlich aufrieb für die Profession seines Herzes, die junge Kunstwissenschaft. Grund genug also für das Museum der bildenden Künste, den Mann wiederzuentdecken und einfach mal seine Zeichnungen zu zeigen, die vom frühen Beginn als Künstler erzählen, bevor er merkte, dass in ihm eher ein kunstwissenschaftlicher Detektiv steckte als ein neuer Schadow oder Friedrich. Aber wie hätte er ahnen können, dass nicht seine Jahrbücher dafür sorgen, dass er wiederentdeckt wird, sondern seine jugendlichen Zeichnungen?

Aber vielleicht ahnte er es ja. Warum sonst hätten sie im grafischen Archiv des Bildermuseums versteckt sein sollen?

Die Ausstellung “Albert von Zahn. Grenzgänger zwischen Kunst und Wissenschaft” wird im Museum der bildenden Künste vom 7. September bis 13. November zu sehen sein.

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