LeserclubDie beiden Räuber sind weg, die Lindenauer Schulden aber nicht. Über eine halbe Million Mark an Verbindlichkeiten hat die Gemeinde nunmehr, schätzt aber selbstverständlich die Lage nicht als bedrohlich ein. Ganz im Gegensatz zur Lage der Kinder westlich von Leipzig. Diese drohen moralisch zu verkümmern, weil ihre Eltern von früh bis spät arbeiten. Aber die Familienverhältnisse sind nicht allein schuld, einen dankbaren Sündenbock kannte man damals wie heute...
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Wie steht es eigentlich um die Finanzen einer aufstrebenden Gemeinde in der Industrialisierungszeit? Offenbar auch nicht besser als heute. Im Folgenden die komplette Lindenauer Finanzübersicht. „Wenn wir in nachstehenden Zeilen abermals auf die von unserer Gemeinde aufgenommenen Anleihen zurückkommen, so geschieht es, um unseren neulichen Bericht über diese Angelegenheit zu vervollständigen. Die im Jahre 1874 beim Reichsinvalidenfonds von der politischen Gemeinde Lindenau aufgenommene Anleihe in ursprünglicher Höhe von 200 000 Mark ist amortisiert bis auf 169 200 Mark. Zu verzinsen ist diese für Beschleußungszwecke und zur Abführung alter Schulden kontrahierte Anleihe mit 4 ½ Prozent und zu amortisieren mit 1. Prozent.“ Doch es ist nicht die einzige Anleihe der Gemeinde.
„Am 17. August 1877 wurde sodann bei der ‚Kommunalbank für das Königreich Sachsen’, eine Anleihe von 85 000 Mark gemacht und zwar ebenfalls von der politischen Gemeinde Lindenau. Dieselbe war bisher mit 5 Prozent zu verzinsen und mit 1 Prozent zu amortisieren. Vom 1. Juli d. J. an jedoch wird sie nur noch mit 4 ¼ Prozent zu verzinsen sein. Von der Anleihe wurden bestritten die Kosten der Pflasterung der Leipziger Straße, die Ausbesserung diverser anderer Straßen, der Bau der ‚Angerbrücke’ und die Einrichtung für das Gemeindeamt gelegentlich des Umzugs desselben in das jetzige Expeditionsgebäude.“
Am 1. Juli 1885 betrug diese 85 000 Mark-Anleihe nur noch 77.974,42 Mark. Damit nicht genug der Schulden: „Am 1. Januar 1883 nahm sodann die Gemeinde Lindenau eine Anleihe von weiteren 100 000 Mark bei der ‚Kommunalbank für das Königreich Sachsen’ auf, die zu 4 ¼ Prozent zu verzinsen und zu 1 Prozent zu amortisieren ist. Diese Anleihe müsste eigentlich zum größten Teile, nämlich mit 80 000 Mark auf das Konto der Kirchengemeinde übertragen werden, denn so hoch beläuft sich der Teil dieser Anleihe, der zum Kirchenbau Verwendung fand.
Der Rest von 20 000 Mark müsste wieder zu Lasten der politischen Gemeinde geschrieben werden, da er zum Bau des Armen- und Ermittiertenhauses aufgebracht wurde. Ferner kontrahierte erst im vorigen Jahre die Kirchengemeinde eine Anleihe von 36 000 Mark bei demselben Kreditinstitut, bei dem die vorgenannte Anleihe aufgenommen worden war. Diese 36 000 Mark wurden zur Abführung restlicher Kirchenbauschulden verwendet.“
Eine Kirche ist das eine, was Lindenau brauchte. Es brauchte auch eine neue Schule. „Auch die Schulgemeinde hat zwei Anleihen gemacht. Die erste im Anfangsbetrage von 125 000 Mark datiert aus dem Jahres 1876 und wurde zum Bau des Knabenschulgebäudes aufgebraucht. Sie war zu Beginn dieses Jahres bis auf 110 708, 26 Mark getilgt. Kontrahiert ist dieselbe bei dem ‚Landwirtschaftlichen Kreditverein im Königreich Sachsen’. Ihre Verzinsung erfolgt mit 4 ½ Prozent, ihre Amortisation mit 1 Prozent.“ Kommen Sie noch mit? „Im Jahre 1885 nahm nun endlich die Schulgemeinde gelegentlich des Schulanbaus bei der ‚Kommunalbank für das Königreich Sachsen’, noch eine zweite Anleihe in Höhe von 60 000 Mark auf. Dieselbe ist zu 4 ¼ Prozent zu verzinsen und mit 1 Prozent zu amortisieren.“
Das war’s. „Dies sind sämtliche Anleihen, welche die politische, resp. Schul- oder Kirchengemeinde Lindenau aufgenommen hat. In den letztvergangenen 12 Jahren, in denen Lindenau seinen großen Aufschwung nahm, wurden also die Passiven unserer Gemeinde um 606 000 Mark Anfangshöhe der einzelnen Anleihen, belastet.
Die augenblickliche Höhe der sämtlichen Anleihen beträgt 549.957, 68 Mark.“ Doch die Schulden sollen die Stimmung keineswegs drücken. „Einem bei weitem höheren Werte besitzen aber die Aktiven Lindenaus, die man mit 750 000 Mark wohl nicht zu hoch schätzt. In einer unserer nächsten Nummern werden wir diese Aktiven genauer nachweisen und hiermit darthun, dass Lindenaus Finanzen trotz der großen Aufwände der letzten Jahre für Straßen- und Schleusenbauten als höchst günstige zu bezeichnen sind.“
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Am Sonnabend Abend findet der zahlreich beworbene Vortragsabend zum Thema „Kinderhort“ endlich statt. Redner ist bekanntermaßen Dr. Waldemar Götze, Oberlehrer am Realgymnasium zu Leipzig. Sein Vortrag gibt uns einen Einblick in die gesellschaftlichen Probleme an einem Ort in dem die Industrialisierung voranschreitet. In einem proppevollen „Deutschen Hause“ („die Idee der Kinderhorte scheint sich hierorts bereits die ungeteilteste Sympathie erworben zu haben“) schritten zuerst die Musiker zu Werke ehe Götze seinen anderthalbstündigen Vortrag begann.
„Im Eingang seiner Auseinandersetzungen sprach Herr Dr. Götze von unserer sozialen und wirtschaftlichen Lage im Allgemeinen, nachweisend dass dieselbe gerade für die Kindererziehung in den Arbeiterfamilien die größten und mannigfachen Gefahren im Gefolge habe. Vater und Mutter müssen von früh bis abends unter den größten Anstrengungen für den Unterhalt der Familie arbeiten. Die Kinder wachsen ohne Beaufsichtigung heran, lungern auf der Straße herum und die Folge ist, die Gefahr für viele Hunderte derselben, moralisch zu verkümmern.“ Das hätte in der Tat Auswirkungen auf das ganze Land.
„Zu Tausenden geht so die Hoffnung unseres Volkes sittlich zugrunde. Die statistischen Nachweise über die Anzahl der verwahrlosten Kinder und über die der jugendlichen Verbrecher bilden so ein höchst trübes Blatt in der Geschichte unserer Tage. Aber, dass müsse zugegeben werden, hieran sei nicht bloß der Mangel einer Familienerziehung für viele der Bedauernswerten Schuld, hieran trägt auch die Schule einen nicht unbedeutenden Teil der Schuld.“ Diese war offensichtlich schon vor 130 Jahren Prügelknabe. Und noch etwas, sollte im Vergleich zu 1886 nicht anders sein.
„Sie ist zu sehr Lehranstalt geworden und hat vergessen, dass sie vor allem auch eine Erziehungsstätte sein soll. Die von ihr vermittelte Bildung geht zu sehr ins Breite, vielzuwenig in die Tiefe. Für die Bildung des Willens, des Charakters thut sie zu wenig. Inbezug hierauf muß Redner der skandinavischen Volksschule einen bedeutenden Vorzug unserer Schule zu erkennen. Die skandinavische Volksschule habe durch allgemeine Aufnahme des Handfertigkeitsunterrichts, der die Schüler zur Bethätigung des Willens in zweck- und zielbewusste Arbeit anhalte, mit Erfolg gelernt, auf die Charakterbildung ihrer Zögling einzuwirken.“
Götze fordert in seinem Vortrag deshalb die Einrichtung von organischen Weiterbildungen der Kleinkinderbewahranstalten, um „diesen Kindern eine Erziehungsanstalt zu werden und sie so dem geist- und herzverderbenden Herumlungern auf der Straße zu entreißen.“ Götze illustrierte noch dem zahlreichen Publikum, welche verschiedenen Arten von Horte es gäbe. „In allen diesen Horten hat man den hohen Wert der Selbstthätigkeit der Kinder erkannt und darum wird in ihnen allen auch mit dem sichtlichten Erfolge der Handfertigkeitsunterricht betrieben.“ Das Komitee zur Begründung eines Kinderhortes war ebenfalls anwesend und hörte genau zu. Wann und ob ein Kinderhort in Lindenau entstanden ist, ist nicht bekannt.
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Der Petition gegen den Maulkorbzwang wurde vom Gemeindevorstand Plagwitz stattgegeben. Hunde dürfen sich auch weiterhin ohne Maulkorb bewegen.
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Neue Anschlüsse an die Stadt-Fernsprecheinrichtung für Leipzig „deren Herstellung im laufenden Jahre gewünscht wird, sind spätestens bis zum 1. März bei der Ober-Postdirektion Leipzig zu melden. Für Anmeldungen, welche nach dem 1. März eingehen, kann auf die Ausführung in der diesjährigen Bauperiode nicht gerechnet werden.“
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Von Zehne und Melzer hört man leider nichts mehr. Ob die beiden schließlich in Amerika angekommen sind?
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ENDE
Noch mehr Zeitreise in der Artikelserie Leipzig 1914
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