Schopenhauer hat seine Bücher stehen gehabt in seiner Bibliothek. Aber wer kennt ihn heute noch, diesen Gottlieb Wilhelm Rabener, seines Zeichens Schriftsteller, Aufklärer, Steuerrevisor und von seinen Zeitgenossen "der deutsche Swift" genannt? Ein begnadeter Satiriker, den selbst seine Heimatstadt gnadenlos vergessen hat. Dabei hat er am 17. September einen Geburtstag, den man nicht übersehen kann: seinen 300.

Geboren wurde Rabener auf dem Rittergut in Wachau. Wachau ist heute ein Ortsteil von Markkleeberg. Das Rittergut übersieht man leicht, weil davon fast nichts mehr steht. Seine letzte Gestalt hat es verloren, als es in DDR-Zeiten als Landwirtschaftsgenossenschaft genutzt wurde. Entsprechend nüchtern ist die Bebauung an der Bauernhofstraße. Ein paar Meter weiter steht die Kirchenruine Wachau. Daran kann man sich orientieren. In der Bauernhofstraße 1, wo der alte Gutseingang war, befindet sich heute die Pension “Völkerschlacht 1813”, man muss über den Hof gehen, um noch das verbliebene Stück des alten Gutsparkes zu sehen mit dem Sandtsteinsarkophag der Friederike Quandt (die Quandts besaßen das Gut im frühen 19. Jahrhundert) und dem eindrucksvollen, schmiedeeisernen Tor, das hier scheinbar ganz beziehungslos auf die stark befahrene Bornaer Chaussee hinausführt.

Das hat 1862 der damalige Rittergutsbesitzer Weinschenk von der Stadt Leipzig gekauft. Es ist eine der alten Stadttore von Leipzig, die der Rat der Stadt damals verkaufte, weil niemand mehr die Straßen an den Leipziger Chausseehäusern unbedingt mit Toren versperren musste. So sieht man hier ein altes Stück Leipziger Torpolitik.

Von Rabener sieht man hier nichts. Auch sein Grab ist nicht hier. Wenn er noch eines hätte, wäre es heute in Dresden auf dem dortigen Johanniskirchhof. Wikipedia merkt an, dass der Satiriker heute vergessen sei. Zumindest bei Verlegern ist er es. Sie tun sich schwer mit Satire. Denn das ist etwas Feines. Der studierte Jurist Rabener, der nach seinem Jurastudium 1741 in Leipzig als Steuerrevisor tätig wurde, wusste es. Denn er schliff seinen Stil am besten journalistischen Material, das zu seiner Zeit zu bekommen war – an englischen Wochenzeitschriften.

Er schrieb Romane, Satire und Sprichwörter und kritisierte – hoppla – gesellschaftliche Missstände. Und nicht nur die. Denn wer an Swift geschult ist, der sieht mit sehr genauem Blick hin auf das Gebaren der lieben Mitmenschen. Und bevor einer seine Satiren auspackt, erklärt er es dem klügeren Leser auch erst mal (Die anderen lesen sowas sowieso nicht, was Satiren so gefährlich macht: Sie werden nicht als harmloser Humor betrachtet …).

“Diejenigen sind weit weniger zu entschuldigen, welche auf die Bemühungen, die Laster lächerlich und verhaßt zu machen, unerbittlich eifern, und doch unermüdet sind, von ihrem unschuldigen Nachbarn alles böse zu reden, was ihnen der Neid oder andere Leidenschaften eingeben”, schreibt er in seinem “Vorbericht zum Missbrauch der Satire”. Diesen Unterschied zwischen Satire und boshafter Nachrede haben auch heute viele Leute nicht begriffen. Wenn man Rabener so liest, hört man recht bald auf, das 21. Jahrhundert ein zivilisiertes zu nennen. Es ist – verglichen mit dem, was Rabener so niederschrieb – und noch genauso unausgegorenes und ungehobeltes. Da helfen alle Knigges nicht.
Über 50 Seiten verwendet er allein darauf, um seinen Lesern zu erklären, was anständige Satiren sind – und warum sie keineswegs dazu da sind, Zeitgenossen so niederzumachen, dass sie für alle Zeiten in schlechtem Ruf stehen. Man merkt schnell: Eigentlich will er seine Mitmenschen ein bisschen erziehen, ein bisschen besser machen, weniger prahlerisch, weniger verleumderisch, weniger geschwätzig. Das aufklärerische Zeitalter war ein erzieherisches. Aber was hilft’s, wenn die Richtigen lesen und nicken und die anderen gar nicht erst lesen? Und sich dann dennoch benehmen wie der Elefant im Porzellanladen?

In den 1750er Jahren gab er seine “Sammlung satirischer Schriften” heraus bei Johann Gottfried Dyck. In Leipzig. Da lebte er schon in Dresden, wohin er als Erster Steuersekretär berufen worden war.

Er schrieb für die berühmten “Bremer Beiträge”, das “Sprachrohr der Sächsischen Dichterschule”, für die auch Christian Fürchtegott Gellert schrieb.

Zu seinen Zeitgefährten gehörten Johann Andreas Cramer, Nikolaus Dietrich Giseke und Christian Felix Weiße.

“Seinen Stoff fand er vornehmlich in den Schwächen und Torheiten der bürgerlichen Welt und gab Geizhälse, Betschwestern, Pedanten, Heuchler und Streber dem Spott preis. Wegen der Prägnanz seiner Sprache und der abwechslungsreichen Einkleidung seiner Satiren galt er als Muster eines witzigen und einfallsreichen Schriftstellers. Schon die nächste Generation jedoch beanstandete, R. habe nur private Laster aufs Korn genommen und seine Satiren auf einen allzu maßvollen Ton gestimmt”, beschreibt die Deutsche Biografie sein Werk. Und das Unverständnis der nächsten Generation, die natürlich Schärferes erwartete, auch richtige Gesellschaftskritik.

Die aber untersagte sich Rabener – auch mit Rücksicht auf sein Amt im Staatsdienst. Deswegen hörte er ab 1755 auch auf, Satiren zu schreiben. Auch darüber schreibt er im “Vorbericht zum Missbrauch der Satire”: Obwohl er sich hütete, Zeitgenossen beim Namen zu nennen oder gar so zu beschreiben, dass man welche hätte erkennen können, lasen seine Leser allerlei bekannte Personen in seine Texte hinein. Und einige von diesen Personen wollten sich gleich selbst erkennen – und machten dem Autor Ärger.

Das ist wie heute. Nur heute werden die Autoren dann zumeist wegen Verleumdung oder – wie das heute heißt – “Verletzung des Persönlichkeitsrechts” vor Gericht gezerrt und eine Veröffentlichung des Textes wird untersagt.

Ein wenig abträglich war es für Rabeners Satiren, dass auf diese Weise die Berühmten und die Möchtegerns seiner Zeit nicht mehr erkennbar sind. Wenn er sie denn gemeint hätte. Da fehlt dem Leser heute zumeist der Bezug, denn man liest ja Satiren auch gern, weil man ein paar Leute nur allzugern erkennen und ertappt sehen möchte.

Das aber wollte Rabener nicht.

Trotzdem wagen sich dann und wann doch noch ein paar Forscher an seine Texte. Es gibt eine e-Book-Version seiner Satiren von 2011 und eine Briefedition von 2012. Tatsächlich gilt es, den Mann wiederzuentdecken.

Und wohin mit dem Geburtstagsblumenstrauß? In Lindenau kann man ein Ständchen singen. Da gibt es eine Rabenerstraße. Oder man trifft sich im Gutspark in Wachau. Auch da kann man ein Geburtstagsliedchen singen und ein Glas trinken auf den “Swift” aus Wachau.

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