Wie geht man mit Geschichte um? Wie schnell werden die Ikonen einer Zeit fragwürdig? Wie sehr brauchen Bewohner einer Stadt solche Ikonen? - Das waren durchaus Fragen, die 2011 eine Rolle spielten, als Stadt und Stadtrat über die Rückbenennung des Thälmannplatzes in Volkmarsdorf in Volkmarsdorfer Markt diskutierten. Der Name Ernst Thälmann verstand von der Stadtkarte. Ganz aber sollte er nicht verschwinden. Eine Tafel sollte an ihn erinnern. Am Mittwoch wurde sie enthüllt.

Am Mittwoch, 9. April, enthüllte Kulturbürgermeister Michael Faber am Gebäude Zollikoferstraße 23 eine Gedenktafel zum Auftritt Ernst Thälmanns bei einer Kundgebung zur Reichspräsidentenwahl 1932 auf dem Volkmarsdorfer Markt. Damit wird der Ratsbeschluss zur Rückbenennung des “Ernst-Thälmann-Platzes” in “Volkmarsdorfer Markt” aus dem Jahr 2011 vollständig umgesetzt sein.

Der Text der Tafel, die vom Künstler Gerd E. Nawroth gestaltet wurde, lautet: “Hier auf dem Volkmarsdorfer Markt, einem Versammlungsort der Arbeiterschaft und ihrer Organisationen, fand am 9. April 1932 eine Veranstaltung anlässlich der Reichspräsidentenwahl statt. Ernst Thälmann (geboren am 16. April 1886 in Hamburg – ermordet am 18. August 1944 im KZ Buchenwald) trat auf einer Bühne vor dem ehemaligen Gebäude in der Zollikoferstraße 23 als Redner auf.”

Auf der Tafel ist außerdem ein historisches Foto der Veranstaltung zu sehen. Das Bild des Fotografen Fritz Böhlmann gehört heute zum Bestand des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig.

Damit erfährt Thälmann und sein Wirken eine gute und angemessene Würdigung, finden die Grünen, die 2011 die Umbenennung initiiert hatten. Somit werde dann auch der Ratsbeschluss zur Rückbenennung des “Ernst-Thälmann-Platzes” in “Volkmarsdorfer Markt” aus dem Jahr 2011, der auf die Initiative der Fraktion zurückgeht, vollständig umgesetzt sein.

“Ihm gebührt ohne Zweifel eine Würdigung als langjähriger Inhaftierter der Nazis, der wohl in seiner Haft auch niemanden verraten hat. Ebenso dafür, dass er von den Nazis heimtückisch ermordet wurde”, sagt Grünen-Stadtrat Ingo Sasama. Entgegen der zu DDR-Zeiten erfolgten Glorifizierung der Person Thälmanns, wird mit diesem Schritt ein Stück weit eine angemessene historisch gerechtfertigte Würdigung zu Teil.”

“Ernst Thälmann ist durchaus als eine ‘tragische Person’ zu bezeichnen”, ergänzt Stadtrat Bert Sander (Wählervereinigung Leipzig). “Zum einen war er ein glühender Anhänger des Stalinismus und zugleich ein Opfer desselben. Die in der DDR betriebene Idealisierung von Thälmann lässt der Persönlichkeit Thälmann jedenfalls keine historische Gerechtigkeit widerfahren, sie überfordert ihn schlechthin. Das zu DDR-Zeiten zelebrierte unkritische Thälmann-Bild hat auch dazu geführt, dass der Blick auf eine andere, kritische, marxistisch-kommunistische Tradition, die es ja auch gab, verstellt wurde.”

Die Tafel geht natürlich auf diese Dimension der Geschichte nicht ein. Das werden dann wohl die Geschichtslehrer in den Schulen machen müssen. Denn auch die Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 gehört zu den tragischen Kapiteln der deutschen Geschichte. SPD und KPD – zutiefst zerstritten – konnten sich auf keinen gemeinsamen Kandidaten einigen. Die SPD unterstützte den nationalkonservativen Kandidaten und amtierenden Reichspräsidenten von Hindenburg, die NSDAP schickte ihren Frontmann Hitler ins Rennen und die KPD stellte als Alternative ihren Vorsitzenden Ernst Thälmann auf. Und sie plakatierte: “Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler. Wer Hitler wählt, wählt den Krieg”. Und sie sollte doppelt Recht behalten mit der Prophezeiung. Was ihre Rolle im stalinschen Konzert und auch die Rolle ihres Vorsitzenden Thälmann besonders tragisch macht.

Eine Tragik, die im Grunde noch gesteigert wurde durch die Ikonisierung Thälmanns später in der DDR. “Die in der DDR betriebene Idealisierung von Thälmann lässt der Persönlichkeit Thälmann jedenfalls keine historische Gerechtigkeit widerfahren, sie überfordert ihn schlechthin – wie Ingo Sasama mit seinem Redebeitrag aufgezeigt hat”, sagte Bert Sander 2011 in seiner Stadtratsrede. “Der tradierte und zum Teil auch der aktuellen Umgang mit der historischen Persönlichkeit Thälmann lehrt zumindest eines, nämlich das Thälmann auch heute noch nicht nur vor seinen Feinden, sondern eben auch vor seinen vermeintlichen Freunden zu schützen ist.”

Eine gewissen historischen Bogen bekommt die jetzige Ehrung mit einer Tafel an der Betonplatte in der Zollikoferstraße dadurch, dass die Volkmarsdorfer Kirche in den 1980er Jahren durch Pfarrer Christoph Wonneberger zum Ausgangspunkt der Protestbewegung in Leipzig wurde, die 1989 in die Friedliche Revolution mündete. Daran erinnert eine Stele auf dem Platz, der seit 2011 nun wieder Volkmarsdorfer Markt heißt.
Die Rede von Stadtrat Ingo Sasama (Grüne) aus der Debatte von 2011 als PDF zum download.

Die Rede von Stadtrat Bert Sander (WVL) aus der Debatte von 2011 als PDF zum download.

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