Ein Lied wird 200 Jahre alt. Es ist das wohl bekannteste Lied aus den Zeiten der Völkerschlacht, obwohl es kaum ein Chor mehr im Repertoire hat. Der Grund ist simpel: Wie so Vieles aus der deutschen Schatulle der Kunst wurde auch dieses Stückchen missbraucht. Nicht zuletzt in der Nazi-Zeit. Aber was macht man mit Körner und seinem Reiterlied "Lützows wilde verwegene Jagd"?
Entstanden ist es am 24. April 1813 in Leipzig. 21 Jahre alt war Karl Theodor Körner, als er es schrieb. Erst wenige Wochen zuvor war der in Dresden geborene Dichter den Lützower Jägern beigetreten, jenem im Februar 1813 von Major Ludwig Adolf Wilhelm von Lützow gegründeten Freikorps, das von Breslau aus Richtung Leipzig aufgebrochen war. Freikorps hieß genau das, was es war: ein Korps von Freiwilligen, die sich selbst uniformierten und ausstatteten. Die Uniform in Schwarz, Rot und Gold. Am 17. April 1813 traf das Lützowsche Korps in Leipzig ein und eröffnete hier erst einmal ein Werbebüro.
Man hat es also noch gar nicht mit einer wirklich schlagkräftigen und erfahrenen Truppe zu tun, sondern größtenteils mit jungen Männern, die zum ersten Mal in einen Krieg ziehen. Und das in einer durchaus aufregenden Stunde. Denn nach seiner Niederlage in Russland hatte Napoleon weitere Niederlagen einstecken müssen. Seit dem 8. Februar standen die russischen Truppen in Polen. Die Leipziger Lazarette wurden am 17. Februar nach Naumburg zurückverlegt. Und dass die Preußen Freikorps aufstellten, hatte auch Napoleon spitz gekriegt und stellte seinen Noch-Verbündeten, den Preußenkönig Friedrich Wilhelm III., zur Rede. Und der schwindelte den Kaiser der Franzosen mit zitterndem Herzen an und behauptete, das seien Hilfsmannschaften für die französische Armee.
Nicht der einzige Monarch, der von den Ereignissen und zwei begnadeten Reformern wie Stein und Hardenberg zum Jagen getragen werden musste. Auch der sächsische König Friedrich August I. zauderte und konnte sich nicht entschließen, die Seiten zu wechseln, obwohl der Krieg jetzt in Sachsen angekommen war. Leipzig war bis zum Sommer von russischen Truppen – vor allem Kosaken – besetzt. Steffen Poser erzählt in seinem Buch “Die Völkerschlacht bei Leipzig” die kleine Anekdote, nach der Theodor Körner sich bei einem Optiker im Rathaus eine Brille anfertigen lässt – diese aber nie abholt.
In Leipzig wird der junge Theaterdichter zum Offizier ernannt. Leipzig kennt er schon. Hier hat er studiert. Ein Semester lang. Im Oktober 1810 hatte er sich als Student der Kameralwissenschaft eingeschrieben und hatte bald von sich Reden gemacht durch Schlägereien vor allem mit adligen Studentenorden. Das gab es also auch schon, bevor überhaupt Burschenschaften gegründet wurden. Im März 1811 floh Körner nach Karzer, Stadtarrest und Relegation nach Berlin. Ein Heißsporn.Wenn man das alles weiß, kann man sein Reiterlied ein Stück weit besser einordnen. Und dass der Schneckenberg als Zeugungsort gilt, gibt dem eine weitere pikante Note. Der Schneckenberg war Teil des 1784 angelegten Parks im Nordosten der Stadt, Teil der ersten Umwandlung der alten Stadtgräben zum heutigen Promenadengrün. Der Schwanenteich ist ein überformter Rest des alten Stadtgrabens. Südlich davon hatte man einen künstlichen Berg geschaffen, auf den man über einen spiralförmigen Weg hinaufgelangte. Da oben scheint also der frisch ernannte Offizier des Korps im Frühlingsgrün gesessen zu haben und die sechs martialischen Strophen geschrieben zu haben, die dem frisch zusammengewürfelten Haufen so etwas wie Ansporn sein sollten. Worte wie wacker, verwegen und Wütrich kommen drin vor. Der Wütrich war natürlich Napoleon.
Aber es steckt auch ein dicker Kloß romantischer Todessehnsucht drin, ohne die deutsche Militärlyrik seitdem nicht mehr ausgekommen ist. Weswegen dieses Lied von den wackren Herzen auch fleißig benutzt und missbraucht wurde, um späterhin für deutsche Kriege zu tröten. Nicht erst unter den Nationalsozialisten, die das romantische Todespathos zur Grundnote ihrer Propaganda machten.
Auch das war schon vorher präsent. Und einer wusste sehr genau, wo das alles herkam: Kurt Tucholsky. Auch in seiner Zeit nannten sich die halb offiziellen Truppen, die im Lande Menschenjagd betrieben, Freikorps. Nur dass es diesmal nur verbal ums Vaterland ging – tatsächlich um die gewalttätige Abschaffung der Republik. Auch das gehört zu den Spätwirkungen der Völkerschlacht und der früh schon so falsch benannten “Befreiungskriege”.
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Was hätte Theodor Körner zu dem gesagt, was da rauskam am Ende? – Man kann es nicht einmal sagen. Denn der Rest seines kurzen Lebens war die Reiterei bei den Lützowern, war seine Verwundung bei Kitzen, die ihn als Verletzten am 18. Juni 1813 in das Gutsgärtnerhaus in Großzschocher brachte, das heute als Körnerhaus fleißig saniert und gepflegt wird.
Und es war nach einem kurzen Aufenthalt in Leipzig seine Rückkehr zum Lützowschen Freikorps, das sich im neutralen Böhmen aufhielt, und dann sein Tod am 26. August bei Gadebusch. Seinen 22. Geburtstag hat er nicht mehr erlebt.
Das nennt man dann eigentlich ein unfertiges Leben. Den Gedichtband “Leyer und Schwerdt”, in dem auch “Lützows wilde verwegene Jagd” enthalten ist, veröffentlichte Theodors Vater Christian Gottfried Körner 1814. Das ist dann genau jener Körner, der Friedrich Schiller 1784 nach Leipzig eingeladen hatte, wo dann 1785 wohl die ersten Varianten des anderen berühmten Liedes aus Leipzig entstanden – der “Ode an die Freude”.
Das Lützowsche Korps auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%BCtzowsches_Freikorps
Tucholsky Satire auf die “Wilde verwegene Jagd” von 1926: www.textlog.de/tucholsky-wilde-jagd.html
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