Das Haus Klostergasse 9 ziert eine recht neue Erinnerungstafel. Hier wurde bis 1909 das Hôtel de Saxe betrieben. Vor noch nicht allzu langer Zeit erinnerte an dem Bau eine steinerne Wandtafel an den dort tagenden Verein "Vorwärts" der frühen Arbeiterbewegung. Doch auch "Marschall Vorwärts" Blücher bettete zur Völkerschlacht dort sein Haupt.
Wer auch immer die neue Erinnerungstafel am historischen Hôtel de Saxe in der Leipziger Klostergasse angebracht hat: Er bewies den Mut zur großen historischen Synthese.
Gebhardt Leberecht von Blücher (1742 – 1819) und August Neidhardt von Gneisenau (1760 – 1831) logierten einst dort, wie der schmucken Glastafel zu entnehmen ist. Erstgenannter trug als “Marschall Vorwärts”, Zweitgenannter als dessen genialer Stabschef zum Sieg über Napoleon Bonaparte (1769 – 1821) in den Befreiungskriegen und in Sonderheit in der Leipziger Völkerschlacht bei. Besagter Empereur soll auch im Hôtel de Saxe genächtigt haben, lesen wir auf der Tafel weiter.
Dichterfürst und Leipzig-Freund Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) stieg hier gleichfalls ab, wie wir erfahren. Größen der Musik traten im Saale des Hotels auf, was auf der aktuellen Tafel leider nicht vermerkt ist. Zu den Gästen des Hauses zählte neben anderen Frédéric Chopin (1810 – 1849), dessen virtuoses Klavierspiel auch in Leipzig enthusiastisch gefeiert wurde.Ein Hotel als Stätte der Arbeiterbildung
Doch “Vorwärts” sollte noch einmal zum Leitmotiv des Hauses werden. Nach Jahren der politischen Haft kaufte Friedrich Ludwig Würkert (1800 – 1876) das Hotel. Der vormalige evangelische Pfarrer und Revolutionskämpfer von 1848/49 betrieb in dem Haus von 1861 bis 1867 eine “Restauration für Volksbildung, Volksveredlung und Volksermutigung”.
Volksbildung erfolgte in jenen Jahren längst nicht mehr zu ausschließlich gewerblichen und berufsqualifizierenden Zwecken. Es wurde politisiert, gerade wenn ehemalige 48er mit dabei waren. Hier hatte ab 1862 der Verein “Vorwärts” seinen Sitz. Aus ihm ging 1865 der Leipziger Arbeiterbildungsverein hervor. Dessen Vorsitzender war der Drechsler August Bebel (1840 – 1913). Binnen weniger Jahre stieg er zum ungekrönten “Arbeiter-Kaiser” in Deutschland auf.
So gelang den Gestaltern der neuen Tafel so etwas wie ein verbindender Beitrag zum großen Leipziger Jubiläumsjahr 2013. Blücher und Gneisenau stehen für das Doppeljubiläum von Völkerschlacht und Völkerschlachtdenkmal. Bebel für die Sozialdemokratie, die ihre Geschichte mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein ADAV unter Ferdinand Lassalle im Lokal “Pantheon” am 23. Mai 1863 beginnen lässt.
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Nun standen sich jene, die sich als Sieger und Befreier von 1813 sahen, und die sozialdemokratische Arbeiterbewegung über lange Zeiten diametral gegenüber. Erstere wollten nach ihrem Sieg 1813 – und nochmals nach der Niederschlagung der Revolution von 1848/49 – eben doch alles auslöschen, was mit “Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit” und den Idealen der Französischen Revolution von 1789 zu tun hatte. Zudem sollte ihr deutsches Vaterland in strikter Abgrenzung von Frankreich erstehen.
“Freiheit – Ehre – Vaterland” wurde zu einer der populären Gegenthesen zur Wertetrias von 1789, mit der die europäischen Anhänger der französischen Revolutionäre auf universellen Egalitarismus setzten: auf Gleichheit und Brüderlichkeit eben.
Die frühe deutsche Arbeiterbewegung sang folglich ab 1864 die “Arbeiter-Marseillaise”. Dem musikalisch eingängigen Revolutionsmarsch, der noch heute die Hymne der französischen Republik ist, gab Jacob Audorf einen deutschen Text, der ankam.Von “freiem Wahlrecht” ist dort als Ziel die Rede, von “Recht und Wahrheit” sowie vom “gleichen Recht für jedermann” ebenso. Das Lied “kann mit Fug und Recht als erste Hymne der deutschen Arbeiterpartei bezeichnet werden”, bis 1933 war es offizielles Parteilied der Sozialdemokratie, schreibt die Historikerin und Musikwissenschaftlerin Juliane Brauer in dem unlängst erschienenen Sammelband “Deutsche Sozialdemokratie in Bewegung 1848 – 1963 – 2013”
Vorwärts: Name der Parteizeitung und von Vereinen
Zugleich kam das Wort “Vorwärts” unter Sozialdemokraten groß in Mode. Die Parteizeitung, erstmals 1876 in Leipzig erschienen, trägt bis heute diesen Namen. Verwendung fand “Vorwärts” weiterhin bei Arbeitersportvereinen, so im mecklenburgischen Friedland, und innerhalb der Bewegung der Konsumgenossenschaften, beispielsweise in Dresden.
Das “Vorwärts” der Arbeiter(sport)bewegung und der militärischen Kommandosprache kamen dann in der DDR noch einmal zueinander. Die Armeesportvereinigung erhielt den Namen “Vorwärts”. Deren braunen Trainingsanzüge mit dem roten V im Emblem trugen Olympiasieger wie Wehrpflichtige gleichermaßen.
Deutsche Sozialdemokratie in Bewegung
Anja Kruke; Meik Woyke, Verlag Dietz, J H, 29,90 Euro
Der Blücher-Orden war zudem die höchste militärische Auszeichnung der DDR für den Kriegsfall, zu dem es glücklicherweise nie kam. Ordenspatron Blücher war 1814/15 im Bunde mit russischen Truppen bis an den Rhein und schließlich nach Paris vorgestoßen; beim heute belgischen Waterloo am 18. Juni 1815 trugen seine Truppen zur schlussendlichen Niederlage Napoleons bei.
Und wenn die westdeutsche und später gesamtdeutsche Sozialdemokratie späterhin ihr Ja zur allgemeinen Wehrpflicht begründete, kam sie auch mit dem Verweis auf die preußischen Militärreformer und die Befreiungskriege des frühen 19. Jahrhunderts daher.
Ein Hôtel de Saxe gibt es übrigens seit einigen Jahren wieder in Gohlis.
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