Bach ist da. Vor ein paar Tagen traf er in Leipzig ein, bekam noch ein bisschen Zeit zu akklimatisieren, dann musste er raus - zum Fototermin: Still halten! Bitte lächeln! Bitte die Schokoladenseite, Herr Bach! - Herr Bach ist zurück aus Amerika. Am Dienstag, 22. Januar, ward zum großen Fotografieren in den Sommersaal des Bach-Archivs eingeladen.
Bach mittendrin – in Goldrahmen, etwas blässlich, von der Zeit umwölkt. Die letzten Jahre haben ihm sichtlich zugesetzt. Da erkennt ihn selbst Christoph Wolff, Direktor des Bach-Archivs Leipzig, kaum wieder. Als er ihn das letzte Mal sah, hing er in Toronto an der Wand. 1968, erinnert sich Wolff. “Da hab ich zwei Jahre in Toronto studiert. Da hing das Bild als Leihgabe im Hörsaal. Und der Rock leuchtete noch in einem prächtigen Blau.”
Der Holländer Baron Tyll van Seroskerken hatte das Porträt einst in Holland erworben und dann über den großen Teich mitgenommen – erst nach Kanada, wo es der Student Christoph Wolff im Hörsaal seiner Uni sah, und dann in die USA, wo es der langjährige Direktor des Bach-Archivs und Vorgänger von Wolff, Hans-Joachim Schulze, kurz zu sehen bekam. Der musikliebende Baron hatte durchaus schon Leipzig im Sinn, als er das Bild verkaufen wollte. Nur den Geldbeutel der Leipziger konnte er nicht so recht einschätzen, so dass die ersten Kaufanbahnungen bald versandeten. Selbst bei Ebay versuchte der Besitzer, das Bild zu verkaufen. Doch auch da fand er die möglichen Interessenten nicht. Denn es ist zwar ein Gemälde – aber für den Kunstmarkt eigentlich nicht interessant.
Interessant ist das Bild nur für die Bach-Gemeinde, obwohl es sogar nur eine Kopie ist von einem der beiden Original-Bach-Porträts des Leipziger Ratsmalers Elias Gottlob Haußmann. Eins der Originale hängt sogar im Alten Rathaus. Nur leider geriet es im späten 19. Jahrhundert in die Hände eines Restaurators, der alle Feinheiten übermalte. Ergebnis, ein “eher wolkiges Porträt”, wie Peter Wollny, stellvertretender Direktor des Bach-Archivs Leipzig und Leiter des Forschungsreferats I, es nennt.
Das zweite Original hängt heute höchstwahrscheinlich in Princeton. Und dann existieren möglicherweise noch zwei ältere Kopien. Und die jetzt für Leipzig ersteigerte Kopie ist eine davon. Ein Schildchen auf dem Rahmen gibt das Jahr 1848 als Entstehungszeit an. Aber sowohl Wollny als auch Wolff gehen davon aus, dass die Kopie noch früher angefertigt wurde. Es ist eine sehr genaue Kopie, die noch die Details des Originals zeigt. “Bach kommt hier noch viel authentischer rüber”, sagt Wollny.Aber die Arbeit mit dem Bild beginnt erst. Der Grauschleier, der sich im letzten halben Jahrhundert über das Bild gelegt hat, muss entfernt werden. Und Experten müssen sich jetzt eingehend mit der Geschichte des Bildes, mit Malgrund und Farben beschäftigen, um den Entstehungszeitpunkt besser eingrenzen zu können.
Das Bach-Porträt war freilich nicht der einzige Zugewinn für das Forschungsarchiv. Auch der ausgestellte Tisch mit Drucken und Bildern darauf ließ Wollny geradezu schwärmen. Sogar ein angerissenes Notenblatt, die erste Seite einer “Chromatischen Fantasie” von 1748, ganz unverhofft 2012 in Privatbesitz in den USA aufgetaucht, ließ ihn jubeln. Da hing das Notenblatt jahrelang an der Wand. Bis die Besitzer mal nachfragten in Leipzig.
Ergebnis: Das Blatt beweist, dass Johann Sebastian Bach selbst das Musikstück so benannte. Und es entstand direkt am Thomaskirchhof, denn es ist eine Abschrift, die Bachs Sohn Johann Christoph Friedrich Bach 1748 unter gestrenger Anleitung durch seinen Vater anfertigte. Bach spannte seine Söhne frühzeitig zum Notenkopieren ein. Da lernten sie gleich was. Talentiert waren sie ja. Johann Christoph Friedrich war 16 Jahre alt, als er Papas Komposition kopierte. “Bislang kannten wir nur Abschriften aus dem 19. Jahrhundert”, sagt Wollny.Nun wurde der Sohn also direkt beim Kopieren erwischt. Der Junge war übrigens der dritte von vier Bach-Söhnen, der selbst zu einem Komponisten wurde. Der zweite war der 1714 geborene Carl Philipp Emanuel, der natürlich an diesem Mittwoch ebenfalls präsent war. Dem Bach-Archiv ist es gelungen, das 1773 entstandene Pastellbild dieses Bachsohnes zu erwerben. Eigentlich ein Bildchen. Gemalt hat es ebenfalls ein Bach – diesmal ein Johann Philipp Bach, ein Vetter Carl Philipps. Beim Begriff “Vetter” muss man es wohl belassen, die Verbindung läuft über die weitverzweigte Bach-Familie in Thüringen. Aber die Freude am Schöpferischsein hatten sie wohl alle. Und wer nicht musizierte, der malte.
Auch einer der Söhne Carl Philipp Emanuels wurde Maler. Der Junge hieß – na welche Überraschung – Johann Sebastian, genau wie sein Großvater. Aber das Bach-Archiv erforscht eben nicht nur Leben und Werk des Leipziger Thomaskantors, sondern auch das seiner Familie. Und so freut sich das Bach-Archiv nun auch über den Erwerb eines Aquarells von Johann Sebastian dem Jüngeren: “Die Mühle am Bach”, entstanden um 1770. Der Mäzen Dr. Arendt Oetker half bei der Erwerbung dieses Bildes.
Die drei Bücher, die erworben werden konnten, beleuchten die Welt, in der Johann Sebastian der Ältere zu komponieren begann. Man denkt sich ja die Bach-Zeit immer mit Bach als imposantem Denkmal in der Mitte. Aber von wem lernte er? Was galt eigentlich als das Modernste und Kunstvollste, als er selbst mit Komponieren begann? – Und so freut sich Peter Wollny jetzt über “Neue Clavier-Übung Erster Theil”, gedruckt 1689 in Leipzig, das Werk eines der begabten Vorgänger im Thomaskantorenamt: Johann Kuhnau. Bach kannte es auf jeden Fall, denn es gehörte zu den Standardwerken seiner Zeit, auch wenn heute weltweit nur noch sechs Exemplare existieren.
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Und einen ähnlichen Standard stellte auch das 1714 in London gedruckte “Pièces de Clavecin” von Johann Mattheson dar, das das Bach-Archiv genauso erwerben konnte wie eine Ausgabe des “Livre d’orgue contenant cinq Messes suffisantes pour tous les tons de l’Eglise”, gedruckt 1688 in Paris, von André Raison, das deshalb interessant ist, weil Bach Motive aus dieser Sammlung in seinen eigenen Kompositionen variierte.
Aber das tapfer ausharrende Fotomotiv an diesem Tag musste der Kantor in seiner kopierten Schönheit hergeben, mal mit dem einen Bild dazu, mal mit dem anderen. Und mit frechen Kommentaren von Christoph Wolff zur Arbeitsweise von Elias Gottlob Haußmann, der sich auf Köpfe spezialisiert hatte und die Hände augenscheinlich von seinen Lehrlingen malen ließ. Deswegen ist die Hand, die auf dem Bild ein Notenblatt mit einem Kanon aus den Goldberg-Variationen hält, wohl eher nicht die Hand des Komponisten und Orgelvirtuosen. Dazu sei sie zu plump, meint Wolff. So kommt ein berühmter Mann zu den falschen Händen.
Aber so sind Musikwissenschaftler eben, weil das ihr Metier ist: Sie schauen den Leuten nicht nur aufs Gesicht, sondern auch auf die Hände. Ob’s die Hände eines Orgelspielers sind. Zum Beispiel.
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