Auch in der Geschichte der Frauenbewegung spielt Leipzig eine ganz besondere Rolle. Wichtige Impulse und Innovationen für die deutsche Gesellschaft gingen von der Messestadt spätestens seit der Gründung des Leipziger Frauenbildungsvereins 1865 aus, betonte die Dresdner Sozialhistorikerin Professor Susanne Schötz dieser Tage in Leipzig.
Um “Leipzigs Bedeutung für die Geschichte Sachsens” ging es in dieser Woche in der alten Handelsbörse. Die gleichnamige Fachtagung hatten die Historische Kommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und der Leipziger Geschichtsvereins e.V. organisiert. Irgendwie war auch diese Veranstaltung so etwas wie ein Vorlauf auf das große Stadtjubiläum 2015 hin. Dann will Leipzig die 1000jährige Wiederkehr seiner Ersterwähnung feiern. Und eine neue Stadtgeschichte vorlegen, die wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht wird.
Nun ist Geschichte immer Ansichtssache. “Männer machen die Geschichte”, so der Historiker Heinrich von Treitschke (1834 – 1896). Einen Teil seiner Studienzeit verbrachte Treitschke an hiesiger Universität. Als Ordinarius in Berlin konnte er ab 1873 seine kruden Thesen zu den Antrieben der Geschichte und der gesellschaftspolitischen Rolle von Juden in der Gesellschaft besonders wirkungsmächtig verbreiten.
Schaut man auf die Auslagen der örtlichen Souvenir- und Postkartenshops scheinen die großen historischen Momente der Messestadt auch heute noch alle von Männern gemacht. Doch so war und ist es eben nicht.
Auch in der Geschichte der Frauenbewegung als “einer der großen sozialen Emanzipationsbewegungen” habe Leipzig eine ganz besondere Rolle gespielt, unterstrich Professor Susanne Schötz in ihrem Vortrag auf der Fachtagung am Donnerstag. Wichtige Impulse und Innovationen hätten die Pionierinnen der frühen Frauenbewegung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts von Leipzig aus angestoßen, so die Leipziger Sozialhistorikerin mit Lehrstuhl in Dresden weiter.
“Das scheint im kollektiven Gedächtnis der Stadt im 20. Jahrhundert weitgehend verschütt gegangen zu sein”, befand Schötz, insbesondere hinsichtlich des bürgerlichen Zweiges der Frauenbewegung. Nach 1989 habe es nach Ansicht der Historikerin zwar einige Ansätze der Wiederbesinnung gegeben. Dennoch sprach sie auch für die Jetztzeit von einem “problematischen Umgang mit diesem Erbe” und hob als Tiefpunkt den Abriss des Henriette-Goldschmidt-Hauses im Jahre 2000 hervor. Das geschichtsträchtige Gebäude musste weiland einer Straßenverbreiterung weichen.
Was machte nun Leipzig zu einem Vorort der Bestrebungen von Frauen um Selbstemanzipation und um Geschlechtergerechtigkeit? Das zentrale Datum ist der 18. Oktober 1865, an dem in der Messestadt der Allgemeine Deutsche Frauenverein (ADF) gegründet wurde. Louise Otto-Peters (1819 – 1895), Auguste Schmidt (1833 – 1902) und Henriette Goldschmidt (1825 – 1920) trieben das Unterfangen in der Pleißemetropole voran.
“Auch ein 18. Oktober”, wie Susanne Schötz, im Ehrenamt Vorsitzende der hiesigen Louise-Otto-Peters-Gesellschaft, durch Wiederholung verstärkte. Was fast so wie eine Anregung klang, jenen Herbsttag in Leipzig einmal als Befreiungstag der anderen Art ganz ohne Kanonendonner und Männer in Uniformen zu begehen. Spätestens 2015 besteht dazu Anlass. Dann wird der ADF stolze 150 Jahre alt. Weshalb sich der Tag der Stadtgeschichte in drei Jahren dieser Thematik widmen wird.
Die soziale Frage weiblichen Lebens lösen
Innovativ waren die Leipziger Pionierinnen der Frauenbewegung deshalb, weil sie sich Betätigungsfelder jenseits der tradierte Wohltätigkeit, Krankenpflege und Familienarbeit suchten, erläuterte Susanne Schötz. Otto-Peters und Mitstreiterinnen gründeten in Leipzig einen Frauenbildungsverein. Sie wollten die “soziale Frage weiblichen Lebens” lösen – nicht mehr, und nicht weniger.
Innovativ waren sie auch, weil sie sich Geselligkeit und Vernetzung ganz “ohne Herren” selbst organisierten und sich dabei des damals modernen Mittels des Vereins bedienten. Auf 24 Abendveranstaltungen jährlich brachte es der Leipziger Verein. Daneben betrieb der Allgemeine Deutsche Frauenverein in Leipzig eine “Sonntagsschule”, eine Fortbildungsschule für Mädchen und eine Speiseanstalt.
Bildung als Voraussetzung für eine eigenständige, qualifizierte Berufstätigkeit der Frau und Bildung als eine zentrale Form der Teilhabe an den gesellschaftlichen Gütern – genau darum ging es den Frauenrechtlerinnen jener Jahre. Von Freiheit und Gleichheit war in dem begonnenen bürgerlichen Zeitalter viel die Rede. Doch das galt nur für Männer (ab einer bestimmten Einkommens- und Vermögensklasse). Der Zugang zu vielen Berufen war Frauen damals ebenso mit rechtlichen Mitteln verwehrt wie der Zugang zu höherer Bildung. Die Ungleichheit der Geschlechter zementierte zudem das Ehe- und Familienrecht.
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Aus der natürlichen Verschiedenheit leiteten die sich wissenschaftlich gebenden Apologeten des gesellschaftlichen status quo Unterschiede bei den intellektuellen Befähigungen und Potenzialen der Frauen ab und schrieben darüber dicke Bücher. Einem “ungeheuren Gegenwind” seien die Frauen damals ausgesetzt gewesen, als sie die damals gängigen Geschlechterrollen in ihre Gegenteil verkehrten, erinnerte Schötz.
Erst Erfolge konnten die Frauen in Leipzig bald erzielen. Aus dem Kindergärtnerinnenseminar, das Henriette Goldschmidt 1872 initiierte, wurde 1875 eine städtische Einrichtung.
Vieles blieb fürs Erste offen. Erst 1908 wurde Frauen (und Jugendlichen) die politische Betätigung in Verbänden und Parteien erlaubt. Zur Einführung des Frauenwahlrechts brauchte es erst die revolutionäre Erhebung des Novembers 1918. Und manches ist auch heute noch zu tun: stadtgeschichtlich und geschichtspolitisch, wie kulturell und gesellschaftspolitisch.
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