Als 2006 das Google-Kamerafahrzeug durch die Leipziger Hofmeisterstraße fuhr, war die Hausnummer 14 noch zu lesen. Eine Werbeplane warb um Käufer für das leer stehende Haus. Sechs Jahre später sichert eine neue Stahltür das Haus. Die Plane ist verschwunden. Dafür sind mehr Scheiben zerschlagen. Graffiti verunzieren die Hauswand. Das ist das Haus, in dem am 6. Juli 1898 Hanns Eisler geboren wurde. Damals hieß die Straße noch Gartenstraße.
Was dem Jungen ganz bestimmt egal war. 1901 ging seine Familie wieder zurück nach Wien. Eine junge Familie. Vater Rudolf Eisler hatte in Leipzig Philosophie studiert, war 1898 gerade 25 Jahre alt. Seine Mutter Ida Maria, geborene Fischer, wird in den Lexika gern als Tochter eines Metzgergesellen aufgeführt. Erst wenn man sich weitergräbt, merkt man: Da kleben mal wieder die Vorurteile. Metzgertochter – das kann doch nur Proletariat sein, ungebildet womöglich.
Arm waren die Eislers. Aber Rudolf lernte Ida ganz bestimmt nicht in der Metzgerei kennen, sondern an der Universität. Ida Fischer “schrieb für verschiedene Zeitungen kleine Romane und hielt Vorlesungen an der Universität Leipzig”, heißt es bei Wikipedia. Aber selbst die Notenrad-Seite der Leipziger Notenspur-Initiative schwatzt von einer “sächsischen Fleischerstochter Ida Maria Fischer”. Die Denkbarrieren sitzen auch heute noch in den Köpfen. Kein Wunder, dass bundesdeutsche Politikerinnen das verstaubte Familienbild von anno dunnemals immer wieder aus der Mottenkiste holen können.
Es war Ida, die für Johannes Eisler, der seinen Namen erst später in Hanns änderte, Leipzig fürs Leben zur “Mutterstadt” machte. Wien war seine Vaterstadt. Geheiratet hatten Rudolf und Ida übrigens 1896, ein Jahr nach der Geburt ihrer Tochter Ruth Elfriede, die sich später Ruth Fischer nannte und als Vertreterin des linken KPD-Flügels eine herausragende Rolle spielte. Bis 1924, als Stalin dafür sorgte, dass die so genannte Gruppe Maslow-Fischer in der deutschen KPD kalt gestellt wurde und der Weg frei wurde für einen Mann namens Ernst Thälmann.
Die kleine Familie war zwar arm. Aber es steht ja nicht geschrieben, dass die großen Geister des Jahrhunderts alle aus großbürgerlichen Verhältnissen kommen müssen. Und Hanns Eisler gehört zu den wichtigsten Musikern des Jahrhunderts. Den Ostdeutschen wurde er als Komponist der Nationalhymne der DDR bekannt, die übrigens – das ist ja das Seltsame an der deutschen Geschichte – heute ohne Probleme gesungen werden könnte, ohne irgendwelche nationalistischen Ressentiments zu wecken. Anders als das “Deutschlandlied”, das im vergangenen Jahrhundert so oft missbraucht wurde für Eroberungsgelüste und chauvinistische Selbstherrlichkeit. Kein Wunder, dass sich selbst Fußballer mittlerweile – und zu recht – weigern, dieses Lied aus dem Jahr 1841 mitzusingen.
Aber es war einer der vielen verpassten Momente der deutschen Wiedervereinigung, nicht auch endlich eine moderne und friedensstiftende Nationalhymne zu bestimmen. 1990 war dafür auch die von Eisler vertonte “Kinderhymne” von Bertolt Brecht im Gespräch.Womit man bei einem seiner wichtigsten Freunde wäre. Und natürlich bei dem Kreis jener Intellektuellen, die nach 1945 aus dem Exil zurückkehrten und hofften, im Osten Deutschlands würde tatsächlich ein echter Neuanfang gewagt. Die Aufbruchstimmung in der jungen DDR war auch mit den Wortmeldungen dieser Leute verbunden, zu denen neben Brecht und Eisler auch die Wahlleipziger Hans Mayer und Ernst Bloch gehörten. Diese beiden wurden nach dem Wiederaufleben des ostdeutschen Stalinismus nach dem Ungarnaufstand 1956 in den Westen vergrault. Brecht und Eisler starben früh.
Eisler erlebte mit der von Ulbricht um seinen “Faustus” initiierten Debatte, was es heißt, wenn Parteibonzen anfangen zu bestimmen, was Nationalkultur zu sein hat und was nicht. Mit dem Ergebnis, dass Eisler sich fortan aus allen öffentlichen Diskussionen in der DDR heraushielt. Möglicherweise aber eben auch mit den körperlichen Folgen, die ihm 1960 seinen ersten Herzinfarkt eintrugen. Wer versucht, eine Traditionslinie nach Eislers frühem Tod 1962 zu finden, wird sie unter anderem bei Wolf Biermann finden, der seit 1958 bei Eisler gern gesehener Gast war.
Eisler war zu seinem Lebensende ein europaweit bekannter und geachteter Komponist. Noch Anfang 1962 erlebte er in London die Aufführung seiner “Deutschen Sinfonie” mit dem Royal Philharmonic Orchestra. Die Sinfonie hatte er in seiner Exil-Zeit in den USA erarbeitet. Dort wäre er gern geblieben – doch am Ende wurde Eisler (wie sein Freund Brecht) vor den McCarthy-Ausschuss geladen und der kommunistischen Unterwanderung verdächtigt.
Unter dieser Panik leiden die US-Amerikaner bis heute. Eisler musste damals das Land verlassen, ging erst nach Wien und dann in den Osten Deutschlands, weil ihm das Comeback der alten Nazigrößen im Westen Deutschlands nicht gefiel. Er konnte – als Österreicher – zwar jederzeit in den Westen reisen, erlebte auch den Erfolg seines “Schweyk im zweiten Weltkrieg” in Paris.
Aber das Buch, das die Zwickmühle beschreibt, in die deutsche Intellektuelle nach dem Ende des 2. Weltkrieges gerieten durch die neuen politischen Polaritäten, das ist bis heute nicht geschrieben. Eines der wenigen Bücher, das diese Zwickmühle für die großen ostdeutschen Köpfe nach 1945 beschreibt, ist Werner Mittenzweis “Die Intellektuellen: Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945 – 2000”, 2001 bei Faber & Faber in Leipzig erschienen. Viel zu groß gedacht, viel zu viel fassen wollend.
Ein Buch über die wichtigsten Heimkehrer aus dem Exil würde schon reichen – und Futter geben für eine nach wie vor einseitige deutsche Debattenkultur. Denn dann würden auch die ewigen Nachschwätzer merken, dass die Brecht, Eisler, Bloch, Adorno, Markuse und wie sie alle hießen durchaus alle zusammengehören und in Ost wie West das Myzel für ein besseres, weniger borniertes Deutschland bildeten.Die Linksfraktion im Leipziger Stadtrat hat im März zwei Anträge ins Verfahren gegeben, um zwei Leipziger Komponisten zu würdigen, die bislang im Zusammenhang mit der “Leipziger Notenspur” nicht gewürdigt werden: den Komponisten und Pianisten Erwin Schulhoff (1894 – 1942), der am 18. August vor 70 Jahren starb – und eben Hanns Eisler, dessen 50. Todestag sich am 6. September rundet. Beide Komponisten sind Teil des angedachten “Leipziger Notenrades”, das den Bogen der “Leipziger Notenspur” auch in die Vorstädte hinaus schlägt.
Während Hanns Eisler in der Ostvorstadt geboren wurde, lebte Erwin Schulhoff eine Zeit lang in der Westvorstadt in der Elsterstraße 35. Er starb 1942 im Internierungslager Wülzburg.
“Da die Stadtverwaltung eine Würdigung an den originalen Lebensorten der beiden Komponisten ohne Zusammenhang mit Notenrad und Notenbogen als zu aufwendig erachtete, hat die Fraktion Die Linke die beiden Anträge überarbeitet”, teilte diese nun Anfang Juli mit. “Neben einer feierlichen Ehrung beider Komponisten anlässlich der Jahrestage ist jetzt die Planung von Notenrad und Notenbogen in 2013 Gegenstand der Forderung.”
Die Linke will, dass das Notenrad, nachdem die Notenspur 2012 fertiggestellt wurde, nun 2013 umgesetzt wird.
“Nur wenn 2013 Planungsmittel in Höhe von 100.000 Euro eingestellt werden, ist die Fertigstellung beider Notenrouten rechtzeitig zum Stadtjubiläum 2015 zu schaffen. Nicht zuletzt wäre eine Verschiebung angesichts des bevorstehenden Wagnerjahres nur schwer zu rechtfertigen, befinden sich doch die Leipziger Wirkungs- und Gedenkstätten Wagners (Standort Geburtshaus und Wagner-Denkmal am Ring) auf dem Notenbogen”, so die Linksfraktion. Neben Wagner ist Eisler der bedeutendste Komponist, der auch in Leipzig geboren wurde, auch wenn er hier nie seine Wirkungsstätte hatte. Aber in den 1950er Jahren war er mehrfach da, denn da besuchte er seinen alten Freund Hans Mayer im Waldstraßenviertel.
Im Fachausschuss Kultur hatte der Antrag der Linken schon eine Mehrheit erhalten. Am 18. Juli bekam der Antrag auch in der Ratsversammlung eine Mehrheit.
Wichtiger scheint eigentlich, im Bereich der Hofmeisterstraße endlich neue städtebauliche Perspektive zu entwickeln. Zu Eislers Zeiten stand hier auf der heutigen gewaltigen Brachfläche westwärts der Straße der Krystallpalast, der 1943 durch Bomben zerstört wurde. Bis 1992 stand hier das “Haus der Heiteren Muse”, das Opfer eines Brandes wurde. Heute ist die Hofmeisterstraße ein ruinöser Ort. Auch das Haus Nummer 14 steht entsprechend unsaniert. Bis 1989 hing noch eine Gedenktafel am Haus: “Hanns Eisler / 1898-1962 / Wegbereiter / unserer sozialistischen / Musikkultur / wurde hier geboren”. Die ist heute im Stadtgeschichtlichen Museum eingelagert, sie wurde Eisler auch nicht gerecht.
Hanns Eisler auf der Notenspur-Seite: www.notenspur-leipzig.de
Wikipedia zur Nationalhymne der DDR: http://de.wikipedia.org/wiki/Nationalhymne_der_DDR
Der Antrag der Linksfraktion als PDF zum download.
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