Wahrscheinlich vergessen's wieder alle. Frauen sind ja nicht so wichtig. Oder? Dabei waren 2009, als die große Ausstellung zum Uni-Jubiläum "Erleuchtung der Welt" im Alten Rathaus zu sehen war, auch die Frauen zu sehen, die der Aufklärung in Leipzig Gesicht und Stimme gaben. Luise Adelgunde Victorie Gottsched zum Beispiel. Vor 250 Jahren starb sie in Leipzig.

In der Ausstellung damals war ein Bild von ihr zu sehen. Auch eines von ihrem Ehemann, der heute noch berühmter ist und nach dem eine Straße benannt ist. Was ein Politikum war 1934. Manch heutiger Leipziger denkt ja: Die Straße, in der heute eine berühmte Kneipenmeile zu finden ist, hieß schon früher so. Gottsched war ja berühmt als Streiter für gute deutsche Sprache.

Doch die Straße hieß vorher – und zwar seit 1867 – Poniatowskistraße. Benannt nach just jenem polnischen Marschall Napoleons, der in der Völkerschlacht von Leipzig sein trauriges Ende fand und an den das Poniatowski-Denkmal nahe der Elsterstraße erinnert. Bis 1933 konnte man also auf der Poniatowskistraße vom Dittrichring bis zum Poniatowski-Denkmal laufen. Die Umbenennung war also nur eine halbe Würdigung für Gottsched – aber eine vollkommene chauvinistische Frechheit. Ein kleines Stück Wiese mit Weg am Poniatowski-Denkmal heißt heute Poniatowskiplan.

Ein Vorgang, über den sich ein Kerl wie Gottsched natürlich geärgert hätte. Einer von vielen solcher Vorgänge. Seine Zeit war zwar nicht besser, aber ein bisschen heller. Darum bemühten sich Leute wie der Professor für Logik und Metaphysik, der 1735 am 19. April in Danzig die 22jährige Luise Adelgunde Victorie Kulmus heiratete, wohl wissend, was er tat. Die meisten Männer wissen es ja nicht. Die nehmen das schöne Frauenbild für den Inhalt. Gottsched nahm samt Inhalt. Denn das junge Fräulein nahm es mit dem Austritt aus der keineswegs selbstverschuldeten Unmündigkeit ernst – sie übersetzte und dichtete schon, bevor sie mit dem klugen Burschen aus Königsberg zusammenkam, den man auch noch für etwas anderes mögen darf: Er hasste die Soldatenspielerei.

Deswegen floh er aus dem militärischen Preußen nach Leipzig.

Wahrscheinlich haben das die nazistischen Emporkömmlinge 1933, als sie den Beschluss zur Umbenennung der Poniatowskistraße fassten, einfach nicht gewusst. Wie sie vieles nicht wussten und wissen wollten.
Bekannt ist, dass viele der unter Gottscheds Namen veröffentlichten Schriften unter emsiger Mitwirkung seiner Frau entstanden. An eine Professur wie ihr Mann konnte sie gar nicht denken. Die Uni war noch ein reiner Männer-Verein. Und auch die meisten Gelehrten-Gesellschaften waren reine Männerbünde. Selbst die scheinbar so gelehrten Perücken-Träger ließen ihre Ehefrauen gern zu Hause, wenn es um kluge Dispute ging. Ausnahme: die Societas Alethophilorum, 1736 in Berlin gegründet im Gefolge der Auseinandersetzung um den Frühaufklärer Christian Wolff. Sie widmete sich nicht nur der Wahrheit und Klarheit, sondern ließ zu ihren Sitzungen konsequenterweise auch Frauen zu. Beide Gottscheds waren Mitglied.

Und wer zu ihrer Zeit in Leipzig weilte, dem war die Rolle der Gottschedin sehr wohl vertraut. Sie gehört zum Dreigestirn der drei Frauen, die mit der Leipziger Aufklärung aufs engste verbunden sind: neben Luise Adelgunde Victorie Gottsched waren das noch Christiane Marianne Ziegler, geb. Romanus, und Friederike Caroline Neuber, geb. Weißenborn.

Und da so wenig über Leipziger Salons geschrieben wird, sei noch erwähnt: Die Kaffeetafel bei “Frau Professor” Gottsched war berühmt. So berühmt, dass ein Kupferstich ihrer Kaffeegesellschaft 1744 in die Übersetzung von Alexander Popes “Lockenraub” kam, gezeichnet von Anna Maria Werner, gestochen von Johann Martin Bernigeroth.

Nicht ganz zufällig. Die Herrin der Kaffeetafel war auch die Übersetzerin des Buches. Als 1767, nach dem Tod von Johann Christoph Gottsched, auch die Bibliothek seiner Frau versteigert werden sollte, musste extra ein Katalog gedruckt werden. “Im Verkaufskatalog sind 1.016 Bände aufgeführt, die in fünf Abteilungen gegliedert sind: Antike Autoren, Philosophische Werke, Geschichtswissenschaften, Belletristik und Vermischtes”, schreibt dazu Thomas Thibault Döring. Und wundert sich auch noch heute: “Neben deutschen, französischen und italienischen Titeln finden sich auch zahlreiche holländisch- und englischsprachige Werke in der Sammlung, in der damaligen Zeit durchaus nicht üblich.”Ist es heute üblich? – Wohl eher selten.

Der Versteigerungskatalog wurde übrigens bei Breitkopf gedruckt. Die Gottscheds hatten eine Wohnung im Haus des Verlegers und Buchdruckers Bernhard Christoph Breitkopf. Und sogar die Bibliothek der Gottschedin kann Döring schildern: “Die Bibliothek stand in vier weißblauen Schränken mit vergoldeten Leisten und doppelten Glastüren. Die Bücher waren größtenteils einheitlich in Franzband gebunden. In der Vorbemerkung wird der Wunsch ausgesprochen, dass die Sammlung komplett von einem Liebhaber übernommen wird.”

Dieser Liebhaber fand sich nicht. Die Bibliothek wurde in alle Winde zerstreut.

Und wo ist Luise Adelgunde Victorie Gottsched begraben, fragt der neugierige Leipziger? Kann man hingehen und ein Blumensträußchen hinlegen für die Frau, die am 26. Juni 1762 gerade einmal 49jährig starb? Wo hat ihr Witwer, der Professor Gottsched, sie zur Ruhe legen lassen? – In der Paulinerkirche, weiß Otto Werner Förster zu berichten. Was 1762 schon die große Ausnahme war. Der normalsterbliche Leipziger wurde draußen vor den Toren der Stadt beerdigt, auf dem Johannisfriedhof, dessen Rest-Areal wir heute den Alten Johannisfriedhof nennen. So hatte es der Kurfürst angewiesen.

In der Paulinerkirche wurden nur noch ganz besondere Honoratioren oder Universitätsprofessoren und ihre Angehörigen aufgebahrt. Und weil Gottsched Universitätsprofessor war, durfte er seine Frau 1762 in der Paulinerkirche beerdigen lassen. Vier Jahre später folgte er ihr. Und das hätte ein guter Ort zum An- und Nachdenken sein können. Aber 1968 ließ ja bekanntlich der SED-Chef Walter Ulbricht oder einer seiner Untergeordneten die Paulinerkirche sprengen. Und die in der Kirche Aufgebahrten wurden noch kurz vor der Sprengung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion fortgeschafft, niemand weiß, wohin. So dass niemand weiß, wo man Blumen niederlegen könnte für Luise Adelgunde Victorie.

Selbst am einstigen “Goldenen Bären”, ihrem Wohnhaus am Alten Neumarkt, der heutigen Universitätsstraße, kann man nichts ablegen. Das ist heute der Ort, den man sieht, wenn man aus der Kupfergasse auf den Neuen Uni-Campus schaut. Sehr quirlig. Hier eilen die Studentinnen und Studenten zur Mensa und in die Hörsäle.

Hier ist eine Bronzetafel in den Fußweg eingelassen – für Johann Christoph und Luise Adelgunde. Das Haus stand bis 1943.

Was bleibt? Schließt sich der Kreis der Verschwundenen? – Eine Pointe hat die Zeitgeschichte immer parat. Eben jener Walter Ulbricht, auf den die Zerstörung der Paulinerkirche und der alten bürgerlichen Universität zurückgeht, war ja ein geborener Leipziger. 1893 wurde er als Sohn des Schneiders August Ulbricht und seiner Frau Pauline Ida geboren in der Poniatowskistraße Nummer 4. Geändert hat sich nicht nur der Straßenname, sondern auch die Hausnummerierung. Heute ist das die Gottschedstraße 25.

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