Am Dienstag, 29. Mai, beginnt die große Festwoche am Neuen Nikolaigymnasium, mit der das 500-jährige Bestehen der Schule gefeiert wird. Im Gegensatz zur Thomasschule wissen die Nikolaitaner sogar recht sicher, dass ihre Schule ihre Wurzeln im Jahr 1512 hat. Und selbst das Schulgebäude existiert noch am Nikolaikirchhof. Hier könnte man in diesem Jahr auch feiern. Das tut man auch. Am 29. Mai eröffnet dort die Ausstellung "Bürgerstolz und Bildung".
Es hätte sogar schon eine über 600 Jahre alte Schule sein können. Denn schon 1395 hatte Papst Bonifatius IX. auf Anfrage des Stadtrates die Gründung einer Schule bei der Stadtpfarrkirche St. Nikolai genehmigt. So recht wissen auch die Forscher bis heute nicht, warum die Leipziger über 100 Jahre lang zögerten, die Schule auch einzurichten. Aber der Hauptgrund war wohl im eigentlichen Zweck der Schule begründet, der sich 1409, als die Professoren der Prager Universität in Leipzig auftauchten, vorerst erledigte.
“Es scheint, als sei damit die Notwendigkeit einer zweiten gelehrten Schule zumindest fürs erste hinfällig geworden, denn insbesondere die Artistenfakultät bot den Stadtbürgern, die ihre Söhne nicht auf die Thomasschule schicken konnten oder wollten, eine Alternative mit ausreichendem Lehrangebot”, schreibt Sebastian E. Richter. Der Satz stammt aus seinem Beitrag zu den Leipziger Gelehrtenschulen während des Tages der Stadtgeschichte 2010, als man sich eingehend mit der Leipziger Schulgeschichte beschäftigte. Oder eben dem, was Akten noch verraten.
Denn die schöne Erklärung mit der Gründung der Leipziger Universität 1409 beleuchtet ja nicht, warum es dem Rat der Stadt 1395 so dringlich war, eine höhere Schule zu gründen in eigener Regie – und dann bis 1409 trotzdem keine zu bauen. Auch 1490 nicht, auch wenn die Website der Stadt selbst hier mit einer ersten Nikolaischule spekuliert. Es war ganz eindeutig eine Privatschule und keine städtische, die da in den Akten vermerkt wurde.Richtig ernst wurde es dem Rat der Stadt erst wieder am 14. März 1498, als er den Beschluss fasste, dass “der rat nach einer beqwemen stat und rawm bei sant Niclas trachten und vleiß haben salle, do selbst eine nawe schule vor der burger kindt … zu bawen und uffzurichten”. Es war eine nicht unwichtige Zeit für die Stadt. Die Stadt mauserte sich zur Messestadt. Die Thomaskirche wurde bis 1496 völlig umgebaut. 1492 tauchten die ersten auswärtigen Buchhändler auf der Leipziger Messe auf. 1497 wurde das Leipziger Messeprivileg durch Kaiser Maximilian I. bestätigt. 1498 wurde das Gewandhaus fertig und die erste Wasserleitung vom Marienborn in Betrieb genommen. Die Stadt hatte ungefähr 8.000 Einwohner. Die Stadt war im Umbruch. Wieder einmal. Die reichen Silberfunde im Erzgebirge befeuerten die wirtschaftliche Entwicklung zusätzlich.
Da genügte die im Thomaskloster heimische Schule nicht mehr. Wie groß die war, wieviel Schüler sie fasste – wer weiß das? Doch lange passierte nichts. 1510 musste der Rat einen neuerlichen Beschluss zur Schaffung der Nikolaischule fassen. Das ist also ein bisschen wie heute auch: Man fast Beschlüsse, die dringend sind – und trotzdem dauert es Jahre, bis sie umgesetzt werden.
Seinerzeit ging es auch um Frage der Gerichtsbarkeit – städtische oder kirchliche. Das mussten die Bürgermeister Bartholomäus Apt, Benedictus Bergertshayn und Hans Leimpach erst einmal mit dem Propst zu St. Thomas klären. Jacob Köhler hieß der. 1511 konnte man dann auf nunmehr geklärtem Grund mit den Bauarbeiten beginnen.Auch die Nikolaischule war anfangs nicht so groß, wie sie als Alte Nikolaischule heute einlädt. Sie umfasste nur den östlichen Gebäudeteil, der heute eines der ältesten profanen Bauwerke Leipzigs ist. Das Gebäude wurde zwar noch im 16. Jahrhundert erweitert und 1597 auch aufgestockt, damit es mit den östlich angrenzenden Predigerhäusern eine Dachhöhe erhielt. Aber noch 1799, als Friedrich Gottlob Leonhardi seine Stadtbeschreibung schrieb, war es nur “acht Fenster breit”.
“Das Erdgeschoss und das dritte Stockwerk enthält jedes zwey Lehrsäle, worinnen die Lectionen gehalten werden, und im zweyten Stockwerk wohnt der Rector”, schreibt Leonhardi. Westlich des Schulgebäudes gab es auch 1799 noch zwei eigenständige Bürgerhäuser, die erst 1827 mit der Nikolaischule vereint wurden. Erst ab 1827 verfügte die Schule also über einen eigenen Karzer und eine eigene Aula. Eben jene Aula, die 2011 offiziell in Richard-Wagner-Aula umbenannt wurde, weil das augenscheinlich einer der letzten authentischen Orte in Leipzig ist, an denen sich Richard einst aufhielt.
Das Geburtshaus ist verschwunden, das alte Gewandhaus, das alte Theater. Nur das Königshaus am Markt steht noch, wo Richards Onkel Adolph wohnte, den er oft besuchte. Als Richard am 21. Januar 1828 in die Nikolaschule aufgenommen wurde, war der Westflügel also gerade umgebaut, die Aula nagelneu. Dass er sich als “schwieriger Schüler” erwies, der 1830 an die Thomasschule wechselte, scheint da nicht so wichtig. Nun hat Leipzig wenigstens so etwas wie einen Gedächtnisort an den Berühmten.
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Dabei kann die Nikolaischule eine ganze Galerie berühmter Namen aufweisen. Insofern ist die Fixierung auf Wagner auch eine künstliche Einengung. Denn hier ging Gottfried Wilhelm Leibniz genauso zur Schule wie Christian Thomasius, Johann Gottfried Seume und Friedrich Gerstäcker.
Andere Berühmtheiten gehören dann schon zum Neubau, der 1872 in der Königstraße (der heutigen Goldschmidtstraße) eröffnet wurde. Karl Liebknecht zum Beispiel und Hans Reimann, der seine Erinnerungen an die Zeit am Nikolaigymnasium in der “Feuerzangenbowle” verewigte. Das Schulgebäude in der Königstraße wurde am 4. Dezember 1943 durch Bomben zerstört. Die Schule machte eine kleine Odyssee mit, 1995 wurde das Nikolaigymnasium als Neue Nikolaischule Leipzig quasi wiedergegründet und fand in der ehemaligen XVII. Bürgerschule in Stötteritz ein neues Zuhause.
Zwei Mal übrigens stand das Gebäude der alten Nikolaischule vor dem Abriss. 1879 forderte Bürgermeister Bruno Tröndlin den Abriss – der Stadtrat entschied sich aber für den Erhalt. Und 1976 musste das Haus baupolizeilich gesperrt werden. Das barocke Treppenhaus wurde abgerissen. 1990 war das Gebäude eine Ruine, als die neu gegründete Kulturstiftung sich für den Erhalt und die denkmalgerechte Sanierung einsetzte und 1992 bis 1994 die Rettung des Hauses schaffte.
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