"HALT! Stehenbleiben!" mahnt seit diesem Mittwoch, 4. April, ein Schild in der Grünauer Parkallee. Angebracht haben es Schüler und Lehrer der Freien Schule Leipzig - zusammen mit ihren israelisch-palästinensischen Gästen. Sie wollen damit an das Schicksal von 500 ungarischen Jüdinnen erinnern. Die Frauen wurden 1944/45 dort in einem KZ-Außenlager interniert.
Es ist ein besonderes Bild an diesem nasskalten Mittwochvormittag in der Karwoche. Junge Israelis aus dem biblischen Nazareth, zumeist aus muslimischen und christlichen palästinensischen Familien, und junge Leipziger enthüllen gemeinsam eine Erinnerungstafel.
“Auf dem Gelände der Parkallee befand sich in den Jahren 1944/45 eine Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald. 500 Frauen waren hier als Zwangsarbeiterinnen in Baracken eingepfercht.” So steht es auf dem Schild, mit dem Schüler und Lehrer der Freien Schule Leipzig an die Frauen erinnern wollen, die hier im damaligen KZ-Außenlager Schönau interniert waren.
“HALT! Stehenbleiben!” steht auf dem Schild obenan. Jenes militärisch-zackige Kommando, was gerade in den Jahren der NS-Diktatur zumeist eine manifeste Todesdrohung war.
Auf dem schlichten Schild angebracht, soll die Aufforderung zum Innenhalten bewegen. Denn die Parkallee ist den Mädchen und Jungen der Freie Schule Leipzig sonst täglicher Schulweg. Hier schlendern, rennen oder radeln sie sonst entlang, wie Henrik Ebenbeck, pädagogischer Sprecher der Schule, in seinen Gedenkworten erinnert.
Der 50-jährige Pädagoge Ebenbeck bietet vorwiegend Kurse in Mathematik und Geschichte an. Etwa fünfmal im Jahr stehen Projektwochen auf dem Programm. In diesem Winter schlug Ebenbeck als Projektthema vor, sich dem Thema Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus zu widmen. Dabei sollte es auch um die Geschichte des Lagers in der heutigen Parkallee gehen.
Der Anstoß kam ursprünglich von Ilse Lauter, linke Stadträtin in Grünau. Nach Berichten in der Leipziger Volkszeitung über das Frauen-Lager und seine verdrängte Geschichte im August 2010 hatte sie den Kontakt zu der Schule gesucht.
Henrik Ebenbeck war von dem Zuspruch unter den Schülern überrascht. “Zum Einstieg haben wir uns mit dem Film von Wolfgang Bergmann ?Der Reichseinsatz’ und verschiedenen Büchern grundsätzlich über das Thema informiert”, erzählt er. Schilderungen über das Ausmaß der Zwangsarbeit in Leipzig und das Lager in der damaligen Lindenallee steuerte Friedrich Roßner vom Bund der Antifaschisten in einem Vortrag bei.
Schließlich besuchten die 11- bis 16-Jährigen die Gedenkstätte für Zwangsarbeit in der hiesigen Permoserstraße. Zum Projektabschluss setzten sie ihre Erkenntnisse und Eindrücke in einer Präsentation um. “Dabei entstand auch die Idee, eine Gedenktafel in der Parkallee anzubringen”, so Ebenbeck.
Menschenrechte in der Schule. Austausch mit Nazareth
Mit der Enthüllung der Tafel verbinden die Schüler zwei Projekte. Zum einen das zur Erforschung der Zwangsarbeit. Zum anderen einen Schüleraustausch mit dem Masar Institute for Education, einer Reformschule in Nazareth, Israel. Eine Woche sind die 16-jährigen Israelis in Leipzig zu Gast. Auch sie sind Israelis, auch wenn sie überwiegend palästinensischer Nationalität und muslimischen oder christlichen Glaubens sind.
Gefördert wird der Austausch von der Stiftung “Erinnerung, Verantwortung und Zukunft” (EVZ). Die EVZ wurde im Jahr 2000 von der Bundesregierung und einer Stifterinitiative der deutschen Wirtschaft gegründet. Ihr Hauptanliegen ist es, ehemaligen Zwangsarbeitern eine, wenn auch äußerst späte materielle Entschädigung zuzuerkennen. Darüber fördert die Stiftung die Aufarbeitung der Geschichte und den Einsatz für Menschenrechte.
Das Gemeinschaftsprojekt der Schüler aus Leipzig und Nazareth widmet sich dem Thema “Menschenrechte in der Schule”. In gemeinsamen Workshops im nahen Theatrium setzen sie ihre Vorstellungen von “meiner idealen Schule” und “meinen Wünschen an mein Leben” in Filmszenen um.
Miteinander haben die Jugendlichen in Berlin die Zentrale der EVZ besucht. Und die Gedenkstätte Gleis 17 am Bahnhof Berlin – Grunewald. Dort wird an die Deportation der Juden in die Vernichtungslager der Nazis erinnert.
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Dieser Gedenkort wurde von engagierten Berliner Bürgern initiiert. Erst später schlossen sich das örtliche Berliner Bezirksamt und die Deutsche Bahn an.
Auch die neue Gedenktafel in Schönau sieht Henrik Ebenbeck als “subversiv” gesetzten Anstoß, als “Provisorium” auf städtischem Grund. Und als Erinnerung an Menschen, denen die zentralen Werte vorenthalten wurden, für die die Freie Schule steht: Respekt, Verantwortung, Kommunikation und Freiheit.
So ist die Tafel eine erste sichtbare Erinnerung an die 500 jungen ungarischen Jüdinnen, die im Frühjahr 1944 aus ihren Heimatorten verschleppt wurden. Nach einer Irrfahrt durch die Ghettos und Lager Osteuropas kamen sie im August 1944 in Leipzig – Schönau an. In Flicks Leipziger Flugzeugschmiede ATG in der Schönauer Straße 101 wurden sie zur Zwangsarbeit gezwungen.
“Ein erstes Symbol”, nennt Ilse Lauter die Tafel. Damit verbindet sie das “gute Gefühl, dass sich Schüler und Lehrer der Freien Schule intensiv mit diesem Thema befassen und sich klar zur Achtung von Menschenwürde und Demokratie bekannt haben”.
Nun sollte es nach Ansicht der Grünauer Stadträtin darum gehen, möglichst viele Akteure zusammenzubringen, um das Andenken auf möglichst vielfältige Weise zu verstetigen. Schließlich gelte es auch in der Gegenwart zu zeigen, dass rassistisches und menschenverachtendes Gedankengut in der Zivilgesellschaft geächtet werden, so Lauter.
ww.freie-schule-leipzig.de
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