Eigentlich wäre es eine Feier wert. Zur Leipziger Buchmesse 2012, die vom 15. bis 18. März stattfindet. Oder zum parallel stattfindenden Lesefest "Leipzig liest". Denn einer der ältesten Leipziger Verlage hat Geburtstag: Philipp Reclam jun. - Aber weil es kein Leipziger Verlag mehr ist, fällt die Party aus. Nur ein neues Outfit gibt es.
Man kann natürlich das Jahr 1828 als Gründungsjahr des Reclam Verlages nehmen. Damals im April erwarb Anton Philipp Reclam in Leipzig das “Literarische Museum” und im Oktober gründete er den “Verlag des Literarischen Museums”. 1837 verkaufte er das “Literarische Museum” und erst da bekam der Verlag seinen Namen: Philipp Reclam jun. – und so heißt er noch heute. Nur Leipzig steht nicht mehr in der Adresse, sondern Stuttgart Ditzingen. Ausschließlich, seit 2006 in Leipzig auch die letzten Mitarbeiter ihre Schreibtische räumten.
Darüber kann man lamentieren. Oder es sein lassen. Eine Geburtstagsfeier in Leipzig wäre nicht falsch gewesen. Und hätte sich gelohnt. Denn der Stuttgarter Verlag hat seinen kleinen Broschüren etwas angedeihen lassen, was in der nun 145jährigen Geschichte der 1867 gegründeten Universal-Bibliothek erst sechs Mal geschehen ist. Ein kleines Buch im berühmten Reihenformat flatterte dieser Tage etlichen Redaktionen ins Haus. Das ist nichts Ungewöhnliches. Das passiert jedes Jahr mindestens einmal. Denn dann kommt der Gesamtkatalog, in dem alle lieferbaren Titel des Verlages stehen. Und der Feuilleton-Chef kann beim Durchblättern überlegen: Bestellt er jetzt endlich den Joseph Roth in der Neuausgabe, den “Radetzkymarsch” zum Beispiel, oder Nietzsches Gedichte in der neuen Ausgabe? Neugierig könnte man ja auch auf Theodor Körners “Leyer und Schwert” sein. Aber Körner ist nicht im Angebot. Die berühmte Nr. 4.
Warum, das deutet Karl-Heinz Fallbacher nur an. Körner passt nicht mehr so recht ins heutige Konzept. Fallbacher ist der Marketing-Chef von Reclam. Er hat das kleine Buch herausgegeben. “Die Welt in Gelb” heißt es. Es erzählt die Geschichte der Gestaltung der berühmten Universal-Bibliothek, die erst seit 1970 in dem Gelbton leuchtet, mit dem man die berühmte Bibliothek heute in Verbindung bringt. Ein Gelb, das auch die friedlichen Leipziger 1990 überraschte, als sie mit eigenen Augen sehen durften, was sie sich vom güldenen Westen versprochen hatten. Zu sehen war auch: Reclam war winzig und quittegelb. Man staunte.Denn in Leipzig gab’s ja noch den alten Reclam Verlag, der nach 1945 durchaus auch in der Tradition der Universal-Bibliothek weiterproduziert hatte. Und bis 1963 sahen die Reclam-Bändchen aus Leipzig denen, die in Stuttgart produziert wurden, in Format und Gestaltung noch ähnlich. Das waren noch zwei Verlage aus der selben Wurzel – mit den selben Problemen. Zum Beispiel der Notwendigkeit, einige Titel auszumisten, die man 1933 bis 1945 mit ins Programm genommen hatte.
Erst 1963 verpasste sich Reclam Leipzig ein neues Layout für die Universalbibliothek, das Friedrich Forssmann durchaus zu loben weiß. Da war das Format schon etwas gewachsen, später wuchs es noch ein wenig – auf das in der DDR übliche Taschenbuchformat. Es ging um maximale Ausnutzung der knappen Papierkontingente. Da wurde alles standardisiert, was nur zu standardisieren ging. Auch die Universalbibliothek. Eine Weile pflegte Reclam auch mit seiner Leipzig-Bibliothek nach 1990 noch dieses Format. Vielleicht war das ein Fehler. Es klingt an bei Forssmann, der die neue Leipziger Reihengestaltung ab 1985 kritisiert – weil die UB so tatsächlich wirkte wie eine ganz normale Taschenbuchreihe.
Was wäre passiert, wenn die Leipziger Dependance ab 1990 oder ab 1993 tatsächlich im ursprünglichen Reclam-Taschenformat erschienen wäre? Konsequent gedacht als Lesematerial für Schulen, Studium, Theater, Reisende? Wieder als echter Teil einer Klassikerbibliothek, die genutzt und benutzt sein wollte? Und gerade mit dem Leipziger Portfolio eigentlich auch Grundlage einer neuen Reihe, die seit 2009 eine eigene Farbe bekommen hat: das Sachbuch in Magenta.
“Die Welt in Gelb” ist nicht ganz grundlos in die Redaktionen versandt worden. Reclam hat seine Reihengestaltung überarbeiten lassen. Den grafischen Part hat Friedrich Forssmann übernommen, das Farbliche seine Frau Cornelia Feyll. Man merkt es nicht gleich, wenn man auf die Details nicht achtet. Die UB-Bände sind noch immer im klassischem Reclam-Format. Sie sind – zum größten Teil – auch immer noch gelb. So, wie sie seit 1970, nach der eigentlich großen Revolution im UB-Layout, sind. Die Überarbeitung von 1988 durch Hans Peter und Brigitte Willberg war eine vorsichtige Anpassung an die neueren grafischen Entwicklungen.Und auch für Forssberg und Feyll stand fest: Die wichtigsten grafischen Elemente, die Reclam zu einer der unverwechselbarsten Marken in Deutschland machen, darf man gar nicht verändern. Ein wenig mehr Buchcharakter war möglich. Dazu dient vor allem das weiße Schildchen, mit dem jetzt Titel und Autorenname unterlegt sind. Aus dem kurzen dicken Balken, der bisher über dem Verlagsnamen schwebte, wurde ein längerer dicker Balken, der das weiße Titelschild trägt. Der Verlagsname steht nicht mehr rechtsbündig, sondern linksbündig. Die Farbpalette wurde von Cornelia Feyll noch einmal aufgefrischt – die Farben werden leuchtender. Auch das Gelb.
Und im Satzspiegel kommt eine neue Schriftart zum Einsatz: die “Documenta” des Niederländers Frank E. Blokland. “Besonders gut lesbar”, sagt Forssmann. Denn um was sonst geht es beim Lesen? Und beim Gestrandetsein, so, wie es Peter Haffner in seiner kleinen Glosse “Mein gelbes iPhone” schildert? Ein schöner Text über einen, der sich abgekoppelt hat von der Panik all der Mitmenschen, die überall, wo sie sind, mit ihrem technische Spielzeug erreichbar sein müssen, selbst mitten in Gesprächen und in geselligen Runden anfangen, mit ihrem kleinen Gerät herumzuspielen – und die verzweifeln, wenn sie irgendwo keinen Empfang mehr haben, der Akku leer ist oder das schöne Teil gar verloren geht. Was dann?
Es ist egal. Das schöne an Reclam-Bändchen, die Haffner wie so manch anderer im Antiquariat gleich stapelweise kauft, ist ihre Größe: Man kann sie in fast jede Tasche stecken. Sie sind leicht. Sie stören nicht. Und man kann immer was Neues entdecken, wenn man sie unterwegs aufklappt. Strom brauchen sie auch nicht. Und wenn sie mal Kaffee- oder Weinflecken bekommen – auch egal. Es gibt längst auch Sammler, die gerade die künstlerischen Veränderungen an den Bändchen zu schätzen wissen. Und Reclam selbst freut sich über den teilweise sehr unüblichen Gebrauch der kleinen Hefte, mit denen auch heute noch Millionen Schüler die Welt der Literatur kennen lernen.
Denn natürlich sind gerade die Klassiker-Ausgaben für den Schulgebrauch gedacht. Der bestverkaufte Titel seit 1948 ist Schillers “Wilhelm Tell” mit 5,4 Millionen verkauften Exemplaren – vor Goethes “Faust I” mit 4,9 Millionen und den jeweils mit 4,4 Millionen Exemplaren verkauften “Kleider machen Leute” von Gottfried Keller und “Nathan der Weise” von Lessing.
Hat der Feuilleton-Chef mal wieder was gelernt. Erfährt auch, dass eine Reclam-Ausstellung auf Schloss Wernigerode zu sehen ist. Aber nicht in Leipzig. Und findet’s trotzdem schade. Es hätte gepasst.
Natürlich kommt Reclam trotzdem vor. Das kann bei einem Lesefest in Leipzig gar nicht anders sein. Denn Leipzig hat ja wieder ein “Literarisches Museum”, gegründet 2011 im Reclam-Haus in Gohlis, wo auch die Reclam-Präsenz-Bibliothek des Frankfurter Reclam-Sammlers Georg Ewald ihren Platz gefunden hat. Dort wird Hans-Jochen Marquardt am 16. März um 19 Uhr einladen zum Vortrag “Reclams Kosmos – Zeugnisse eines universalen Programms” – mit Ausstellungsrundgang.
Keine Kommentare bisher