Der Erinnerung an die Zwangsarbeiterinnen des ehemaligen Frauen-KZ in Schönau will sich die neue Interessengemeinschaft "Grünau hat Geschichte" annehmen. Mit der Thematik verbunden ist das Gelände eines Beruflichen Schulzentrums. Dort sei seit den 1930-er Jahren eine "Ausbildungsstätte" gewesen, steht auf der offiziellen Webseite der Ruth-Pfau-Schule.
Wer eine neue Stadt im Namen einer utopischen Verheißung errichtet, schert sich nicht unbedingt um die konkrete örtliche Vorgeschichte. Was für die amtlich vorgegebenen Traditionslinien des realsozialistischen Neubaugebiets Grünau entbehrlich war, verkümmerte zur Randnotiz. Die Vergangenheitsbewältigungen in den beiden Nachkriegsdeutschlands haben eben jeweils ihre eigene, spezielle Geschichte.
So war auch den Bemühungen des Grünauers Klaus Hofmann aus den 1980-er Jahren keine amtliche Anerkennung und Zulassung beschieden. Der Ortschronist wollte an das ehemalige Außenlager des KZ Buchenwald in der damaligen Lindenallee erinnern. Zwischen den dortigen Linden wurden ab dem August 1944 in der heutigen Parkallee 500 ungarische Jüdinnen eingepfercht.
Den Schleier des Vergessens um die Geschehnisse auf dem Gebiet des heutigen Grünau will nun die neue Interessengemeinschaft “Grünau hat Geschichte” lüften. “Nach den vielen kleinen Initiativen, die es über die letzten Jahre hinweg gegeben hat, bin ich froh, dass nun dieser Anlauf auf den Weg gebracht worden ist.” Das sagt Klaudia Naceur, die für die IG als Ansprechpartnerin fungiert.
Nach ersten Vorberatungen traf sich die Gruppe aus engagierten Grünauern am Mittwoch dieser Woche erstmals. “Ich bin zuversichtlich, dass das Projekt bald zu einem Ergebnis führen wird”, so Naceur nach der ersten Runde. Weitere Information im Stadtteil, vertiefende Recherche und Dokumentation – insbesondere für Jugend- und Bildungsprojekte – sowie die Diskussion um eine angemessene Form des Erinnerns an die Zwangsarbeiterinnen sehen die Mitstreiter der Gruppe als ihre nächsten Aufgaben. Wer mitarbeiten möchte oder Angaben zur Geschichte des Lagers machen kann, kann sich wenden an: geschichte-gruenau@web.de.
Zu der überparteilichen Runde zählt auch Linken-Stadträtin Ilse Lauter. Wäre ihrem Vater Hans Lauter im März 1945 nicht die Flucht aus einem der Konzentrationslager im emsländischen Moor gelungen, würde es sie wahrscheinlich nicht geben, unterstreicht die Grünauerin.
“Die gegenwärtigen erschreckenden Verbrechen und Auswüchse des Rechtsextremismus, gerade in Sachsen jahrelang unterschätzt, unterstreichen die Notwendigkeit einer ständigen öffentlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema”, sagt Lauter zu ihrem Engagement in Sachen Parkallee, das nach Presseberichten dazu im Sommer 2010 begann.
Neben einer angemessenen und würdigen Erinnerung an die Häftlinge und ihren Leidensweg plädiert Ilse Lauter dafür, dass sich Schüler der nahen Schulen mit der Thematik beschäftigten. “Dazu sollten sich alle Akteure konstruktiv und auf Konsens bedacht verständigen”, so Lauter.
Seit ihr Informationen über das Frauen KZ-Außenlager bekannt sind, fühlt sich Eva Brackelmann gleichsam täglich davon berührt. Denn die Parkallee ist Teil des morgendlichen Schulweg vieler und eben auch ihrer Kinder.
“Ich möchte Respekt und Gedenken für die Frauen, die dort gelitten haben”, sagt die Vorsitzende der sächsischen SPD-Frauen. Zur Erinnerungskultur gibt es aus der Sicht von Brackelmann schon viele Anstöße. “Neben einer Gedenktafel als offenkundiges Gedenken sind Schulprojekte möglich, die gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern, Pädagogen und Eltern erarbeitet werden”, sagt die SPD-Frau. Dies zu organisieren, dazu verfüge Grünau über ein gutes Netzwerk von Vereinen und Initiativen, so Brackelmann.Nicht einfach nur eine Flieger-Vorschule
Für die jetzt in Rede stehenden Schulprojekte böte sich die ‘Ruth-Pfau-Schule’ in der Schönauer Straße 160 nachgerade an. In dem Beruflichen Schulzentrum der Stadt Leipzig werden junge Menschen in sozialen – und Gesundheitsberufen ausgebildet.
Auch dieser Standort hat Geschichte. “Seit seiner Errichtung in den 1930-er Jahren ist das Objekt Schönauer Straße 160 eine Ausbildungsstätte: Von 1940 bis 1945 diente es unter verschiedenen Bezeichnungen als fliegertechnische Vorschule der Deutschen Wehrmacht” heißt es auf der offiziellen Webseite der städtischen Bildungseinrichtung. Illustrierend wird eine historische Bildaufnahme des Gebäudes aus jener Zeit dargeboten. Sie zeigt das Haupthaus und ein Flugzeug mit dem zeittypischen “Balkenkreuz”. Zu den besonderen Zeitumständen erfährt man nur noch, dass die damals zum Teil zerstörten Gebäude in den Folgejahren wieder aufgebaut und erweitert wurden.
Innerhalb der Bundeswehr wäre solcherart unreflektierter Historismus eher undenkbar. “Die Art und Weise, in der wehrkundliche Exponate gezeigt werden, muß die Einordnung in einen geschichtlichen Zusammenhang erkennen lassen”, steht in dem seit 1982 gültigen Traditionserlass der Streitkräfte.
Zur Einordnung dieser Vorschule gehört, dass sie ganz bewusst neben die Fertigungshallen der Allgemeinen Transportanlagen-Gesellschaft ATG errichtet wurde. Die Ausbildung der Piloten und das Einfliegen der bei der ATG gefertigten Maschinen erfolgten praktisch von Tür zu Tür.
Auf den Zusammenhang zwischen der Fliegerschule und der Flugzeugproduktion verweist auch Friedrich Roßner zum Bund der Antifaschisten in Vorträgen. Je mehr Soldaten und Flugzeuge die Wehrmacht brauchte, desto größer wurde der Bedarf an Zwangsarbeitern. Genau aus diesem Grund erfolgte im August 1944 auf Anforderung der ATG der Transport von 500 ungarischen Jüdinnen aus dem KZ Stutthof nahe dem heutigen Gdansk in den Leipziger Westen.In dem Verfahren gegen den Industriellen Friedrich Flick (1883-1972) vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal spielte auch die ATG eine Rolle. Sie gehörte zum Flicks Firmenimperium.
Die amerikanische Anklagebehörde legte dazu im November 1946 Dokumente über die frühe und enge Einbindung der Leipziger Werke in das NS-Luftrüstungsprogramm vor. Die Unterlagen befinden sich im Archiv des Internationalen Suchdienst ITS im hessischen Bad Arolsen und beziehen sich auf ATG-Archivalien aus dem Zeitraum zwischen März 1933 und Oktober 1934.
Flick wurde im Dezember 1947 als Kriegsverbrecher zu sieben Jahren Haft verurteilt, auch wegen des in seinem Imperium massenhaft praktizierten Einsatzes von Zwangsarbeitern. Zu den Anklagepunkten zählten “Sklavenarbeit” und “Verschleppung zur Sklavenarbeit”.
Unabhängig vom Ausmaß der Zwangsarbeit in der Rüstungsproduktion ist die kritische Bewertung der Wehrmacht spätestens seit den 1990-er Jahren Allgemeingut. Dazu führte neben historischen Forschungen gerade die zu dieser Zeit in vielen Städten gezeigte so genannte “Wehrmachtsausstellung”. Nach parlamentarischen Initiativen anlässlich des 60. Jahrestages der Bombardierung Guernicas im Spanischen Bürgerkrieg durch deutsche Piloten änderte sich ab 1996 die historische Bewertung über die NS-Luftkriegsführung noch zusätzlich.
Zu einer solchen historischen Einordnung sollte eine Leipziger Bildungseinrichtung eigentlich auch fähig sein.
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