Die Social-Media-Plattformen TikTok und X (vormals Twitter) stehen seit längerer Zeit in der Kritik. Nicht nur Datenschützer und Juristen, sondern auch Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, zivilgesellschaftliche Organisationen und viele andere werfen – besonders diesen Plattformen – unter anderem Desinformation, Manipulation und die gezielte Förderung von Suchtverhalten vor.
Das Agieren beider Plattformen verstößt nach Auffassung von Juristinnen und Juristen gegen geltendes nationales und europäisches Recht, insbesondere den Digital Services Act (DSA), die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie die neue KI-Verordnung (AI Act). Somit hat die niederländische Stiftung für Marktinformationsforschung (Stichting Onderzoek Marktinformatie, SOMI) vier grenzüberschreitende Kollektivklagen in Deutschland gegen TikTok und X eingereicht. Dabei wird SOMI von Spirit Legal vertreten.
Am 5. Februar 2025 veröffentlichte Spirit Legal eine Pressemitteilung, in der die beklagten Verstöße der Plattformen und die Kernforderungen der Klägerin ausführlich beschrieben sind. Wir nahmen das zum Anlass, einige Fragen zu den Klagen an die Anwaltskanzlei zu stellen. Rechtsanwältin Elisabeth Niekrenz stand uns dazu Rede und Antwort. Die Kommunikation erfolgte per Mail.
Frau Niekrenz, beim Lesen der Pressemitteilung werden für Leserinnen und Leser ohne juristische Ausbildung bestimmt Fragen auftauchen. Beispielsweise, ob das letztendliche Ziel der Klage ein Verbot von TikTok und X in Deutschland oder der EU ist. Was sagen Sie dazu?
Die Verfahren zielen nicht darauf ab, TikTok und X insgesamt zu verbieten, sondern auf die personalisierten Empfehlungsalgorithmen der Plattformen. TikTok und X beobachten ihre Nutzenden ‚auf Schritt und Klick.‘ Nicht nur, wem ich folge oder was ich poste, wird verwendet, um Inhalte für mich anzuzeigen: Auch, welches Video ich wie lange schaue, ob ich es vielleicht mehrmals schaue, welche Accounts von anderen ich aufrufe, all dies wird verarbeitet, um mir genau den Content vorzusetzen, für den ich gerade empfänglich bin.
Diese Nutzungsprofile erlauben Rückschlüsse auf politische Meinungen, auf sexuelle Vorlieben und die sexuelle Orientierung oder auf psychische Erkrankungen. Gerade für Kinder und Jugendliche ist dieser Verstärkerkreislauf hochgefährlich. Die Mechanismen der Apps sprechen das Belohnungssystem in unserem Gehirn an und machen süchtig.
Ein Beispiel: Wenn man als Jugendliche auf TikTok ein Video sieht, auf dem eine andere Nutzerin erzählt, dass sie sich traurig fühlt und antriebslos ist, und dieses Video zu Ende schaut, es vielleicht sogar ein zweites Mal anschaut, reagiert der Algorithmus sofort: Es werden immer traurigere Beiträge empfohlen, bis hin zu Videos, die Suizid romantisieren.
Auf X entsteht durch dieses Nutzungsprofil schnell ein Profil über das eigene politische Denken und die Weltanschauung. Ausgehend davon kann man Menschen genau die Inhalte vor die Nase setzen, für die sie empfänglich sind. Die Plattformen sollen durch die Klagen endlich gezwungen werden, diese besonders sensiblen Daten nicht für ihre Algorithmen zu nutzen und ihrer Verantwortung nach den europäischen Gesetzen nachzukommen: Jugendschutz, Schutz des gesellschaftlichen Diskurses und Schutz vor Einflussnahme auf Wahlen über diese Mechanismen.
In den Kernforderungen ist von der finanziellen Entschädigung für betroffene Nutzerinnen und Nutzer zu lesen. Wer hat Anspruch, muss ich die Betroffenheit nachweisen und wie kann ich die Registrierung durchführen? Das wird wahrscheinlich viele interessieren.
Nutzerinnen und Nutzer von X und TikTok haben Anspruch auf Schadenersatz gegen die Plattformen. Um sich an den Massenklagen zu beteiligen, können sie sich entweder über die Webseite der klagenden Organisation SOMI oder direkt beim Bundesamt für Justiz anmelden. Beim Bundesamt für Justiz ist die Anmeldung derzeit noch nicht freigeschaltet.
Letzte Frage: Wie hoch schätzen Sie die Erfolgschancen der Klagen ein?
Wir sind von den Rechtsverletzungen und eingetretenen Schäden überzeugt. Gleichzeitig sind diese Verfahren die ersten ihrer Art und wir rechnen damit, dass sich die Beklagten mit allen Mitteln zur Wehr setzen werden.
Vielen Dank für die Antworten!
Fazit: Die Erfolgschancen für die Klägerin sind also gut, eine Registrierung lohnt sich für die Nutzerinnen und Nutzer der Plattformen. Anzumerken ist allerdings, dass diese Verfahren oft lange Zeit in Anspruch nehmen.
Die Anmeldung für die Registrierung ist auf beiden Seiten, die von Elisabeth Niekrenz benannt wurden, noch nicht möglich. Aus Erfahrung dauert es mehrere Tage bis zur Freischaltung.
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