Warum machen wir das eigentlich? Haben wir nichts Besseres zu tun? Und warum protzen wir nicht herum damit in der Welt, wie es andere getan haben, die längst schon wieder alle ihre Fähnchen gestrichen haben? Ich darf das sagen. Denn ich war dabei. Von Anfang an, als wir an einem schönen Sommertag auf der Ludorf-Colditz-Straße standen, kurz vor der Marienquelle (die immer eine Geschichte wert ist), und einer sagte „Äh.“

Manche verwenden das Äh ja als Bindestrich, Komma oder Auslassungszeichen, wenn ihnen mitten im Satz nix mehr einfällt. Unsere Ähs aber sind Anfänge. Denn jede gute Geschichte fängt mit einem Äh an, wenn noch keiner weiß, wie’s gehen soll. Und ob die Sache funktioniert. Zum Beispiel eine Zeitung zu gründen ohne Penunze in der Tasche, ohne reichen Onkel, ohne Westverwandtschaft und ohne gute Beziehungen zum Minister oder wer auch immer den Reichtum des Volkes verwaltet oder verscherbelt.

„Du bist zu kritisch, Leo. Das hab ich dir schon immer gesagt …“

„Aber darum geht es doch, Mausi.“

„Nenn mich nicht Mausi! Es gibt gleich Essen.“

…

Das große Warum

Also ging alles erst mal ohne nix da los. Außer ein paar ernsthaften Leipziger Jungs, die einer von uns an jenem legendären 8. Juni 2004 fragte: „Äh … kannst du eigentlich so was wie eine Zeitung programmieren?“

Eine Zeitung fürs Internet. Das Internet war damals noch ziemlich jung und frei und es gab darin noch nicht diese Haifische, die es heute in ihren Besitz gebracht haben und jeder leichtgläubigen Dumpfnase einreden, sie wären das Internet. Sind sie aber nicht, das muss ich hier schon anmerken. Sie sind nur die rücksichtslosen Gäste, die die Speisekammer leer fressen und dafür auch noch bezahlt werden wollen. So wie im Märchen vom „Lumpengesindel“.

„Was schreibst du denn da schon wieder, Leo?“

„Nichts Besonderes, M … mascha.“

Wir aber wollten arbeiten. Der eine, weil er geradezu platzte von Geschichten über ein kleines, verpenntes Nest an der sächsischen Westgrenze. Geschichten, von denen er immer noch meint, die Leute, die da wohnen, sollten wenigstens schon mal davon gehört haben. Und der Zweite, der auf das „Äh“ erst einmal mit einem „Muss ich mir überlegen“ antwortete.

Jedes Ding hat seine Zeit

Man bekommt ja nicht immer gleich eine Antwort. Das weiß unsereiner aus langjähriger Erfahrung. Manchmal bekommt man die Antwort sogar erst, wenn man die Geschichte längst geschrieben und veröffentlicht hat. Auf einer Internetseite, die bei einigen freundlichen Bewohnern dieser schönen Provinzstadt an der Pleiße sogar automatisch aufploppt, wenn sie ihre digitalen Maschinchen anwerfen. Weil sie wissen, dass hier ein Teil von all dem steht, was man vielleicht wissen sollte, wenn man im trauten Städtchen L. wohnt und nicht nur mitreden will.

Und das ist möglich, weil der eine dann nach ein paar Tagen reiflicher Überlegung sagte: „Klar, mach ich. Wird aber nichts Großes. Nur ein einfaches Redaktionsprogramm. Was ich so kann. Und wir brauchen noch einen Partner.“

„Aber wofür denn?“

„Für den Server. Wenn deine Zeitung gelesen wird, hast du Traffic. Also brauchen wir einen Server.“

„Einen kleinen für den Anfang …“

„Nein, einen großen.“

So ging das los.

Es ist ein Mädchen!

Und es wurde was Kleines mit einem großen Server. Und weil’s erst mal was Kleines wurde, haben wir es wie ein Mädchen genannt und fanden das witzig und haben auch erst einmal keinen Gedanken daran verschwendet, dass das Mädchen auch mal groß werden würde. Und ernst genommen werden wollte. Wie das so ist, wenn liebevolle Eltern zu einem Mädchen kommen. Man rechnet nie damit, dass es eines Tages sagt: „Nenn mich nie wieder Baby, Paps! Nie wieder!“

Woran unsereins ja nicht wirklich dachte, denn wir hielten es für völlig ausreichend, etwas in das Internet zu setzen, was auch von außen wie eine kleine Zeitung aussah, die die Leute gern haben könnten. Weil sie über lauter Dinge berichten würde, über die die größeren Zeitungen (die es damals noch gab) nie berichteten.

„Zähl doch mal auf“, kommt’s von der Seite.

So geht’s einem, wenn er versucht, am überhitzten Computer mit frisch gebrühtem Kaffee eine klare Linie zu finden. Und dabei liebe ich Maschas Einwürfe. Was wären wir ohne unsere geliebten Störenfriede?

Aber jetzt zähle ich nicht auf. Das ist ein extra Thema für später. Denn anfangs war meine Ambition – da ich ja nur für mich sprechen kann – ganz bescheiden: Eine freundliche kleine Zeitung, die jeder auf seinem Endgerät anschalten kann, wann er lustig ist. Jeden Tag ein paar Geschichten über Leute, die man kennen sollte.

Und damit wäre unsereins vollauf beschäftigt, käme raus an die frische Luft und würde so nach und nach die ganze Stadt zeigen, so wie sie ist, zusammengebaut aus lauter eigensinnigen Leuten, die alle irgendwelche eigensinnigen Sachen trieben. Und damit wäre das eine kleine feine Oase in einer Medienlandschaft, die damals schon ein bisschen überzukochen begann.

Mascha greift ein

Denn die großen Zeitungen und Magazine hatten ja schon angefangen, eigene Auftritte im Internet zu bauen und damit – damals ging das tatsächlich noch – Geld zu verdienen. Zusätzlich zu ihren Printprodukten, die alle noch Geld abwarfen. Womit ich ja schon verraten hab, dass ich eigentlich aus der gedruckten Welt kam und nun die Gelegenheit sah, den Leuten auf ihren Bildschirmen so etwas ganz Ähnliches zu bieten.

Da war ich nicht der einzige, der …

„Aber der Verrückteste. Kommst du nun essen?“

„Verrückt waren wir alle …“

„Das ist eine Ausrede, mein Lieber. Keiner war so bekloppt wie du.“

„Und wenn ich das hier noch zu Ende …?“

„Vergiss es. Wasch dir die Pfötchen und setz dich an den Tisch. Es gibt kein Ende.“

„Doch!“

„Nein.“

Wusch, klatsch, schepper.

„Und was ist jetzt schon wieder passiert?“

„Der Kaffee …“

„Wieder auf die Hose?“

„….“

„Ach, Leo.“

…

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