Schaut man auf die Ergebnisse der Europawahl und zum Leipziger Stadtrat, fragt man sich, was in der politischen Kommunikation schieflรคuft. Erreichen Parteien, Politiker und auch wir als Journalisten die Menschen nicht mehr? Was ist mit dem Einfluss der neuen Medien, wie TikTok & Co? Ein groรŸes Thema ist selbstverstรคndlich: die Rolle des Lokaljournalismus. Wir haben dazu mit Prof. Dr. Christian Pieter Hoffmann von der Universitรคt Leipzig gesprochen.

Er ist Professor fรผr Kommunikationsmanagement und lehrt am Institut fรผr Politikwissenschaften politische Kommunikation.

Vielen Dank, Herr Professor Hoffmann, dass Sie sich die Zeit nehmen. Ich hatte vorab schon kurz beschrieben, worum heute gehen soll: um politische Kommunikation und unsere Arbeit als Journalisten in diesem Bereich. Aktuell entsteht der Eindruck, es findet keine wirkliche Kommunikation statt, bzw. nur auf einer Ebene, auf der ein groรŸer Teil der Bevรถlkerung gar nicht mehr mitkommt. Viele Menschen sind der Meinung, dass die Politik, die Politiker, die Regierung, auf welchen Ebenen auch immer, nicht mehr mit Ihnen, sondern รผber ihre Kรถpfe hinweg kommunizieren. Kann man das so im Raum stehen lassen?

Die Politik hat die Neigung, politische Probleme als Kommunikationsprobleme auszulegen. Es ist bequem zu sagen: Wir haben unsere Politik einfach nicht gut genug kommuniziert, aber die Politik selbst war richtig. Das scheint mir auch eine populรคre Reaktion auf die jรผngste Europawahl gewesen zu sein. Das verkennt aber, dass manchmal die Probleme nicht auf der Ebene der Kommunikation liegen, sondern tatsรคchlich auf der Ebene substanzieller Politik, auf der Policy-Ebene.

Wir neigen in letzter Zeit sehr viel dazu, politische Herausforderungen als Kommunikationsherausforderungen zu lesen, weil wir tatsรคchlich groรŸe Verรคnderungen im Kommunikationsumfeld beobachten. Die Digitalisierung, das Aufkommen der Social Media, laufend entstehen wieder neue Plattformen โ€“ jetzt war etwa TikTok die groรŸe Aufregerplattform. Seit einigen Jahren befassen wir uns mit den Gefahren Des- und Missinformationen und so weiter. Insofern gibt es durchaus viele Kommunikationsthemen, die spannend sind, die wir in der Forschung auch untersuchen.

All das kann aber auch dazu fรผhren, dass wir einen zu starken Fokus auf die Kommunikation und auch auf die Probleme der Kommunikation richten. Es ist ja paradox, wir sehen zugleich in Umfragen, dass das Medienvertrauen in Deutschland eigentlich gleichbleibend hoch ist. Es gibt langfristig nur eine leicht sinkende Tendenz.

Insbesondere ist das Vertrauen in die etablierten journalistischen Medien hoch, beispielsweise in den รถffentlich-rechtlichen Rundfunk, in den Lokaljournalismus. Wenn man sich das Mediennutzungsverhalten der Deutschen anschaut, dann ist das eigentlich relativ stabil und immer noch geprรคgt von der intensiven Nutzung etablierter journalistischer Angebote.

Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, dann ist das Geschrei โ€žLรผgenpresseโ€œ und โ€žSchafft den รถffentlich-rechtlichen Rundfunk ab!โ€œ eine sehr vereinfachte Kommunikation bestimmter Gruppen, die aber nicht die Mehrheitsmeinung abbildet.

Das ist sicher keine Mehrheitsmeinung, das ist eine Minderheitenmeinung. Die Frage ist: Wie groรŸ sind diese Minderheiten? Manchmal umfassen diese Minderheiten halt bis zu 20, 30 Prozent. Das ist natรผrlich schon eine substanzielle Minderheit. Also, nicht eine so kleine, dass man sie einfach ignorieren kann. Insofern ist ein sinkendes Institutionenvertrauen in Teilen der Bevรถlkerung โ€“ in die Politik, in die Medien โ€“ schon eine groรŸe gesellschaftliche Herausforderung.

Wir wissen aus der politikwissenschaftlichen Forschung, dass Institutionenvertrauen etwas ganz Wichtiges fรผr ein Land ist. Es hรคngt positiv zusammen, nicht nur mit politischer Stabilitรคt, sondern auch mit wirtschaftlicher Stabilitรคt und mit Wachstum. Insofern ist ein sinkendes Institutionenvertrauen ein Problem. Ich bin mir allerdings nicht sicher, inwiefern wir es in Deutschland, oder spezifisch in Ostdeutschland, wirklich mit einem sinkenden Vertrauen zu tun haben.

In Ostdeutschland ist hier die Ausgangsbasis relativ tief. Seit und nach der Wende ist das Vertrauen in die etablierten Institutionen, die hier im Osten manchmal als die Westinstitutionen betrachtet wurden, nicht auf demselben Niveau wie im Westen. Zum Teil hat es sich angenรคhert, aber nicht รผberall.

Ein Punkt, in dem wir das sehen kรถnnen, ist zum Beispiel die Parteientreue. Ostdeutsche Wรคhlerinnen und Wรคhler sind einfach weniger gebunden an die โ€žetabliertenโ€œ, ursprรผnglich westdeutschen Parteien und sind eher bereit zu sagen: Jetzt wรคhle ich mal was Neues. Auch das haben wir jetzt bei der Europawahl wieder sehen kรถnnen.

Obwohl das Parteienvertrauen, wenn ich mich an den Vortrag zur letzten Analyse fรผr Sachsen von 2019 von Dr. Hendrik Trรคger erinnere, kein ostdeutsches Phรคnomen ist, sondern dass die Wรคhlerbindung an die Parteien, gesamtdeutsch, eventuell sogar international abnimmt.

Ja, das ist in der Tat so, wir sehen auch, dass die sogenannten Cleavages, also die Themen, anhand derer sich das politische System sortiert, sich verรคndern. Wir hatten beispielsweise traditionell Arbeiter auf der einen Seite bei der Sozialdemokratie, und eher die religiรถs-lรคndlichen Wรคhler bei den Christdemokraten und so weiter. Das sind heute nicht mehr die Themen, die entscheidend sind.

Was in den letzten Jahren dazugekommen ist, ist das, was oft als Kulturkampf beschrieben wird. Das ist eine neue Differenzierung nach einem eher urban-gebildeten-kosmopolitischen Milieu und einem eher traditionellen, oft eher lรคndlichen, mittelhoch gebildeten Milieu, die idealtypisch einerseits durch die Grรผnen und andererseits durch die AfD reprรคsentiert werden.

Und das ist eine neue Konfliktlinie, die unser Parteisystem ziemlich durcheinanderwirbelt und mit dem auch die anderen Parteien zu ringen haben, weil nicht ganz klar ist, wo in dieser Gegenรผberstellung sie sich eigentlich positionieren wollen.

Sie hatten schon das Ergebnis der Europawahl angesprochen. Wenn man Umfrageergebnisse sieht, da war viel von Reisefreiheit und dem Euro als positive Erfahrungen zu lesen. Im studentischen Milieu kamen die Freiheit, das Studium an auslรคndischen Universitรคten und so weiter dazu. Je nach Bildungsstand oder Milieu hatte Europa verschiedene Bedeutungen. Ist es tatsรคchlich auch ein Kommunikationsproblem, vielleicht auch von uns als Journalisten, dass zu viel รผber Probleme der EU gesprochen wird, als รผber das, was die EU an Vorteilen fรผr Bรผrgerinnen und Bรผrger bringt?

Ich bin mir nicht sicher, ob der Journalismus รผber die Europรคische Union notwendigerweise kritischer berichtet als รผber die Bundespolitik. Der Journalismus weist generell einen Negativitรคtsbias auf. Es gibt journalistische Normen, wonach Aufgabe des Journalismus ist, den Mรคchtigen auf die Finger zu gucken.

Das sieht man in der Berichterstattung daran, dass Politikberichterstattung in der Regel kritisch ist, also dass man versucht, Probleme zu identifizieren, Skandale aufzudecken. Das scheint mir auf der Bundesebene sogar noch ausgeprรคgter der Fall zu sein als bei der Europรคischen Union.

Der deutsche Journalismus hat eigentlich eine รผberwiegend freundliche Haltung der Europรคischen Union gegenรผber. Der in Brรผssel konzentrierte, auf die EU fokussierte Journalismus ist einer, der teilweise subventioniert wird und teilweise sehr nah an den Gremien der Europรคischen Union ist und der Europรคischen Union nicht furchtbar kritisch-distanziert gegenรผbersteht.

Im deutschen Journalismus kommt da auch noch oft eine Haltung hinzu, die das europรคische Projekt als eine Verpflichtung fรผr die freiheitlich-demokratische Grundordnung betrachtet wird und deswegen auch in journalistische Normen einflieรŸt. Insofern wรผrde ich nicht unterschreiben, dass die EU darunter leidet, durch den Journalismus besonders hart angepackt zu werden.

Aber Sie haben insofern natรผrlich vรถllig recht, dass es immer noch keine europรคische ร–ffentlichkeit gibt, was auch ein Sprachenproblem ist, aber was auch daran liegt, dass wir immer noch Nationalstaaten haben, die als Kernverantwortliche fรผr viele Politikthemen betrachtet werden, auch wenn sie es in Wahrheit oft gar nicht mehr sind. Die Strukturierung der europรคischen ร–ffentlichkeit ist eine nationalstaatliche Strukturierung. Politische Debatten in Deutschland sind deutsche Debatten und nicht europรคische Debatte.

Wir sehen in Analysen zur Europaberichterstattung, auch Europawahlberichterstattung, dass EU-Themen meist durch die nationale Perspektive interpretiert werden. Medien berichten dann darรผber, wie die SPD und die CDU abschneiden und was das fรผr den Kanzler bedeutet und so weiter. Und eigentlich nicht darรผber, welche Gremien und welche Personen auf der europรคischen Ebene sich jetzt verรคndern durch die Wahl oder welche Policy-Initiativen jetzt erfolgreich sein werden oder nicht in den nรคchsten Jahren.

Das ist sicherlich eine Herausforderung fรผr die EU, dass EU-Themen meist durch so einen nationalen Filter an die Bรผrgerinnen und Bรผrger heran gelangen.

Ich stelle die Frage nochmal anders. Darf oder sollte man positiver berichten?

Es gibt ja auch solche Initiativen wie konstruktiver Journalismus, lรถsungsorientierter Journalismus. Dazu muss man aber sagen, dass man mit Blick auf den Negativismus nicht auf den Journalismus einprรผgeln sollte. Es liegt nicht am Journalismus, es liegt an den Nutzerinnen und Nutzern, dass wir diesen Negativitรคtsbias im Journalismus haben.

Es ist objektiv so, dass sich Berichterstattung รผber Probleme und Krisen besser verkauft. Wir schalten eher das Fernsehen ein, wir kaufen eher die Zeitung, wenn eine Warnung, eine Gefahr, ein Problem thematisiert wird. Das ist evolutionspsychologisch sehr tief in uns verankert, dass wir versuchen, uns zu schรผtzen und mรถglichst sicher durch die Welt zu navigieren. Wenn wir daher irgendwo ein Alarmzeichen sehen, dann richten wir darauf unsere Aufmerksamkeit, um sicherzugehen, dass wir nicht in Gefahr sind.

Deswegen konnte man zum Beispiel in der Pandemie sehen, wie die Zugriffszahlen und die Einschaltquoten nach oben geschossen sind, weil die Leute in so einer Situation ein hohes Schutzbedรผrfnis haben. Insofern kann der Journalismus natรผrlich gerne versuchen, auch positive Themen in den Vordergrund zu stellen, erfreuliche Themen. In der Wissenschaftsberichterstattung passiert es beispielsweise immer wieder, dass Entdeckungen gefeiert werden.

Aber man muss leider sagen, es trifft nicht auf dasselbe Interesse beim Publikum wie die kritische oder warnende Berichterstattung.

In der politischen Kommunikation kommen Aussagen von Politikern oft negativ an. Ich erinnere an 2015, als de Maiziรจre sagte: โ€žEin Teil der Antworten wรผrde die Bevรถlkerung verunsichern.โ€œ Oder das Beispiel kurz nach der Europawahl, als eine Journalistin Olaf Scholz ansprach, ob er denn irgendwas dazu sagen mรถchte und er sagte: โ€žNรถ.โ€œ Das kommt oft so an: Der will nicht oder der hat was zu verbergen. Ich habe vor unserem Gesprรคch gegoogelt: Dieses โ€žNรถโ€œ war รผberprรคsent und alles, was danach kam, schien unwichtiger.

Gleichzeitig wird aber zum Beispiel auch Robert Habeck sehr dafรผr gelobt, dass er ein guter Kommunikator ist und dass er Videos in soziale Medien stellt, in denen er Politik vermittelt. Die Person spielt schon eine Rolle, also welchen Charakter, welche Persรถnlichkeitsmerkmale eine Politikerin oder ein Politiker hat. Manche sind einfach offener und kommunikativer als andere. Manche mรผssen sich offensichtlich ein bisschen zwingen, ausreichend ร–ffentlichkeit herzustellen.

Wir haben in den USA beispielsweise das Phรคnomen, dass Prรคsident Biden der Prรคsident mit den wenigsten Pressekontakten und wenigsten Pressekonferenzen in den letzten Dekaden ist. Das liegt an der Person, das ist nicht etwas, das das Presseamt beeinflussen kann. Wenn der Kanzler nicht reden will, dann wird ihn sein Umfeld nicht dazu bringen, zu reden.

Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, wir Bรผrgerinnen und Bรผrger haben auch oft diese bequeme Rรผckzugsposition, wenn uns an der Politik irgendwas stรถrt, zu sagen, das hat mir ja niemand gesagt. Die Wahrheit ist aber oft, dass wir uns nicht dafรผr interessiert haben, dass wir auch nicht nach der Information gesucht haben. Man muss anerkennen, dass im Alltag, jenseits von Wahlen, das Interesse der durchschnittlichen Bรผrgerinnen und Bรผrger an Politik begrenzt ist.

Das ist nicht bei null, aber die wenigsten Menschen haben ein Interesse daran, mehr als 15 Minuten am Tag in Informationen aus Politik zu investieren. Insofern liegt es auch wieder ein Stรผck weit an uns selbst, wenn wir dann bestimmte Dinge nicht mitbekommen.

Gibt es denn in Deutschland eigentlich ein Jenseits von Wahlen? Man hat ja den Eindruck, es ist ein permanenter Wahlkampf. Wenn die Bundestagswahl vorbei ist, wรคhlt Bayern den Landtag. Wenn das vorbei ist, wรคhlt der Nรคchste. Gesamtdeutsch gesehen stehen wir immer vor Wahlen und es wird, bis hin zur Bundespolitik, immer sehr viel Kommunikation auf die Wahlen in dem konkreten Bundesland oder wie jetzt Europawahl ausgerichtet. Permanenter Wahlkampf bedeutet, leider Gottes, permanenter Streit. Kann oder sollte man das wieder auf die Ebene eines sachlichen Diskurses bringen?

Ich glaube schon, dass Wahlen zu einem erheblichen Teil immer noch von der betroffenen politischen Ebene geprรคgt sind. Also Kommunalwahlen drehen sich eben doch oft um kommunale Themen. Man sieht das beispielsweise vielerorts am groรŸen Erfolg von freien Wรคhlervereinigungen, die ja zeigen, dass eben doch nicht alles durch die Bundespolitik geprรคgt oder dominiert ist. Wenn uns das gelingt, dass wir diese fรถderalen Ebenen auch in der Wahlkampfkommunikation auseinanderhalten kรถnnen, dann wรผrde ich hรคufige Wahlkรคmpfe nicht als problematisch betrachten.

Wir mรผssen halt alle vier, fรผnf Jahre mal schauen, wie wir die Kommunalpolitik organisieren wollen oder die Landespolitik oder eben die Bundespolitik. Problematisch kann es werden, wenn alles verbundesstaatlicht wird, wenn immer alles durch die Brille der Bundespolitik interpretiert wird und wenn auf kommunaler Ebene oder auf Landesebene plรถtzlich Wahlentscheidungen und Wahldiskurse nur noch nach der Frage gefรผhrt werden, wie zufrieden oder unzufrieden wir etwa derzeit mit der Ampel sind.

Da kommt auch der Journalismus wieder ins Spiel. Wir beobachten ein starkes Erodieren auf der lokaljournalistischen Ebene. Einerseits ist die Zufriedenheit der Rezipienten mit dem Lokaljournalismus sehr hoch, aber die Zahlungsbereitschaft ist leider tief. Das fรผhrt dazu, dass es immer mehr Sparrunden, Zusammenlegungen und Mantelredaktionskonzepte im Lokaljournalismus gibt. Der Lokaljournalismus leidet in den letzten Jahren enorm. Das ist sicherlich ein Problem fรผr die Demokratie, insbesondere eben auf den fรถderalen Ebenen unter der Bundesebene.

Eine Bundesredaktion in Berlin zu betreiben, ist im Vergleich relativ gรผnstig. Schauen Sie sich ein recht erfolgreiches neues Projekt an wie โ€žNZZ Deutschlandโ€œ, ein Ableger der NZZ aus der Schweiz. Die betreiben eine รผberschaubar groรŸe Redaktion, die sich im Prinzip auf Bundespolitik fokussiert, natรผrlich auch hier und da mal รผber Lรคnder und lokale Themen berichtet.

Aber das ist im Prinzip eine Zentralredaktion, die mit relativ wenig Personal bundesdeutsche Berichterstattung produzieren kann. Das ist regelrecht sinnbildlich fรผr die Tendenz zu immer mehr Zusammenlegungen auf der Bundesebene. Das befรถrdert eine Art verstรคrkter Vernationalstaatlichung unseres politischen Informationssystems.

Man sieht es ja auch in den USA, dass kleine Kabelsender oder regionale Radiosender aufgeben und immer mehr die groรŸen Medien nachrรผcken. Frรผher hatte dort, ich habe mich nur ein bisschen damit beschรคftigt, jeder Ort seinen Radiosender, jeder grรถรŸere Bereich seinen Kabelsender, die รผber kommunale Themen berichteten. Heute hรถrt man auch dort รผber seine Stadt, wie hier รผber Leipzig, noch viel, aber รผber die Gemeinde wie Markranstรคdt schon kaum etwas.

Genau, in den USA ist diese Entwicklung weiter fortgeschritten als in Deutschland. Das liegt auch daran, dass wir in Deutschland einen groรŸen รถffentlich-rechtlichen Rundfunk haben, der fรถderal aufgebaut ist und ein gewisses Gegengewicht bieten kann. Aber wenn wir in Richtung Lokalberichterstattung anschauen, da wird es auch beim รถffentlich-rechtlichen Rundfunk schnell dรผnn.

Im MDR, der ist ja kein negatives Beispiel, ist die Zeit, die MDR Sachsen den Sachsenspiegel sendet, eine halbe Stunde. Da kommen natรผrlich lokale Themen nach ihrer Bedeutung vor.

Jetzt haben wir ja so viele Sachen besprochen, haben diese ein bisschen eingeordnet, aber das bedeutet ja nicht, dass die politische Kommunikation funktioniert, oder?

Wie gesagt, die รถkonomischen Probleme des Journalismus, die Unterfinanzierung des Journalismus, vor allem auf den tieferen fรถderalen Ebenen, stellen ein Problem dar. Es gibt Studien, die zeigen, dass, wenn der lokale Journalismus wegfรคllt, zum Beispiel die Korruption zunimmt auf kommunaler Ebene. Leider gibt es bisher fรผr diese Herausforderung keine Lรถsung. Es gibt beispielsweise kein Modell fรผr eine รถffentliche Finanzierung von Lokaljournalismus.

Aufgrund des รถkonomischen Drucks sehen wir neben der Vernationalstaatlichung des Journalismus auch eine Tendenz hin zum Meinungsjournalismus, anstelle eines berichterstattenden Journalismus. Auch hier wieder, weil es einfach billiger ist, ein paar Kommentare zu schreiben und Kolumnisten einzustellen, als groรŸe investigative Recherchen durchzufรผhren.

Meinungsjournalismus ist natรผrlich fรผr das Publikum durchaus spannend, erzeugt Klicks, ist provokativ, unterhaltsam. Wenn man sich den amerikanischen Journalismus anschaut, solche vermeintlichen Nachrichtenangebote wie Fox News oder MSNBC, das ist zu einem erheblichen Teil kommentierender Journalismus, der auch gerne mal polarisierend oder zuspitzend wirkt.

Insofern haben die รถkonomischen Probleme des Journalismus ganz viele Folgewirkungen darauf, wie berichtet wird, worรผber berichtet wird, welche Informationen รผberhaupt noch an die Bรผrgerinnen und Bรผrger herangetragen werden oder nicht.

Die neuen Medien, fangen wir an mit X (ehemals Twitter), mit Facebook bis hin zu TikTok, was spielen die wirklich fรผr eine Rolle?

Sie sind ein wichtiger Informationsvermittler fรผr Bรผrgerinnen und Bรผrger, insbesondere junge Bรผrgerinnen und Bรผrger. Man muss hier aber differenzieren: Viele junge Leute beziehen ihre Informationen aus dem Journalismus, aber halt auf Instagram, auf TikTok und so weiter. Das heiรŸt nicht, dass sie keinen Journalismus mehr rezipieren, sondern der Ort, an dem er rezipiert wird, verschiebt sich vom Fernseher hin zum Handy und von ZDF.de auf ein TikTok-Reel.

Der eben erschienene Digital News Report hat gezeigt, dass in den neuen Medien durchaus neue Akteure hinzukommen. Gerade auf den videozentrierten Plattformen, wie YouTube oder TikTok, spielen sogenannte Influencer eine groรŸe Rolle. Das heiรŸt, da kommt ein neuer Akteur hinzu, der manchmal journalistisch agiert, oft eher kommentierend agiert, und der plรถtzlich auch ein relevanter Informationsvermittler geworden ist, der eine parasoziale Beziehung zum Publikum aufbaut.

Das ist durchaus eine Besonderheit der sozialen Medien. Es sind halt soziale Medien, wo Menschen sich miteinander vernetzen und wo der Mensch, die Person, der Akteur wichtig ist.

In den USA kann man auch beobachten, dass Plattformen wie Substack sowie Podcasts sehr wichtig geworden sind, wo wiederum eine Person, die sich vielleicht zuvor im Journalismus einen Namen gemacht hat, sich selbststรคndig macht und dann ad personam weiter journalistisch oder kommentierend agiert. Das kann durchaus auch eine Chance sein fรผr den Journalismus. Da entsteht mehr Flexibilitรคt, mehr Konkurrenz fรผr die groรŸen etablierten Angebote.

Aber die Zahlungsbereitschaft fรผr Journalismus ist natรผrlich begrenzt. Wenn also jemand drei solcher neuartiger Newsletter abonniert hat, dann wird diese Person wahrscheinlich keine Lokalzeitung mehr abonnieren.

Social Media erfordern starke Vereinfachung von Aussagen, ob das jetzt X (ehemals Twitter) mit seinen 280 Zeichen ist oder TikTok und Instagram mit begrenzter Videolรคnge. Das ist was anderes als in meiner Jugendzeit. Wenn ich damals mal einen Spiegel in die Hand bekommen habe, war vorn Rudolf Augstein รผber drei Seiten zu einem Thema und das wurde gelesen. Es รคndern sich ja auch durchaus die Medienkonsumgewohnheiten, oder, wie einige Psychologen sagen, die Aufmerksamkeitsspanne.

Das ist umstritten, es gibt diese These, wonach bei jรผngeren Alterskohorten die Aufmerksamkeitsspanne abnimmt, weil diese mit diesen Medien sozialisiert wurden. Ob das wirklich so ist, ist aber unklar. Es ist mรถglich, dass jรผngere Leute per se eine etwas kรผrzere Aufmerksamkeitsspanne haben als รคltere, und dass sich das auch wieder auswรคchst.

Man darf auch nicht unterschรคtzen: Wenn wir Radio hรถren oder Fernsehen schauen, rezipieren wir ja auch sehr kurze Darstellungen. Eine Nachrichtensendung ist im Radio drei, vier Minuten lang und eine einzelne Meldung ein paar Sekunden. Das ist auch nicht lรคnger als ein TikTok-Video. Und wenn ich mir fรผnf TikTok-Videos hintereinander angeschaut habe, dann habe ich im Prinzip dasselbe Informationsvolumen aufgenommen, wie wenn ich eine Nachrichtensendung im Radio gehรถrt habe.

Natรผrlich gibt es auch im Internet Langform-Formate, die ausfรผhrlichere Analysen verรถffentlichen, so etwas wie Substack oder Blog-Formate und lรคngere YouTube-Videos. Der erfolgreichste Podcaster der Welt ist, Joe Rogan, fรผhrt drei Stunden lange Video-Interviews. Das ist vรถllig unvorstellbar im Zeitungs- oder Rundfunkkontext.

Es ist also komplex, es ist ambivalent. Manche Informationsangebote werden kรผrzer, manche werden unterhaltsamer oder sensationalistischer, aber es gibt im Internet durchaus auch andere Angebote und andere Formate.

Wir mรผssen ja irgendwie zu einem Fazit kommen. Sagen wir mal so: Die politische Kommunikation hat Schwรคchen, ist aber nicht so schlecht wie sie immer dargestellt wird.

Strategische Kommunikation โ€“ sei es in der Politik oder bei Unternehmen โ€“ reagiert auf Verรคnderungen im Journalismus. In der Regel setzt man auf mehr eigene Angebote. Man baut etwa sogenannte Newsrooms auf, von denen aus die Kommunikation mit den eigenen Zielgruppen รผber diverse Kanรคle hinweg gesteuert werden โ€“ etwa Websites, Social-Media-Kanรคle, Broschรผren, Corporate Publishing und so weiter.

Die Akteure kompensieren also das Schwรคcheln des Journalismus dadurch, dass sie mehr eigene Medienangebote unterbreiten. Parteien, Unternehmen und andere Akteure rรผsten also kommunikativ auf.

Wir merken das bei unseren Studiengรคngen, dass Kommunikationsberufe florieren โ€“ zwar nicht der Journalismus, aber die strategische Kommunikation floriert, weil alle groรŸen Organisationen und Institutionen schauen mรผssen, wie sie eigentlich รผberhaupt noch an ihre Zielgruppen herankommen, wie sie รผberhaupt noch ร–ffentlichkeit herstellen kรถnnen, wenn nicht รผber den Journalismus.

Insofern kรถnnte man argumentieren, dass die Politik und die politischen Institutionen mehr denn je kommunizieren und mehr denn je Kommunikationsangebote unterbreiten, schlicht weil es notwendig ist. Weil sie sich nicht mehr darauf verlassen kรถnnen, dass eine Pressemitteilung verschickt wird, die dann in den Redaktionen aufgegriffen wird, und die Bรผrgerinnen und Bรผrger durch journalistische Aufbereitungen informiert werden.

Vielen Dank, Herr Dr. Hoffmann, fรผr das Gesprรคch und Ihre Zeit.

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Es gibt 5 Kommentare

Kartoffeln? Sind Sie vielleicht von โ€œdie Partei? ๐Ÿ˜€
โ€“
Ach naja. Wenn mir ein Eigenheimbesitzer vorrechnet, dass ihn der Umbau von Radiatoren auf FuรŸbodenheizung, alternativ die Bohrung fรผr eine Hochtemperaturwรคrmepumpe, in den nรคchsten 15 Jahren teurer kรคme als eine neue Gastherme, kann ich das erst mal nachvollziehen.
Und ja, โ€œdie Chinesenโ€, haha. Ein schรถnes, unterkomplexes Bild fรผr die Frage: Was von der Apokalypse wird nicht eintreten, wenn wir das Tempo auf unseren StraรŸen drosseln?
In der Kommunikation (wir sind beim Artikelthema) zur Apokalypse steht drin: dann kommt sie nicht. Die Gegenthese kommt vielen Leuten aber logischer vor.
โ€“
Und zu den vielen Blauwรคhlern: ich sag ja, 120 % gut, moralisch und korrekt.
Welche Farbe hat BSW eigentlich verpasst bekommen? Vielleicht irgendwas mit der Wagenknecht ihrer Frisur oder so was griffiges?

Haha, zum Verรคnderungswillen darf man gern die รผber 1 Mio Kartoffeln fragen, die sich im vergangenen Jahr noch panisch eine Gasheizung haben einbauen lassen. Oder die Mio Blaubraunen-Wรคhler. Nein, in diesem Land muss alles geregelt sein, bis ins Kleinste.
โ€œTechnologieoffenโ€, โ€œFreiheitโ€, โ€œaber die Chinesenโ€,โ€ฆ

Ach, das mit den Scheindebatten ist auch so ein moderner rhetorischer Kniff, um sich nicht mit den Sichtweisen der Anderen auseinandersetzen zu brauchen.
Natรผrlich mรผssen Verรคnderungen kommen. Von mir aus mit Wรคrmepumpen, mit Sicherheit auch mit Windkraft, mit weniger Ignoranz und Abwehr dem โ€œAnderenโ€ oder gar Fremden gegenรผber. Aber man muss aus 80-100 % nicht sozialistische 120 % machen und dann so tun, als ob alles darunter Faschismus oder rechtsregressiv ist. Und genau darum, um einen 120 % durchpolitisierten Lebensraum, um den geht es den Leuten, denen aktuell einiges auf den Zรผnder geht.

Zu sagen: โ€œWir haben unsere Politik einfach nicht gut genug kommuniziert, aber die Politik selbst war richtigโ€, ist wesentlich geschmeidiger als zu sagen:
โ€œDie Kartoffeln sind durchweg reformunwillig!โ€
Genau das war aber die Erkenntnis von Merkel, worauf sie die rote Klimakanzlerin-Jacke wieder auszog.

Der Gag ist, alle wissen, dass gigantische Verรคnderungen auf uns zukommen. Einige packens an, und scheitern in Teilen. Statt mit anzupacken, versteigen sich andere aber lieber in Scheindebatten, wie DiversitรคtsstraรŸenbahn, Regenbogenfahnen, Warming-Stripes-Gelabere, Gendern. Thomas hatte es doch schรถn kommentiert. Selbst Merz weiรŸ, dass es mehr Wรคrmepumpen braucht. Ihm ist aber wichtiger, gegen die Grรผnen zu hetzen, statt praktikables auf den Tisch zu legen. Ich fรผrchte ja, da ist nichts. Aber wie will man das denn kommunizieren? Das Gleiche tat die CDU in Leipzig. Man wollte R2G weghaben, scheiterte dann aber selbst am 14. SR-Mandat. Und nun? Jetzt gehts in Sachsen weiter, mit Moskau-Michi als besten Wahlkรคmpfer fรผr die AfD, der selbst aber nichts auf den Tisch legt, auรŸer ein weiterso und den nรคchsten Kulturkampf.

Danke an den Autor und vor allem auch an den Interviewpartner! Das liest sich sehr interessant und nach verschiedenen Aspekten schauend ausgewogen. Und es ist das erste Interview, in dem ich die ehrliche Antwort lese auf eine populรคre Nullantwort, eine regelrechte politische Sackgasse unserer Tage:
> โ€œDie Politik hat die Neigung, politische Probleme als Kommunikationsprobleme auszulegen. Es ist bequem zu sagen: Wir haben unsere Politik einfach nicht gut genug kommuniziert, aber die Politik selbst war richtig. Das scheint mir auch eine populรคre Reaktion auf die jรผngste Europawahl gewesen zu sein. Das verkennt aber, dass manchmal die Probleme nicht auf der Ebene der Kommunikation liegen, sondern tatsรคchlich auf der Ebene substanzieller Politik, auf der Policy-Ebene.โ€
Ich kann ihm gar nicht genug dafรผr danken. Die Reaktion auf Unmut grรถรŸerer Massen (โ€œManchmal umfassen diese Minderheiten halt bis zu 20, 30 Prozent. Das ist natรผrlich schon eine substanzielle Minderheit. Also, nicht eine so kleine, dass man sie einfach ignorieren kann.โ€) kann damit unmรถglich die nรคchste DiversitรคtsstraรŸenbahn sein, oder das Anmalen des Rathauses komplett in Regenbogenfahnen, oder vielleicht auch die Gestaltung des kompletten Hauptbahnhofes in warming-stripes-Optik. Nur weil man sich selbst nichts anderes als die Denkrichtung gestattet, die da lautet: Wir haben einfach nicht genug Leute รผberzeugen kรถnnen!
Die richtige Richtung, um grรถรŸere Mengen von Leuten mitzunehmen, die dagegen sind (beim Gendern je nach Umfrage 60-80 %), ist nicht noch mehr Gendern und das Genรถrgel รผber angebliche Verbote, sondern mal ein Schritt zurรผck und sich-ehrlich-machen, was das alles wirklich bringt. Bei sรคmtlichen Themen, die der Interviewpartner als Kulturkampf subsummiert.
โ€“
Der zweite Teil, der mir interessant und wichtig erscheint, ist der:
> โ€œOder das Beispiel kurz nach der Europawahl, als eine Journalistin Olaf Scholz ansprach, ob er denn irgendwas dazu sagen mรถchte und er sagte: โ€žNรถ.โ€œ Das kommt oft so an: Der will nicht oder der hat was zu verbergen.โ€
Antwort:
> โ€œWir haben in den USA beispielsweise das Phรคnomen, dass Prรคsident Biden der Prรคsident mit den wenigsten Pressekontakten und wenigsten Pressekonferenzen in den letzten Dekaden ist. Das liegt an der Person, das ist nicht etwas, das das Presseamt beeinflussen kann. Wenn der Kanzler nicht reden will, dann wird ihn sein Umfeld nicht dazu bringen, zu reden.โ€
โ€“
Und ich stelle mal die Frage: Warum sollte er auch? Das letzte was ich nach einem FuรŸballspiel sehen mรถchte ist, wenn ein schwitzender, noch keuchender Spieler vor die Kamera gebracht wird und nach den Grรผnden der Niederlage gefragt wird. Was soll da raus kommen? Natรผrlich sagt der Kanzler โ€œnรถโ€, sehr kurz nach der fรผr die SPD verlorenen Wahl. Der ist enttรคuscht und muss sich erst mal sortieren. Substantielles kann man noch gar nicht erwarten in seiner Antwort, trotzdem wird ihm das Mikro und die Kamera in die Larve gehalten, nur damit mรถglichst etwas verwurstbares fรผr den Medienapparat herauskommt. Wenn es RICHTIG gut lรคuft, dann kommt noch jede Menge fรผr den Instagram-Memes-Apparat heraus, weil er vielleicht gestottert hat oder sich hoffentlich in einer offensichtlichen Unlogik verstrickt. In der heute-show, die ich gern sehe, wird sowas auch SEHR dankbar aufgenommen und verwurstet.
โ€“
Ich denke auch, dass Kommunikationsprobleme ein Teil der Analyse des politischen Umfeldes sind. Man kann manche Sachen wirklich besser erklรคren (manche Sachen auch gar nicht), aber es ist auch schlicht so, dass die aktuelle Politik, also die der letzten zehn (?) Jahre, einfach nicht mehr in breiten Massen gefragt ist. Und das ist nicht nur in Deutschland so, wenn man die Europawahl ansieht.

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