Schaut man auf die Ergebnisse der Europawahl und zum Leipziger Stadtrat, fragt man sich, was in der politischen Kommunikation schiefläuft. Erreichen Parteien, Politiker und auch wir als Journalisten die Menschen nicht mehr? Was ist mit dem Einfluss der neuen Medien, wie TikTok & Co? Ein großes Thema ist selbstverständlich: die Rolle des Lokaljournalismus. Wir haben dazu mit Prof. Dr. Christian Pieter Hoffmann von der Universität Leipzig gesprochen.

Er ist Professor für Kommunikationsmanagement und lehrt am Institut für Politikwissenschaften politische Kommunikation.

Vielen Dank, Herr Professor Hoffmann, dass Sie sich die Zeit nehmen. Ich hatte vorab schon kurz beschrieben, worum heute gehen soll: um politische Kommunikation und unsere Arbeit als Journalisten in diesem Bereich. Aktuell entsteht der Eindruck, es findet keine wirkliche Kommunikation statt, bzw. nur auf einer Ebene, auf der ein großer Teil der Bevölkerung gar nicht mehr mitkommt. Viele Menschen sind der Meinung, dass die Politik, die Politiker, die Regierung, auf welchen Ebenen auch immer, nicht mehr mit Ihnen, sondern über ihre Köpfe hinweg kommunizieren. Kann man das so im Raum stehen lassen?

Die Politik hat die Neigung, politische Probleme als Kommunikationsprobleme auszulegen. Es ist bequem zu sagen: Wir haben unsere Politik einfach nicht gut genug kommuniziert, aber die Politik selbst war richtig. Das scheint mir auch eine populäre Reaktion auf die jüngste Europawahl gewesen zu sein. Das verkennt aber, dass manchmal die Probleme nicht auf der Ebene der Kommunikation liegen, sondern tatsächlich auf der Ebene substanzieller Politik, auf der Policy-Ebene.

Wir neigen in letzter Zeit sehr viel dazu, politische Herausforderungen als Kommunikationsherausforderungen zu lesen, weil wir tatsächlich große Veränderungen im Kommunikationsumfeld beobachten. Die Digitalisierung, das Aufkommen der Social Media, laufend entstehen wieder neue Plattformen – jetzt war etwa TikTok die große Aufregerplattform. Seit einigen Jahren befassen wir uns mit den Gefahren Des- und Missinformationen und so weiter. Insofern gibt es durchaus viele Kommunikationsthemen, die spannend sind, die wir in der Forschung auch untersuchen.

All das kann aber auch dazu führen, dass wir einen zu starken Fokus auf die Kommunikation und auch auf die Probleme der Kommunikation richten. Es ist ja paradox, wir sehen zugleich in Umfragen, dass das Medienvertrauen in Deutschland eigentlich gleichbleibend hoch ist. Es gibt langfristig nur eine leicht sinkende Tendenz.

Insbesondere ist das Vertrauen in die etablierten journalistischen Medien hoch, beispielsweise in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in den Lokaljournalismus. Wenn man sich das Mediennutzungsverhalten der Deutschen anschaut, dann ist das eigentlich relativ stabil und immer noch geprägt von der intensiven Nutzung etablierter journalistischer Angebote.

Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, dann ist das Geschrei „Lügenpresse“ und „Schafft den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ab!“ eine sehr vereinfachte Kommunikation bestimmter Gruppen, die aber nicht die Mehrheitsmeinung abbildet.

Das ist sicher keine Mehrheitsmeinung, das ist eine Minderheitenmeinung. Die Frage ist: Wie groß sind diese Minderheiten? Manchmal umfassen diese Minderheiten halt bis zu 20, 30 Prozent. Das ist natürlich schon eine substanzielle Minderheit. Also, nicht eine so kleine, dass man sie einfach ignorieren kann. Insofern ist ein sinkendes Institutionenvertrauen in Teilen der Bevölkerung – in die Politik, in die Medien – schon eine große gesellschaftliche Herausforderung.

Wir wissen aus der politikwissenschaftlichen Forschung, dass Institutionenvertrauen etwas ganz Wichtiges für ein Land ist. Es hängt positiv zusammen, nicht nur mit politischer Stabilität, sondern auch mit wirtschaftlicher Stabilität und mit Wachstum. Insofern ist ein sinkendes Institutionenvertrauen ein Problem. Ich bin mir allerdings nicht sicher, inwiefern wir es in Deutschland, oder spezifisch in Ostdeutschland, wirklich mit einem sinkenden Vertrauen zu tun haben.

In Ostdeutschland ist hier die Ausgangsbasis relativ tief. Seit und nach der Wende ist das Vertrauen in die etablierten Institutionen, die hier im Osten manchmal als die Westinstitutionen betrachtet wurden, nicht auf demselben Niveau wie im Westen. Zum Teil hat es sich angenähert, aber nicht überall.

Ein Punkt, in dem wir das sehen können, ist zum Beispiel die Parteientreue. Ostdeutsche Wählerinnen und Wähler sind einfach weniger gebunden an die „etablierten“, ursprünglich westdeutschen Parteien und sind eher bereit zu sagen: Jetzt wähle ich mal was Neues. Auch das haben wir jetzt bei der Europawahl wieder sehen können.

Obwohl das Parteienvertrauen, wenn ich mich an den Vortrag zur letzten Analyse für Sachsen von 2019 von Dr. Hendrik Träger erinnere, kein ostdeutsches Phänomen ist, sondern dass die Wählerbindung an die Parteien, gesamtdeutsch, eventuell sogar international abnimmt.

Ja, das ist in der Tat so, wir sehen auch, dass die sogenannten Cleavages, also die Themen, anhand derer sich das politische System sortiert, sich verändern. Wir hatten beispielsweise traditionell Arbeiter auf der einen Seite bei der Sozialdemokratie, und eher die religiös-ländlichen Wähler bei den Christdemokraten und so weiter. Das sind heute nicht mehr die Themen, die entscheidend sind.

Was in den letzten Jahren dazugekommen ist, ist das, was oft als Kulturkampf beschrieben wird. Das ist eine neue Differenzierung nach einem eher urban-gebildeten-kosmopolitischen Milieu und einem eher traditionellen, oft eher ländlichen, mittelhoch gebildeten Milieu, die idealtypisch einerseits durch die Grünen und andererseits durch die AfD repräsentiert werden.

Und das ist eine neue Konfliktlinie, die unser Parteisystem ziemlich durcheinanderwirbelt und mit dem auch die anderen Parteien zu ringen haben, weil nicht ganz klar ist, wo in dieser Gegenüberstellung sie sich eigentlich positionieren wollen.

Sie hatten schon das Ergebnis der Europawahl angesprochen. Wenn man Umfrageergebnisse sieht, da war viel von Reisefreiheit und dem Euro als positive Erfahrungen zu lesen. Im studentischen Milieu kamen die Freiheit, das Studium an ausländischen Universitäten und so weiter dazu. Je nach Bildungsstand oder Milieu hatte Europa verschiedene Bedeutungen. Ist es tatsächlich auch ein Kommunikationsproblem, vielleicht auch von uns als Journalisten, dass zu viel über Probleme der EU gesprochen wird, als über das, was die EU an Vorteilen für Bürgerinnen und Bürger bringt?

Ich bin mir nicht sicher, ob der Journalismus über die Europäische Union notwendigerweise kritischer berichtet als über die Bundespolitik. Der Journalismus weist generell einen Negativitätsbias auf. Es gibt journalistische Normen, wonach Aufgabe des Journalismus ist, den Mächtigen auf die Finger zu gucken.

Das sieht man in der Berichterstattung daran, dass Politikberichterstattung in der Regel kritisch ist, also dass man versucht, Probleme zu identifizieren, Skandale aufzudecken. Das scheint mir auf der Bundesebene sogar noch ausgeprägter der Fall zu sein als bei der Europäischen Union.

Der deutsche Journalismus hat eigentlich eine überwiegend freundliche Haltung der Europäischen Union gegenüber. Der in Brüssel konzentrierte, auf die EU fokussierte Journalismus ist einer, der teilweise subventioniert wird und teilweise sehr nah an den Gremien der Europäischen Union ist und der Europäischen Union nicht furchtbar kritisch-distanziert gegenübersteht.

Im deutschen Journalismus kommt da auch noch oft eine Haltung hinzu, die das europäische Projekt als eine Verpflichtung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung betrachtet wird und deswegen auch in journalistische Normen einfließt. Insofern würde ich nicht unterschreiben, dass die EU darunter leidet, durch den Journalismus besonders hart angepackt zu werden.

Aber Sie haben insofern natürlich völlig recht, dass es immer noch keine europäische Öffentlichkeit gibt, was auch ein Sprachenproblem ist, aber was auch daran liegt, dass wir immer noch Nationalstaaten haben, die als Kernverantwortliche für viele Politikthemen betrachtet werden, auch wenn sie es in Wahrheit oft gar nicht mehr sind. Die Strukturierung der europäischen Öffentlichkeit ist eine nationalstaatliche Strukturierung. Politische Debatten in Deutschland sind deutsche Debatten und nicht europäische Debatte.

Wir sehen in Analysen zur Europaberichterstattung, auch Europawahlberichterstattung, dass EU-Themen meist durch die nationale Perspektive interpretiert werden. Medien berichten dann darüber, wie die SPD und die CDU abschneiden und was das für den Kanzler bedeutet und so weiter. Und eigentlich nicht darüber, welche Gremien und welche Personen auf der europäischen Ebene sich jetzt verändern durch die Wahl oder welche Policy-Initiativen jetzt erfolgreich sein werden oder nicht in den nächsten Jahren.

Das ist sicherlich eine Herausforderung für die EU, dass EU-Themen meist durch so einen nationalen Filter an die Bürgerinnen und Bürger heran gelangen.

Ich stelle die Frage nochmal anders. Darf oder sollte man positiver berichten?

Es gibt ja auch solche Initiativen wie konstruktiver Journalismus, lösungsorientierter Journalismus. Dazu muss man aber sagen, dass man mit Blick auf den Negativismus nicht auf den Journalismus einprügeln sollte. Es liegt nicht am Journalismus, es liegt an den Nutzerinnen und Nutzern, dass wir diesen Negativitätsbias im Journalismus haben.

Es ist objektiv so, dass sich Berichterstattung über Probleme und Krisen besser verkauft. Wir schalten eher das Fernsehen ein, wir kaufen eher die Zeitung, wenn eine Warnung, eine Gefahr, ein Problem thematisiert wird. Das ist evolutionspsychologisch sehr tief in uns verankert, dass wir versuchen, uns zu schützen und möglichst sicher durch die Welt zu navigieren. Wenn wir daher irgendwo ein Alarmzeichen sehen, dann richten wir darauf unsere Aufmerksamkeit, um sicherzugehen, dass wir nicht in Gefahr sind.

Deswegen konnte man zum Beispiel in der Pandemie sehen, wie die Zugriffszahlen und die Einschaltquoten nach oben geschossen sind, weil die Leute in so einer Situation ein hohes Schutzbedürfnis haben. Insofern kann der Journalismus natürlich gerne versuchen, auch positive Themen in den Vordergrund zu stellen, erfreuliche Themen. In der Wissenschaftsberichterstattung passiert es beispielsweise immer wieder, dass Entdeckungen gefeiert werden.

Aber man muss leider sagen, es trifft nicht auf dasselbe Interesse beim Publikum wie die kritische oder warnende Berichterstattung.

In der politischen Kommunikation kommen Aussagen von Politikern oft negativ an. Ich erinnere an 2015, als de Maizière sagte: „Ein Teil der Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“ Oder das Beispiel kurz nach der Europawahl, als eine Journalistin Olaf Scholz ansprach, ob er denn irgendwas dazu sagen möchte und er sagte: „Nö.“ Das kommt oft so an: Der will nicht oder der hat was zu verbergen. Ich habe vor unserem Gespräch gegoogelt: Dieses „Nö“ war überpräsent und alles, was danach kam, schien unwichtiger.

Gleichzeitig wird aber zum Beispiel auch Robert Habeck sehr dafür gelobt, dass er ein guter Kommunikator ist und dass er Videos in soziale Medien stellt, in denen er Politik vermittelt. Die Person spielt schon eine Rolle, also welchen Charakter, welche Persönlichkeitsmerkmale eine Politikerin oder ein Politiker hat. Manche sind einfach offener und kommunikativer als andere. Manche müssen sich offensichtlich ein bisschen zwingen, ausreichend Öffentlichkeit herzustellen.

Wir haben in den USA beispielsweise das Phänomen, dass Präsident Biden der Präsident mit den wenigsten Pressekontakten und wenigsten Pressekonferenzen in den letzten Dekaden ist. Das liegt an der Person, das ist nicht etwas, das das Presseamt beeinflussen kann. Wenn der Kanzler nicht reden will, dann wird ihn sein Umfeld nicht dazu bringen, zu reden.

Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, wir Bürgerinnen und Bürger haben auch oft diese bequeme Rückzugsposition, wenn uns an der Politik irgendwas stört, zu sagen, das hat mir ja niemand gesagt. Die Wahrheit ist aber oft, dass wir uns nicht dafür interessiert haben, dass wir auch nicht nach der Information gesucht haben. Man muss anerkennen, dass im Alltag, jenseits von Wahlen, das Interesse der durchschnittlichen Bürgerinnen und Bürger an Politik begrenzt ist.

Das ist nicht bei null, aber die wenigsten Menschen haben ein Interesse daran, mehr als 15 Minuten am Tag in Informationen aus Politik zu investieren. Insofern liegt es auch wieder ein Stück weit an uns selbst, wenn wir dann bestimmte Dinge nicht mitbekommen.

Gibt es denn in Deutschland eigentlich ein Jenseits von Wahlen? Man hat ja den Eindruck, es ist ein permanenter Wahlkampf. Wenn die Bundestagswahl vorbei ist, wählt Bayern den Landtag. Wenn das vorbei ist, wählt der Nächste. Gesamtdeutsch gesehen stehen wir immer vor Wahlen und es wird, bis hin zur Bundespolitik, immer sehr viel Kommunikation auf die Wahlen in dem konkreten Bundesland oder wie jetzt Europawahl ausgerichtet. Permanenter Wahlkampf bedeutet, leider Gottes, permanenter Streit. Kann oder sollte man das wieder auf die Ebene eines sachlichen Diskurses bringen?

Ich glaube schon, dass Wahlen zu einem erheblichen Teil immer noch von der betroffenen politischen Ebene geprägt sind. Also Kommunalwahlen drehen sich eben doch oft um kommunale Themen. Man sieht das beispielsweise vielerorts am großen Erfolg von freien Wählervereinigungen, die ja zeigen, dass eben doch nicht alles durch die Bundespolitik geprägt oder dominiert ist. Wenn uns das gelingt, dass wir diese föderalen Ebenen auch in der Wahlkampfkommunikation auseinanderhalten können, dann würde ich häufige Wahlkämpfe nicht als problematisch betrachten.

Wir müssen halt alle vier, fünf Jahre mal schauen, wie wir die Kommunalpolitik organisieren wollen oder die Landespolitik oder eben die Bundespolitik. Problematisch kann es werden, wenn alles verbundesstaatlicht wird, wenn immer alles durch die Brille der Bundespolitik interpretiert wird und wenn auf kommunaler Ebene oder auf Landesebene plötzlich Wahlentscheidungen und Wahldiskurse nur noch nach der Frage geführt werden, wie zufrieden oder unzufrieden wir etwa derzeit mit der Ampel sind.

Da kommt auch der Journalismus wieder ins Spiel. Wir beobachten ein starkes Erodieren auf der lokaljournalistischen Ebene. Einerseits ist die Zufriedenheit der Rezipienten mit dem Lokaljournalismus sehr hoch, aber die Zahlungsbereitschaft ist leider tief. Das führt dazu, dass es immer mehr Sparrunden, Zusammenlegungen und Mantelredaktionskonzepte im Lokaljournalismus gibt. Der Lokaljournalismus leidet in den letzten Jahren enorm. Das ist sicherlich ein Problem für die Demokratie, insbesondere eben auf den föderalen Ebenen unter der Bundesebene.

Eine Bundesredaktion in Berlin zu betreiben, ist im Vergleich relativ günstig. Schauen Sie sich ein recht erfolgreiches neues Projekt an wie „NZZ Deutschland“, ein Ableger der NZZ aus der Schweiz. Die betreiben eine überschaubar große Redaktion, die sich im Prinzip auf Bundespolitik fokussiert, natürlich auch hier und da mal über Länder und lokale Themen berichtet.

Aber das ist im Prinzip eine Zentralredaktion, die mit relativ wenig Personal bundesdeutsche Berichterstattung produzieren kann. Das ist regelrecht sinnbildlich für die Tendenz zu immer mehr Zusammenlegungen auf der Bundesebene. Das befördert eine Art verstärkter Vernationalstaatlichung unseres politischen Informationssystems.

Man sieht es ja auch in den USA, dass kleine Kabelsender oder regionale Radiosender aufgeben und immer mehr die großen Medien nachrücken. Früher hatte dort, ich habe mich nur ein bisschen damit beschäftigt, jeder Ort seinen Radiosender, jeder größere Bereich seinen Kabelsender, die über kommunale Themen berichteten. Heute hört man auch dort über seine Stadt, wie hier über Leipzig, noch viel, aber über die Gemeinde wie Markranstädt schon kaum etwas.

Genau, in den USA ist diese Entwicklung weiter fortgeschritten als in Deutschland. Das liegt auch daran, dass wir in Deutschland einen großen öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben, der föderal aufgebaut ist und ein gewisses Gegengewicht bieten kann. Aber wenn wir in Richtung Lokalberichterstattung anschauen, da wird es auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk schnell dünn.

Im MDR, der ist ja kein negatives Beispiel, ist die Zeit, die MDR Sachsen den Sachsenspiegel sendet, eine halbe Stunde. Da kommen natürlich lokale Themen nach ihrer Bedeutung vor.

Jetzt haben wir ja so viele Sachen besprochen, haben diese ein bisschen eingeordnet, aber das bedeutet ja nicht, dass die politische Kommunikation funktioniert, oder?

Wie gesagt, die ökonomischen Probleme des Journalismus, die Unterfinanzierung des Journalismus, vor allem auf den tieferen föderalen Ebenen, stellen ein Problem dar. Es gibt Studien, die zeigen, dass, wenn der lokale Journalismus wegfällt, zum Beispiel die Korruption zunimmt auf kommunaler Ebene. Leider gibt es bisher für diese Herausforderung keine Lösung. Es gibt beispielsweise kein Modell für eine öffentliche Finanzierung von Lokaljournalismus.

Aufgrund des ökonomischen Drucks sehen wir neben der Vernationalstaatlichung des Journalismus auch eine Tendenz hin zum Meinungsjournalismus, anstelle eines berichterstattenden Journalismus. Auch hier wieder, weil es einfach billiger ist, ein paar Kommentare zu schreiben und Kolumnisten einzustellen, als große investigative Recherchen durchzuführen.

Meinungsjournalismus ist natürlich für das Publikum durchaus spannend, erzeugt Klicks, ist provokativ, unterhaltsam. Wenn man sich den amerikanischen Journalismus anschaut, solche vermeintlichen Nachrichtenangebote wie Fox News oder MSNBC, das ist zu einem erheblichen Teil kommentierender Journalismus, der auch gerne mal polarisierend oder zuspitzend wirkt.

Insofern haben die ökonomischen Probleme des Journalismus ganz viele Folgewirkungen darauf, wie berichtet wird, worüber berichtet wird, welche Informationen überhaupt noch an die Bürgerinnen und Bürger herangetragen werden oder nicht.

Die neuen Medien, fangen wir an mit X (ehemals Twitter), mit Facebook bis hin zu TikTok, was spielen die wirklich für eine Rolle?

Sie sind ein wichtiger Informationsvermittler für Bürgerinnen und Bürger, insbesondere junge Bürgerinnen und Bürger. Man muss hier aber differenzieren: Viele junge Leute beziehen ihre Informationen aus dem Journalismus, aber halt auf Instagram, auf TikTok und so weiter. Das heißt nicht, dass sie keinen Journalismus mehr rezipieren, sondern der Ort, an dem er rezipiert wird, verschiebt sich vom Fernseher hin zum Handy und von ZDF.de auf ein TikTok-Reel.

Der eben erschienene Digital News Report hat gezeigt, dass in den neuen Medien durchaus neue Akteure hinzukommen. Gerade auf den videozentrierten Plattformen, wie YouTube oder TikTok, spielen sogenannte Influencer eine große Rolle. Das heißt, da kommt ein neuer Akteur hinzu, der manchmal journalistisch agiert, oft eher kommentierend agiert, und der plötzlich auch ein relevanter Informationsvermittler geworden ist, der eine parasoziale Beziehung zum Publikum aufbaut.

Das ist durchaus eine Besonderheit der sozialen Medien. Es sind halt soziale Medien, wo Menschen sich miteinander vernetzen und wo der Mensch, die Person, der Akteur wichtig ist.

In den USA kann man auch beobachten, dass Plattformen wie Substack sowie Podcasts sehr wichtig geworden sind, wo wiederum eine Person, die sich vielleicht zuvor im Journalismus einen Namen gemacht hat, sich selbstständig macht und dann ad personam weiter journalistisch oder kommentierend agiert. Das kann durchaus auch eine Chance sein für den Journalismus. Da entsteht mehr Flexibilität, mehr Konkurrenz für die großen etablierten Angebote.

Aber die Zahlungsbereitschaft für Journalismus ist natürlich begrenzt. Wenn also jemand drei solcher neuartiger Newsletter abonniert hat, dann wird diese Person wahrscheinlich keine Lokalzeitung mehr abonnieren.

Social Media erfordern starke Vereinfachung von Aussagen, ob das jetzt X (ehemals Twitter) mit seinen 280 Zeichen ist oder TikTok und Instagram mit begrenzter Videolänge. Das ist was anderes als in meiner Jugendzeit. Wenn ich damals mal einen Spiegel in die Hand bekommen habe, war vorn Rudolf Augstein über drei Seiten zu einem Thema und das wurde gelesen. Es ändern sich ja auch durchaus die Medienkonsumgewohnheiten, oder, wie einige Psychologen sagen, die Aufmerksamkeitsspanne.

Das ist umstritten, es gibt diese These, wonach bei jüngeren Alterskohorten die Aufmerksamkeitsspanne abnimmt, weil diese mit diesen Medien sozialisiert wurden. Ob das wirklich so ist, ist aber unklar. Es ist möglich, dass jüngere Leute per se eine etwas kürzere Aufmerksamkeitsspanne haben als ältere, und dass sich das auch wieder auswächst.

Man darf auch nicht unterschätzen: Wenn wir Radio hören oder Fernsehen schauen, rezipieren wir ja auch sehr kurze Darstellungen. Eine Nachrichtensendung ist im Radio drei, vier Minuten lang und eine einzelne Meldung ein paar Sekunden. Das ist auch nicht länger als ein TikTok-Video. Und wenn ich mir fünf TikTok-Videos hintereinander angeschaut habe, dann habe ich im Prinzip dasselbe Informationsvolumen aufgenommen, wie wenn ich eine Nachrichtensendung im Radio gehört habe.

Natürlich gibt es auch im Internet Langform-Formate, die ausführlichere Analysen veröffentlichen, so etwas wie Substack oder Blog-Formate und längere YouTube-Videos. Der erfolgreichste Podcaster der Welt ist, Joe Rogan, führt drei Stunden lange Video-Interviews. Das ist völlig unvorstellbar im Zeitungs- oder Rundfunkkontext.

Es ist also komplex, es ist ambivalent. Manche Informationsangebote werden kürzer, manche werden unterhaltsamer oder sensationalistischer, aber es gibt im Internet durchaus auch andere Angebote und andere Formate.

Wir müssen ja irgendwie zu einem Fazit kommen. Sagen wir mal so: Die politische Kommunikation hat Schwächen, ist aber nicht so schlecht wie sie immer dargestellt wird.

Strategische Kommunikation – sei es in der Politik oder bei Unternehmen – reagiert auf Veränderungen im Journalismus. In der Regel setzt man auf mehr eigene Angebote. Man baut etwa sogenannte Newsrooms auf, von denen aus die Kommunikation mit den eigenen Zielgruppen über diverse Kanäle hinweg gesteuert werden – etwa Websites, Social-Media-Kanäle, Broschüren, Corporate Publishing und so weiter.

Die Akteure kompensieren also das Schwächeln des Journalismus dadurch, dass sie mehr eigene Medienangebote unterbreiten. Parteien, Unternehmen und andere Akteure rüsten also kommunikativ auf.

Wir merken das bei unseren Studiengängen, dass Kommunikationsberufe florieren – zwar nicht der Journalismus, aber die strategische Kommunikation floriert, weil alle großen Organisationen und Institutionen schauen müssen, wie sie eigentlich überhaupt noch an ihre Zielgruppen herankommen, wie sie überhaupt noch Öffentlichkeit herstellen können, wenn nicht über den Journalismus.

Insofern könnte man argumentieren, dass die Politik und die politischen Institutionen mehr denn je kommunizieren und mehr denn je Kommunikationsangebote unterbreiten, schlicht weil es notwendig ist. Weil sie sich nicht mehr darauf verlassen können, dass eine Pressemitteilung verschickt wird, die dann in den Redaktionen aufgegriffen wird, und die Bürgerinnen und Bürger durch journalistische Aufbereitungen informiert werden.

Vielen Dank, Herr Dr. Hoffmann, für das Gespräch und Ihre Zeit.

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Es gibt 5 Kommentare

Kartoffeln? Sind Sie vielleicht von “die Partei? 😀

Ach naja. Wenn mir ein Eigenheimbesitzer vorrechnet, dass ihn der Umbau von Radiatoren auf Fußbodenheizung, alternativ die Bohrung für eine Hochtemperaturwärmepumpe, in den nächsten 15 Jahren teurer käme als eine neue Gastherme, kann ich das erst mal nachvollziehen.
Und ja, “die Chinesen”, haha. Ein schönes, unterkomplexes Bild für die Frage: Was von der Apokalypse wird nicht eintreten, wenn wir das Tempo auf unseren Straßen drosseln?
In der Kommunikation (wir sind beim Artikelthema) zur Apokalypse steht drin: dann kommt sie nicht. Die Gegenthese kommt vielen Leuten aber logischer vor.

Und zu den vielen Blauwählern: ich sag ja, 120 % gut, moralisch und korrekt.
Welche Farbe hat BSW eigentlich verpasst bekommen? Vielleicht irgendwas mit der Wagenknecht ihrer Frisur oder so was griffiges?

Haha, zum Veränderungswillen darf man gern die über 1 Mio Kartoffeln fragen, die sich im vergangenen Jahr noch panisch eine Gasheizung haben einbauen lassen. Oder die Mio Blaubraunen-Wähler. Nein, in diesem Land muss alles geregelt sein, bis ins Kleinste.
“Technologieoffen”, “Freiheit”, “aber die Chinesen”,…

Ach, das mit den Scheindebatten ist auch so ein moderner rhetorischer Kniff, um sich nicht mit den Sichtweisen der Anderen auseinandersetzen zu brauchen.
Natürlich müssen Veränderungen kommen. Von mir aus mit Wärmepumpen, mit Sicherheit auch mit Windkraft, mit weniger Ignoranz und Abwehr dem “Anderen” oder gar Fremden gegenüber. Aber man muss aus 80-100 % nicht sozialistische 120 % machen und dann so tun, als ob alles darunter Faschismus oder rechtsregressiv ist. Und genau darum, um einen 120 % durchpolitisierten Lebensraum, um den geht es den Leuten, denen aktuell einiges auf den Zünder geht.

Zu sagen: “Wir haben unsere Politik einfach nicht gut genug kommuniziert, aber die Politik selbst war richtig”, ist wesentlich geschmeidiger als zu sagen:
“Die Kartoffeln sind durchweg reformunwillig!”
Genau das war aber die Erkenntnis von Merkel, worauf sie die rote Klimakanzlerin-Jacke wieder auszog.

Der Gag ist, alle wissen, dass gigantische Veränderungen auf uns zukommen. Einige packens an, und scheitern in Teilen. Statt mit anzupacken, versteigen sich andere aber lieber in Scheindebatten, wie Diversitätsstraßenbahn, Regenbogenfahnen, Warming-Stripes-Gelabere, Gendern. Thomas hatte es doch schön kommentiert. Selbst Merz weiß, dass es mehr Wärmepumpen braucht. Ihm ist aber wichtiger, gegen die Grünen zu hetzen, statt praktikables auf den Tisch zu legen. Ich fürchte ja, da ist nichts. Aber wie will man das denn kommunizieren? Das Gleiche tat die CDU in Leipzig. Man wollte R2G weghaben, scheiterte dann aber selbst am 14. SR-Mandat. Und nun? Jetzt gehts in Sachsen weiter, mit Moskau-Michi als besten Wahlkämpfer für die AfD, der selbst aber nichts auf den Tisch legt, außer ein weiterso und den nächsten Kulturkampf.

Danke an den Autor und vor allem auch an den Interviewpartner! Das liest sich sehr interessant und nach verschiedenen Aspekten schauend ausgewogen. Und es ist das erste Interview, in dem ich die ehrliche Antwort lese auf eine populäre Nullantwort, eine regelrechte politische Sackgasse unserer Tage:
> “Die Politik hat die Neigung, politische Probleme als Kommunikationsprobleme auszulegen. Es ist bequem zu sagen: Wir haben unsere Politik einfach nicht gut genug kommuniziert, aber die Politik selbst war richtig. Das scheint mir auch eine populäre Reaktion auf die jüngste Europawahl gewesen zu sein. Das verkennt aber, dass manchmal die Probleme nicht auf der Ebene der Kommunikation liegen, sondern tatsächlich auf der Ebene substanzieller Politik, auf der Policy-Ebene.”
Ich kann ihm gar nicht genug dafür danken. Die Reaktion auf Unmut größerer Massen (“Manchmal umfassen diese Minderheiten halt bis zu 20, 30 Prozent. Das ist natürlich schon eine substanzielle Minderheit. Also, nicht eine so kleine, dass man sie einfach ignorieren kann.”) kann damit unmöglich die nächste Diversitätsstraßenbahn sein, oder das Anmalen des Rathauses komplett in Regenbogenfahnen, oder vielleicht auch die Gestaltung des kompletten Hauptbahnhofes in warming-stripes-Optik. Nur weil man sich selbst nichts anderes als die Denkrichtung gestattet, die da lautet: Wir haben einfach nicht genug Leute überzeugen können!
Die richtige Richtung, um größere Mengen von Leuten mitzunehmen, die dagegen sind (beim Gendern je nach Umfrage 60-80 %), ist nicht noch mehr Gendern und das Genörgel über angebliche Verbote, sondern mal ein Schritt zurück und sich-ehrlich-machen, was das alles wirklich bringt. Bei sämtlichen Themen, die der Interviewpartner als Kulturkampf subsummiert.

Der zweite Teil, der mir interessant und wichtig erscheint, ist der:
> “Oder das Beispiel kurz nach der Europawahl, als eine Journalistin Olaf Scholz ansprach, ob er denn irgendwas dazu sagen möchte und er sagte: „Nö.“ Das kommt oft so an: Der will nicht oder der hat was zu verbergen.”
Antwort:
> “Wir haben in den USA beispielsweise das Phänomen, dass Präsident Biden der Präsident mit den wenigsten Pressekontakten und wenigsten Pressekonferenzen in den letzten Dekaden ist. Das liegt an der Person, das ist nicht etwas, das das Presseamt beeinflussen kann. Wenn der Kanzler nicht reden will, dann wird ihn sein Umfeld nicht dazu bringen, zu reden.”

Und ich stelle mal die Frage: Warum sollte er auch? Das letzte was ich nach einem Fußballspiel sehen möchte ist, wenn ein schwitzender, noch keuchender Spieler vor die Kamera gebracht wird und nach den Gründen der Niederlage gefragt wird. Was soll da raus kommen? Natürlich sagt der Kanzler “nö”, sehr kurz nach der für die SPD verlorenen Wahl. Der ist enttäuscht und muss sich erst mal sortieren. Substantielles kann man noch gar nicht erwarten in seiner Antwort, trotzdem wird ihm das Mikro und die Kamera in die Larve gehalten, nur damit möglichst etwas verwurstbares für den Medienapparat herauskommt. Wenn es RICHTIG gut läuft, dann kommt noch jede Menge für den Instagram-Memes-Apparat heraus, weil er vielleicht gestottert hat oder sich hoffentlich in einer offensichtlichen Unlogik verstrickt. In der heute-show, die ich gern sehe, wird sowas auch SEHR dankbar aufgenommen und verwurstet.

Ich denke auch, dass Kommunikationsprobleme ein Teil der Analyse des politischen Umfeldes sind. Man kann manche Sachen wirklich besser erklären (manche Sachen auch gar nicht), aber es ist auch schlicht so, dass die aktuelle Politik, also die der letzten zehn (?) Jahre, einfach nicht mehr in breiten Massen gefragt ist. Und das ist nicht nur in Deutschland so, wenn man die Europawahl ansieht.

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