Für den Tischkalender aus dem Sax-Verlag für das Jahr 2024 hat sich Wolfgang E. Fischer mit seiner Kamera auf Fotopirsch in die heutige Kreisstadt an der Elbe aufgemacht, die einstmals nicht nur Namensgeber für die Markgrafschaft war, aus der das heutige Sachsen hervorging. Die 929 gegründete Burg Misnia, die heutige Albrechtsburg, gab der Siedlung unter dem Burgberg auch ihren Namen.
Und die Burg wiederum hat ihren Namen vom kleinen Bach Misni, der heutigen Meisa. Und es verwundert überhaupt nicht, dass Wolfgang E. Fischer die Burg immer wieder von verschiedenen Seiten und in anderen Jahreszeiten aufs Korn genommen hat. Denn natürlich ballt sich hier sächsische Landesgeschichte, residierten hier später die Wettiner und ließen sich auf dem Burgberg das erste Renaissanceschloss Deutschlands bauen.
Verantwortlich dafür war kein anderer als der berühmte Baumeister Arnold von Westfalen, der als Architekt auch für die Burg Kriebstein und das Schloss Rochsburg verantwortlich war. Man pilgert also auch wegen dieses Baumeisters auf den Burgberg und bewundert Gewölbe, Treppentürme und Fenster. Und damit ein Zeitalter, das auch beim Bauen einen besonderen Sinn für Schönheit entwickelte.
Wie ungemütlich es auf der alten Burganlage noch im 13. Jahrhundert war, zu Zeiten von Markgraf Heinrich III., genannt der Erlauchte, das kann man ja im jüngsten Roman von Sabine Ebert „Die siebente Tugend“ nachlesen.
Ein Lied für einen Dom
Gleich neben dem Schloss der Wettiner ließ sich der Bischof seinen Bischofssitz und den die Burg überragenden Meißner Dom errichten. Eine kleine, aber deutliche Rivalität. Auch wenn die beiden heute sichtbaren Türme erst 1903 und 1908 so gestaltet wurden.
An diesen Dom durfte man durchaus denken, als die Dresdner Band electra 1972 ihr Lied „Tritt ein in den Dom“ veröffentlichte, in dem Meißen nicht erwähnt wird. Aber man hat dasselbe Gefühl, das der Text von Kurt Demmler nach einem Gedicht des russischen Dichters Alexander Block vermittelt. Ein Text, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt, der diesen Dom errichtet hat. Und den Einkehrenden, der hier endlich einen Ort der Ruhe findet.
Und weil die weise Obrigkeit den Rock-Song als eine Art Werbung für die Kirche verstand, wurde er jahrelang auch nicht im Rundfunk gespielt und erst 1980 auf Platte veröffentlicht. Und damit – wie so ziemlich alles „Verbotene“ in der DDR – zu einem Geheimtipp. So wie heute der Ost-Rock eigentlich noch immer, woran die sogenannten „Legenden“-Konzerte auf ostdeutschen Bühnen nichts ändern.
Sie hüllen den Ost-Rock in eine Aura aus Nostalgie, obwohl er zu seiner Zeit für etwas völlig anderes stand. Auch als musikalische Gegenwelt zu einer verordneten Staatsfröhlichkeit, die mit dem realen Leben der Bewohner des kleinen Landes nichts zu tun hatte.
Im Grunde sangen die Rocker des Ostens von all dem, was die DDR nach Staatsraison nun gerade nicht war. Und wer seine Kofferheule nicht nur mit den Hitparaden aus dem Westen gefüllt hatte, der fand sich in diesen Songs wieder.
Mit electra im Ohr
Und der hat dann möglicherweise den electra-Song im Ohr, wenn er die lange Straße zum Burgberg hinauf läuft, wie es auch Wolfgang E. Fischer gemacht hat, um dann – wie im Mai – zufrieden auf das Dächermeer der 28.000-Einwohner-Stadt herabzuschauen. Ein kleines, stilles Städtchen, könnte man meinen. Im Wappen hat es – welchen Leipziger würde das überraschen – natürlich auch den Meißner Löwen.
Und wenn man des abends fußmüde geworden ist – am Burgberg oder drüben auf der anderen Elbseite auf den Weinhängen –, dann kann man mit Wolfgang E. Fischer ins Weinlokal „Vincenz Richter“ an der Frauenkirche einkehren. Es lockt auf dem November-Blatt, bevor der kleine Meißner Weihnachtsmarkt im Dezember leuchtet. Direkt vorm Renaissance-Rathaus, wie es in sächsischen Kleinstädten so viele gibt.
Vielleicht ist am nächsten Tag noch ein Besuch im Museum der Meissen Porzellan-Stiftung drin, die das Oktoberblatt ziert. Der Kalender ist jedenfalls eine Einladung zu einer Stippvisite, die man auch von Leipzig kurzentschlossen antreten kann mit dem Zug. Sozusagen ein Besuch in der sächsischen Geschichte, die sich auf Fotos gerade hier besonders schön ausnimmt, immer wieder gespiegelt in der Elbe, die zumindest dann schön blau leuchtet, wenn sich der blaue Himmel über der Burg darin spiegelt.
Und bei der Gelegenheit kann man auch die Ausstellung „Königsmacher. 1423 – ein Wettiner wird Sachse“ besichtigen, die bis Oktober 2024 auf der Albrechtsburg gezeigt wird.
Tischkalender 2024 „Meißen“, Sax-Verlag, Beucha und Markkleeberg 2023, 5,95 Euro.
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