Dass sich die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) am 28. November mit einem „Tschüss!“ von der Plattform „X“, die früher mal Twitter hieß, verabschiedete, hat einige Fraktionen tatsächlich aufgeschreckt. Aber schon vor diesem Abschied hatte die Grünen-Fraktion den Umgang der Stadt mit den großen Tech-Plattformen in einer Anfrage thematisiert, die am 15. November auf der Tagesordnung des Stadtrates stand.
Immerhin stellen Vorgänge, wie man sie nicht nur aus Elon Musks „X“, sondern auch bei Facebook, auf Youtube und TikTok festellen kann, die Frage, was eigentlich seriöse Institutionen und Kommunen dort zu suchen haben, wenn den Plattformbetreibern völlig egal ist, welche Inhalte auf ihren Seiten gepostet, geteilt und gelikt werden.
Auch die Stadt Leipzig nutzt diese Plattformen, um über ihre Arbeit zu berichtet. Dazu gehören, wie das Referat Kommunikation auf die Grünen-Anfrage hin mitteilte: „Facebook, Instagram, X, LinkedIn (Personalamt als Arbeitgeber und Dezernat VIII mit Wirtschaftsthemen).“
Es betont auch: „Aktuell zahlt die Stadt keine Abo-Gebühren an X und hat dies auch nicht vor.“
Bei „X“ sind doch die ganzen Leute
Von „X“ will sich die Stadt, anders als die LVB, vorerst jedenfalls nicht verabschieden: „Die Stadtverwaltung beobachtet Alternativen wie Mastodon und BlueSky, um eventuell neue Plattformen frühzeitig zu erschließen. Momentan stellen diese wegen der sehr geringen Verbreitung keine wirkliche Alternative zu X dar. Die Plattform X hat sich vor allem in der Krisenkommunikation (Naturkatastrophen, Großschadenslagen) bewährt.“
Während man bei den LVB augenscheinlich die Nase voll hat von „Falschinformationen, Verschwörungserzählungen und Hetze“ auf „X“, glaubt Leipzig zumindest, dass sie auf die „sozialen Medien“ nicht verzichten kann.
„Social Media ist zu einem unverzichtbaren Bestandteil im Kommunikations-Mix der Stadtverwaltung geworden. Über die verschiedenen Plattformen erreicht die Stadt Bürgerinnen und Bürger/-innen aller Altersklassen, Akteure und Multiplikatoren sowie Journalisten und Medienhäuser“, meint das Referat Kommunikation.
Und: „Viele Menschen wenden sich mit direkten Nachfragen zu Themen der Stadtverwaltung, z.B. zu Baustellen, bürokratischen Vorgängen, Terminen, Verständnisfragen zu gesetzlichen Bestimmungen etc. über die sozialen Medien an die Stadtverwaltung.
Viele Bürger/-innen nutzen vor allem X, um auf Missstände (illegale Müllhalden, Verstöße im ruhenden Verkehr, unklare Beschilderungen, defekte Ampeln etc.) aufmerksam zu machen und auf kurzem Weg um Klärung und Hilfe zu bitten. Alles in allem ist die Resonanz auf unsere Social-Media-Kanäle sehr gut. Bei X und Instagram hat die Stadtverwaltung jeweils rund 90.000 Follower, bei Facebook sind es rund 30.000. Die Kanäle wachsen, Kommentare und Anfragen sind stets hoch. Einzelne Posts erreichen mehr als 100.000 Personen.“
Was dann ganz sicher „X“, Instagram und Facebook freuen wird, denn das erhöht ihre Werbeeinnahmen und schafft bei den Bürgern das Gefühl, dass sie zwischen all dem Geplapper eben auch ein paar seriöse Nachrichten bekommen. Genau das, was dieser Plattformen ja wollen: den Eindruck erwecken, dass sie im Leben der Menschen unersetzlich geworden sind, weil es alles, was man braucht an Informationen, bei ihnen gibt.
„Ein Verzicht wäre katastrophal“
„Ein Verzicht auf soziale Medien, wie es im Zusammenhang mit dem Datenschutz bundesweit diskutiert wird, wäre für die kommunale Kommunikation katastrophal“, ist man sich im Referat Kommunikation sicher. „Auf einen Schlag würde die städtische Kommunikation einen Großteil ihrer Reichweite verlieren, in Krisen- und Katastrophenfällen wäre die Kommune handlungsunfähig und könnte Falschnachrichten nichts entgegensetzen.“
Da hört man ja geradezu, wie die großen Plattformanbieter sich ins Fäustchen lachen: Eine Stadt hat ihre Krisenkommunikation auf privaten Plattformen aufgebaut, die seit Jahren genau daran arbeiten: nicht nur Menschen mit ihrer gesamten Privatsphäre, sondern auch öffentliche Anbieter von ihren Angeboten abhängig zu machen. Und das dann unter dem Label „Reichweite“.
So abhängig, dass Leipzig dann „handlungsunfähig“ wäre, wenn die Stadt die „Social-Media“-Kanäle nicht mehr bespielen kann. Das darf man ruhig eine beunruhigende Entwicklung nennen.
Dass die Stadt auch auf ihren Kanälen dann mit Pöbeleien und Fakenews zu tun hat, bestätigt das Referat Kommunikation dann auf die letzte Frage der Grünen hin: „Die Stadtverwaltung moderiert die Kommentare innerhalb der Bürozeiten und hat in der Netiquette festgelegt, welche Inhalte toleriert werden und welche nicht. Hasskommentare werden zeitnah gelöscht. Eindeutig strafrechtlich relevante Inhalte wurden und werden zur Anzeige gebracht.“
Wie sehr die Überzeugung, dass ohne die großen Plattformanbieter aus den USA gar nichts mehr geht, schon fest in den Köpfen steckt, hatten freilich auch die Grünen schon deutlich gemacht, als sie in ihrer Frage formulierten: „Die transparente Information über Geschehnisse in der Kommune ist eine zentrale Aufgabe der Stadtverwaltung. Dazu gehört die Nutzung von sozialen Netzwerken, da sich dort viele Menschen versammeln und sie eine zeitgemäße Form der Informationsweitergabe darstellen.“
Ist das wirklich zeitgemäß? Oder haben die Plattformanbieter, indem sie bewusst geltende Regeln gebrochen haben, einfach Tatsachen geschaffen und sehen nun aus, als wären sie unverzichtbar und nicht ersetzbar?
Die Frage steht.
Es gibt 4 Kommentare
@Philipp Torsten
Erschwerend kommt hinzu, dass wohl auch der Stadt aufgefallen sein dürfte, dass Twitter tot ist. Auch wenn es noch viele Accounts gibt, so gibt es auf Twitter mittlerweile nur noch einen Bruchteil an Aktivität von dem was dort vor 1 oder 2 Jahren ging. Seitdem man auch noch einen Account benötigt um Tweets zu lesen, erreicht man auch noch weniger.
@Uwe
Es gibt doch auch noch andere Medien, nicht nur die (un-)sozialen. Du kommentierst hier doch bspw. unter einem Artikel, der dich erreicht hat 😉
Wenn es wirklich einen Katastrophenalarm gibt, ist Sozial-Media auch nur eine mäßige Hilfe. Auf so viele Kanälen kann man gar nicht aktiv sein, um wirklich mehr als 50% zu erreichen.
Zuletzt machte die Warn-SMS die Runde. Mobiltelefon haben heute relativ viele Leute.
Was ist, wenn Elon morgen keine Lust mehr hat und den Laden plattmacht? Oder wenn Mark plötzlich seine Dienste kostenpflichtig macht?
Was ist dann mit der städtischen Kommunikation!?
In Krisen- und Katastrophenfällen wäre die Kommune handlungsunfähig!
Also muss da ja wohl offensichtlich eine nicht privatwirtschaftliche Lösung für die staatliche Kommunikation (Bund, Länder und Kommunen) mit den Bürgern her!
“Momentan stellen diese wegen der sehr geringen Verbreitung keine wirkliche Alternative zu X dar.”
– Auf gut Deutsch: “Wir rennen prinzipiell immer nur der Herde hinterher und sind nicht in der Lage oder willens, irgendwelche richtungsweisendene Entscheidungen selber zu treffen und zu initiieren.”
“Bei X und Instagram hat die Stadtverwaltung jeweils rund 90.000 Follower, bei Facebook sind es rund 30.000.”
– Auf gut Deutsch: “Da wir keine Ahnung von Medienwirkung haben, fetischisieren wir die Nutzungszahlen und orientieren uns stumpfsinnig am Dogma mehr=bessser (wofür auch immer)”.