Pressegespräch im Seminargebäude der Universität, irgendwann im Frühling 2015. Ausnahmsweise sind es mal keine Politiker/-innen, Unternehmer/-innen oder Aktivist/-innen, die einladen, sondern Journalisten. Drei Männer, die eine lokale Wochenzeitung für Leipzig planen, sitzen vor mir – es sind fast die einzigen Personen im Raum. Zu diesem Zeitpunkt befinde ich mich in den letzten Monaten meines Studiums.
Schon seit einigen Jahren schreibe ich regelmäßig für die damals noch „student!“ genannte Hochschulzeitung, das Magazin „kreuzer“ und mein eigenes Lokalblog. Auch über die personell mit der Leipziger Zeitung (LZ) verknüpfte Leipziger Internetzeitung (L-IZ) habe ich bereits geschrieben – es war kein Loblied.
Nach dem Pressegespräch stehe ich mit Robert Dobschütz vor dem Seminargebäude. Er fragt mich, ob ich Lust hätte, für die L-IZ zu schreiben. Ich denke eine Weile darüber nach und nehme das Angebot irgendwann an. Als einige Monate später zunächst auf der L-IZ und kurz darauf auch in der LZ meine ersten Texte erscheinen, ergänze ich meinen Blogeintrag zum Pressegespräch um den Hinweis, dass ich mittlerweile selbst für die Medien tätig bin, über die ich damals berichtet habe.
Das wilde erste halbe Jahr der LZ mit Insolvenz und Neustart als Monatszeitung habe ich nur als Beobachter mitbekommen. Im Herbst 2015 starte ich in einer Zeit, die geprägt ist von rechter Mobilmachung auf den Straßen, rechten Narrativen in den Diskursen und rechtem Terror gegen Geflüchtete. Dass mein erster Text von Legida handelt, passt; schließlich ist es das Thema, das meine journalistische Arbeit in den Jahren 2015 und 2016 prägt.
Genauer gesagt geht es um die Abspaltung namens „Offensive für Deutschland“, die ihre erste Demo in Leipzig plant. Es fallen Namen wie Jörg Hoyer, Silvio Rösler und Ester Seitz. Die einen haben sich mit den anderen verkracht; hetzen nicht mehr gemeinsam, sondern gegeneinander. Acht Jahre später wird es nicht viel anders sein, nur heißen die Konkurrenten dann nicht mehr Jörg und Silvio, sondern Volker und Bernd.
Legida als Dauerthema
Einige Ausgaben später schreibe ich wieder über die „Offensive für Deutschland“. Mittlerweile ist auch der in Leipzig bestens bekannte Neonazi Alexander Kurth dabei, doch die Teilnehmendenzahlen bleiben überschaubar. „Redner wie Kurth und Rösler verfügen über zu begrenzte rhetorische Fähigkeiten, um ein Publikum wirklich mitreißen zu können“, mutmaße ich. Zudem der Verweis auf Legida, das weiterhin montags um den Ring zieht und für die rechte Klientel offenbar deutlich attraktiver ist.
2016 folgen weitere Texte über die selbst ernannten Verteidiger des Abendlandes: erst eine Chronik der Gewalt gegenüber Mitarbeiter/-innen von LZ und L-IZ, der vorübergehend ein Verzicht auf Demoberichterstattung folgt, dann mehrere Bescheinigungen, dass sich Legida im Niedergang befindet. Tatsächlich gibt es da eine Gemeinsamkeit zwischen Legida und Leipziger Zeitung: Es begann im Wochentakt und ging bald in einen Monatsrhythmus über.
Doch während die LZ noch mehr als sieben Jahre durchhalten sollte, ist für die völkischen Rassisten im Januar 2017 schon Schluss. „Legida nimmt Platz – in den Geschichtsbüchern“, heißt es hämisch in der Überschrift, in Anspielung auf das stets um Blockaden bemühte Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“. Eben jenes blickt in derselben Ausgabe in einem Interview auf die beiden Jahre mit Legida zurück.
Ich erinnere mich dunkel, dass es während des Interviews Probleme gab. Irgendetwas mit einem Aufnahmegerät, das weniger aufzeichnete, als es sollte. Die Details habe ich mittlerweile vergessen, aber immerhin erinnere ich mich noch, dass es ein bisschen peinlich war.
Eine spannende Zeit
Abgesehen von solch eher unangenehmen Momenten sind die ersten Jahre als hauptberuflicher Journalist eine aufregende und spannende Zeit. Demonstrationen, Besetzungen, Gespräche mit Informant/-innen – fast jede Woche lerne ich von Angesicht zu Angesicht neue Menschen kennen. Das ist für mich nicht selbstverständlich. Normalerweise bin ich eher introvertiert und schüchtern.
Teilweise drückt sich das auch in meiner beruflichen Tätigkeit aus, etwa wenn ich Anfragen zu Podiumsdiskussionen oder Vorträgen ausnahmslos ablehne, aber viel häufiger „zwingt“ mich der Beruf dennoch zu außergewöhnlichen Tätigkeiten. Außergewöhnliche Tätigkeiten wie: Unterhaltungen mit fremden Menschen.
Es sind vor allem diese ersten Jahre, aus denen mir Recherchen und die daraus entstehenden Texte in Erinnerung bleiben werden. Beispielsweise die Berichterstattung über den von Abschiebung bedrohten Schüler Luan. Einige Texte erscheinen in der LZ, andere auf der L-IZ. Einen online veröffentlichten Text teilt Til Schweiger auf seiner Facebook-Seite, verbunden mit dem Statement, dass die geplante Abschiebung ein Skandal sei. An diesem Tag bricht die L-IZ für einige Stunden zusammen.
Beispielsweise aber auch die Berichterstattung über die Vorgänge, die zur zweiten Amtszeit von Unirektorin Beate Schücking führen. Ursprünglich weigerte sich der Hochschulrat, der das Vorschlagsrecht besitzt, Schücking für eine zweite Amtszeit zu nominieren. Es folgten empörte Reaktionen aus vielen Teilen der Hochschule, offene Forderungen nach einer Abschaffung des Hochschulrates – und ein offenbar großes Interesse daran, Journalist/-innen wie mich mit internen Informationen zu versorgen. Mit vielen internen Informationen.
Vier Tage im Juli 2017
Highlight ist und bleibt allerdings die Reise nach Hamburg im Juli 2017. Dort findet das G20-Treffen statt; Zehntausende, vielleicht Hunderttausende protestieren dagegen. Schon am ersten Abend eskaliert es bei der „Welcome to Hell“-Demo. In den beiden Nächten danach folgen stundenlange Straßenschlachten zwischen Linksradikalen und Staatsmacht. Ein Presseausweis ist in diesen Tagen kaum mehr als ein nettes Gimmick.
Irgendwann nachts um 3 renne ich gemeinsam mit anderen Linken vor dem Tränengas der Polizei davon, weil diese zwischen Aktivist/-innen und Journalist/-innen schon längst nicht mehr unterscheidet. Es bleiben bizarre Erinnerungen übrig, etwa die Lagerfeuer-Romantik im brennenden Schanzenviertel oder die polizeilichen Zugriffe vor der Roten Flora, während ich gerade eine Pizzaecke verspeise und nicht weiß, ob ich mich vom Trubel stören lassen soll.
Was ich aber weiß: Dass auch aus Leipzig zahlreiche Aktivist/-innen nach Hamburg gefahren sind. Und ich sehe mit eigenen Augen, dass nicht nur Linksradikale mit brutaler Gewalt vorgehen. Zurück in Leipzig rede ich mit sechs Personen, die behaupten, von Polizeigewalt betroffen zu sein oder diese zumindest beobachtet zu haben.
Über eine Person, die ich Nadine nenne, schreibe ich beispielsweise: „Nach jahrelanger Demoerfahrung denkt sie nun erstmals darüber nach, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen.“
In den ersten Jahren bei der LZ schreibe ich auch viel über die sächsische Asylpolitik, den Verfassungsschutz, die AfD, rechte Verlage auf der Buchmesse sowie Besetzungen und Entmietungen. In den Passage-Kinos soll ein Film gezeigt werden, der Verschwörungsmythen gegen das Impfen verbreitet. Es ist ein Vorgriff auf die Themen, die mich Jahre später intensiv beschäftigen werden: Corona und Querdenker.
Alternativlos
Corona verändert auch meinen journalistischen Alltag. Demos, Gerichtstermine, Pressekonferenzen und vieles mehr, was dazugehörte, gibt es plötzlich nicht mehr. Texte über Maskenpflicht und Ausgangssperre werden massenhaft gelesen – immerhin. Doch als die Maßnahmen im vergangenen Jahr weitgehend verschwinden, merke ich erst, welche Spuren die Krise bei mir hinterlassen hat.
Es fühlt sich an, als ob von den Gruppen und Personen, die vor der Pandemie auf der Straße aktiv waren, nicht mehr viele übrig geblieben sind; auch die dominierenden Themen sind jetzt andere. Vieles, was über Jahre erarbeitet wurde, spielt keine Rolle mehr.
Und auch die Schüchternheit erneut zu überwinden und sich wieder ins Getümmel zu stürzen, fällt nicht leicht. Doch in Anbetracht einer sich verschärfenden Klimakrise, der rassistischen Proteste gegen Geflüchtete und der im kommenden Jahr anstehenden Kommunal- und Landtagswahlen ist es fast alternativlos.
„Zurück ins Getümmel: Was mich in den ersten Jahren bei der LZ beschäftigt hat.“ erschien erstmals am 31. März 2023 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 111 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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