Wir leben – mal wieder – in widersprüchlichen Zeiten. Das war zwar nie anders. Aber manchmal scheint sich der Trubel etwas zu beruhigen, läuft unser Leben in ruhigerem Fahrwasser und der Eindruck entsteht, das könnte jetzt wie geschmiert so weitergehen. Und dann erzählen einem diese Zeitungsleute doch wieder, dass die Welt nicht so funktioniert. Journalist/-innen können ja so gemein sein.
Dabei ist die „Leipziger Zeitung“ noch brav. Ihr Thema ist ja vor allem Leipzig. Das ist so eine kleine Stadt im Osten Deutschlands, wo sich die Leute unheimlich über den Versuch aufregen können, das alljährliche Silvesterfeuerwerk einzudämmen.
Ist Knallen denn kein Menschenrecht? Ein Ausdruck von Freiheit? Dass dahinter ein sehr verkürzter Freiheitsbegriff steckt, macht im großen LZ-Interview der Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek klar. Und auch, dass die Stadtratsinitiativen, diese Knallerei einzuhegen, auch nicht aufhören werden. Denn die Böllerei ist ja auch klima- und gesundheitsschädlich. Und letztlich ein Ausdruck menschlicher Ignoranz.
Die uns auch auf anderen Feldern begegnet, wo Menschen einfach mit ihren schädlichen Handlungen weitermachen, obwohl sie über die schlimmen Folgen ihres Tuns längst wissen. Ist das nun einfach nur selbstzerstörerisch oder – im Sinne des italienischen Wirtschaftsprofessors Carlo Cipolla – dumm?
Cipollas 5 Gesetze der Dummheit
Eine Frage, die man oft gar nicht so einfach beantworten kann. Denn oft streckt hinter dummen Taten auch eine Strategie, eine boshafte und von Machtgelüsten getriebene – wie in Putins Krieg gegen die Ukraine. Das Titelbild der aktuellen LZ widmet sich – ein Jahr nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine – dem Protest gegen dieses Projekt aus der Giftkiste Machiavellis.
Denn ganz offensichtlich gibt es die Menschen, die mühsam und beharrlich aufbauen und Neues schaffen. Und auf der anderen Seite die zerstörerischen, die brutal alles niederwalzen – wenn sie denn können.
Ums Aufbauen geht es ja in Marko Hofmanns Serie zum Schulcampus an der Ihmelsstraße im Leipziger Osten. Die Oberschule ist dort schon eingezogen. Ringsum aber wird noch gebaut, denn das Gymnasium ist ja noch nicht fertig. Wer dranbleiben will, findet die Geschichte auf den Seiten 1 und 9.
Lucas Böhme erzählt dann auf Seite 11, warum die Entscheidung, das Zukunftszentrum nach Halle zu vergeben, erstens eine richtige Entscheidung war und zweitens auch eine für Leipzig positive.
Jens-Uwe Jopp entdeckt mit Andrea Wulfs Buch „Fabelhafte Rebellen“ (Seite 13) die deutschen Romantiker als Entdecker des modernen Selbstbewusstseins – und als Gescheiterte, denn auch den bemerkenswert modernen Ansätzen der frühen Romantiker machte ein Krieg den Garaus – Napoleons Krieg, der dem aufkommenden Nationalismus in Deutschland den Boden bereitete.
Was man ja heute den meisten Leuten erst wieder erzählen muss, weil sie sich damit auch im Schulunterricht nie beschäftigt haben. Krieg und Nationalismus sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Und nichts ist beiden so verhasst wie der freie, selbstbewusste Mensch.
Was dann auf Seite 14 David Gray in seiner Kolumne (hier online) aufgreift, in der er erklärt, warum er das Wischiwaschi-Manifest von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht ganz bestimmt nicht unterschreiben würde. Und warum er sich – da er von „Linken“ darum gebeten wurde, auch nicht als „Linker“ versteht, sondern als Linksliberaler.
Das darf sich, wer das in all seinen Parteikämpfen vergessen hat, durchaus auch mal ins Notizbuch abschreiben. „Wir zählen zu einer aussterbenden Gattung. Linksliberale finden Krieg grundsätzlich Scheiße. Aber noch beschissener finden wir imperialistische Diktatoren und Kriegsverbrechen“, schreibt Gray.
Der Absatz geht noch weiter – für all die Leser/-innen, die ihr Gehirn noch zum Aufmerken, Staunen und Nachdenken benutzen. Und ein bisschen was von Geschichte wissen und von der Tatsache, dass man Diktatoren nicht mit Wattebäuschen und Friedensappellen aufhält. Das beeindruckt die nämlich nicht. Kam München 1938 denn bei all diesen Leuten nie im Geschichtsunterricht vor?
Dass die imperialistische russische Geschichte ihnen nicht bekannt ist, davon kann man wohl ausgehen. Wer kümmert sich schon um die Geschichte und die Mythen anderer Nationen? Wie sehr Russland und insbesondere die russischen Eliten bis heute in ihre eigenen Mythen verstrickt sind, kann man bei Mark Galeotti in „Die kürzeste Geschichte Russlands“ nachlesen.
Ein Buch, das auch zeigt, warum Mythen so gut bei dummen Menschen funktionieren. Denn sie verwandeln reale und komplizierte Geschichte in schöne platte Heldenmärchen. Imperien sind der feuchte Traum von Männern, die es lieben, feuchte Reden zu halten und in Goldpalästen zu residieren, wahlweise auch in gepanzerten Zügen oder Bunkern. Die sich für unersetzlich halten und für würdig, in den Geschichtsbüchern ein richtig fettes Kapitel zu bekommen. Mit Goldrand natürlich.
Aufräumen und wieder aufbauen müssen dann immer andere, die nämlich, die den eitlen Wahn kleiner Männer überlebt haben. Und die natürlich jedes Mal die Hoffnung haben, dass das jetzt nie wieder passiert.
Die neue Leipziger Zeitung (LZ), Ausgabe 110, VÖ 24.02.2023 finden unsere Abonnenten natürlich im Briefkasten vor. Für alle anderen ist die Ausgabe an allen bekannten Verkaufsstellen erhältlich.
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