Wie ist das eigentlich mit der journalistischen Objektivität? Ist journalistische Berichterstattung in Deutschland nicht mehr wirklich objektiv, weil diverse Studien ergeben haben, dass Journalisten sich bei Befragungen eher etwas links der Mitte verorten lassen? Eine Frage, der sich jetzt Prof. Dr. Christian Hoffmann von der Universität Leipzig gewidmet hat, der sich mit dem schönen Thema Media-Bias beschäftigt.

Seine Thesen dazu hat er jetzt als Publikation der Konrad-Adenauer-Stiftung „Einseitigkeit und Perspektivenvielfalt im Journalismus? Media Bias – Ursachen, Wirkung und Herausforderung“ veröffentlicht.

Ein Bias ist dabei ein Begriff aus der Psychologie und bedeutet nichts anderes als kognitive Verzerrung, also eine verschobene Wahrnehmung bzw. Darstellung der Wirklichkeit.

Ein Vorwurf, der insbesondere den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gemacht wird. Und das besonders häufig – wen überrascht das – von der rechten Seite des politischen Spektrums.

Das heißt: Auch die Diskussionsteilnehmer haben ihr eigenes Bias. Das natürlich besonders auf ihre Themen fokussiert ist. Und wenn diese Themen in der Berichterstattung besonders kritisch dargestellt werden, sieht das dann natürlich meist wie eine „linke“ Berichterstattung aus. Verblüffend daher schon Hoffmanns Feststellung: „Tatsächlich zeigen Untersuchungen der Berichterstattung deutscher Medien zu spezifischen Themen wie Kernenergie, Umweltschutz, Gentechnik oder Streiks (…) durchaus einen Einfluss der politischen Einstellungen im Berufsfeld auf die Berichterstattung.“

Warum wollen Menschen Journalismus machen?

Alles andere würde ja überraschen. Die genannten Themen sind nun einmal weder wertfrei, noch sind die jeweiligen Kritiker objektiv unbefangen. Bei jedem Einzelnen geht es um Eigentum, wirtschaftliche Interessen, alte Pfründen und Beharrungsvermögen.

Was als Grundkritik hier dringend erwähnt werden sollte, denn eine politische Orientierung links oder rechts der politischen Mitte bedeutet eben einmal auch eine Wahl zwischen Änderungsbereitschaft und Besitzstandswahrung. Und die viel gerühmte Mitte ist eben ganz und gar nicht neutral.

Und natürlich darf man fragen, warum es Menschen eigentlich in den Journalismus zieht. Und was das für Menschen sind. Eine Frage, die sehr viel mit der Herkunft der Anfänger in den Redaktionen zu tun hat. Denn in der Regel hat man dafür eine Hochschulausbildung und kommt aus einem bildungsbürgerlichen Umfeld.

Hoffmann: „Betrachtet man die Soziodemografie des Berufsfelds, besteht der Journalismus überwiegend aus bildungsbürgerlichen, urbanen, akademisch gebildeten Menschen. David Goodhart (2017) würde sagen: anywheres, also Mitglieder eines kosmopolitisch orientierten linksliberalen Milieus. Fast alle diese Eigenschaften haben in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen.

Die ökonomische Krise des Journalismus macht das Berufsfeld in der Tendenz unattraktiv für ältere (Quer-)Einsteiger, prekäre Beschäftigungsverhältnisse lassen ältere Berufsangehörige eher ausscheiden, etwa durch einen Wechsel in die PR. Das Berufsfeld hat sich zuletzt stark akademisiert. Journalistinnen und Journalisten weisen in der Regel einen geistes- oder sozialwissenschaftlichen Studienabschluss auf.“

Wenn Journalismus aus der Fläche verschwindet

Und dann noch dieser ernüchternde Befund: „Das Absterben des Lokaljournalismus führt zu einer Konzentration des Journalismus in den Metropolen. Die Kritik an den Mächtigen ist eine journalistische Berufsnorm, die große Zustimmung erfährt – etwa ein Drittel empfinden sie als sehr oder gar extrem wichtig (Steindl et al., 2017). Solche Normen, wie die Moral Foundations Theory zeigt (Graham et al., 2009), korrespondieren eher mit einer linken politischen Einstellung – weisen aber durchaus auch eine liberale Komponente auf.“

Das ist also nicht wirklich das konservative Milieu, das da in den Journalismus drängt. Kinder aus konservativen Familien studieren viel lieber Berufe, die richtig gute Einkommen, Einfluss und Macht versprechen – Jura oder Betriebswirtschaft zum Beispiel.

„Wie beschrieben, ist die politische Komposition des Berufsfelds als soziologisches Phänomen zu begreifen, auf das zahlreiche Einflussfaktoren einwirken. Redaktionen haben Schwierigkeiten, konservative oder klassisch-liberal orientierte Journalistinnen und Journalisten einzustellen, weil von diesen wenige auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind“, schreibt Hoffmann.

„Sie richten ihren Blick daher auf Journalistenschulen und Universitäten. Doch diese rekrutieren meist nicht gezielt Bewerberinnen und Bewerber, sie sind ihrerseits der Selbstselektion der am Berufsfeld Interessierten ausgesetzt. Perspektivenvielfalt in Redaktionen ist somit ein anspruchsvolles Projekt, das bisher noch wenig verstanden wird. Auch hier tut sich somit eine Forschungslücke auf – in dem an Forschungslücken reichen Feld der Media-Biasforschung.“

Wobei man fragen kann, ob es tatsächlich an Perspektivenvielfalt fehlt in den Redaktionen. Oder ob das nur der Eindruck von konservativer Seite ist, die ihre Positionen nicht oft genug dargestellt sieht, sich aber medialer Kritik stellen muss. Kritik am zumeist Bestehenden und Herrschenden.

Liberal = links?

Als wenn die offenkundig dominierenden liberalen Positionen (gern überinterpretiert als „linke“ Positionen) in den Medien nicht genau das sind, was Journalismus erst zur vierten Gewalt macht: zur kritischen Berichterstattung für eine ganz und gar nicht perfekte Realität.

Geht es hier also tatsächlich um Ideologie? Oder nur um kritische Grundhaltung, die das real Existierende immer auch am Wünschenswerten misst?

Oder wollen die Mediennutzer tatsächlich die ganze Zeit gebauchmiezelt werden?

Das klingt so, wenn Hoffmann rekapituliert: „Insbesondere Befragungen aus den USA zeigen markante Unterschiede im Medienvertrauen zwischen politisch links oder rechts verorteten Bürgern. Nach einer Gallup-Umfrage (Brenan, 2021) vertrauen 68 Prozent der den Demokraten nahestehenden Bürger den Medien, aber nur 11 Prozent der den Republikanern nahestehenden. Eurobarometer-Daten zeigen, dass auch in Deutschland eher rechts der politischen Mitte stehende Befragte ein deutlich geringeres Vertrauen in ‚die Presse‘ aufweisen als eher linksstehende (Otto & Köhler, 2016).

Dabei ist wichtig zu bedenken, dass das Vertrauen in Medien in einem positiven Zusammenhang steht mit ihrer wahrgenommenen ideologischen Nähe. Wenn also politisch Rechtsstehende ein tiefes Vertrauen in ‚die Presse‘ aufweisen, ist dies ein Indikator dafür, dass sie ‚die Presse‘ als politisch dissonant wahrnehmen. Umgekehrt spricht ein höheres Vertrauen links der politischen Mitte für eine höhere wahrgenommene politische Konsonanz der medialen Inhalte.

Differenziertere Analysen, etwa des Instituts für Demoskopie Allensbach, zeigen, dass die Unzufriedenheit des Publikums mit der medialen Berichterstattung stark auf jene Anliegen fokussiert ist, die eher rechtskonservativ orientierten Bürgern am Herzen liegen, wie Migration, Euro-Rettung oder Brexit (Köcher, 2017). Gemäß der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen ist auch das Vertrauen in die Berichterstattung zur AfD in Deutschland schwach ausgeprägt (Schultz et al., 2020). Medienzynismus ist gemäß der Analyse auf der politischen Rechten stärker verbreitet als der politischen Linken.“

Ein erstaunlicher Befund.

Der eigentlich nicht erstaunlich ist. Denn von nirgendwoher schallt das Lied von der „Mainstream-Presse“ so laut wie vom rechten äußeren Rand. Wo man dann gern eigene Medien gründet, die es dann aber mit objektiver und unparteiischer Berichterstattung ganz und gar nicht genau nehmen.

Polarisierung und Medienblasen

Oder zurückhaltender, mit Hoffmanns Worten: „Eher als auf der Ebene der Medienorganisationen lässt sich auf der Makroebene ein Argument entwickeln, wonach es für ein Medien- und politisches System problematisch sein kann, wenn ein erheblicher Teil des politischen Spektrums sich im professionellen Journalismus nicht repräsentiert sieht. Das Florieren häufig rechts zu verortender ‚alternativer Medien‘ im Netz, die allzu oft von fraglicher Qualität sind, die daraus resultierende Verbreitung politisch einschlägiger Desinformation und schließlich eine ebenso affektive wie epistemologische Polarisierung der Öffentlichkeit stellen Herausforderungen demokratischer Gesellschaften dar – die nicht unabhängig vom massenmedialen Angebot verstanden werden können.“

Und zu diesem Angebot gehören eben längst zahlreiche „alternative Medien“, auf denen sich dann das rechte bis rechtsextreme Spektrum in der eigenen Medienblase sammelt. Und wer aus dieser Medienwelt dann in die Berichterstattung von ARD und ZDF umschaltet, der kommt sich natürlich vor, als wäre er jetzt unter lauter „Linke“ geraten.

Gerade die Befeuerung rechter Medien in den „social media“ verstärkt das Wahrnehmungs-Bias der Menschen, die sich dort bestens informiert glauben. Da ist der Vorwurf, Journalisten in den klassischen Medien seien eher links, dann auch ein politisches Argument. Auch eine Abqualifizierung.

Was bedeutet Perspektivenvielfalt?

Dass das völlig das Thema der Ausgewogenheit verfehlt, wird deutlich, wenn Hoffmann auf die Herstellung von Ausgewogenheit in den Redaktionen eingeht. Denn dort fehlen eigentlich keine „rechten“ Journalisten und Journalistinnen.

„Perspektivenvielfalt im journalistischen Produkt lässt sich punktuell tatsächlich relativ einfach herstellen – durch Interviews, Gastbeiträge oder Kolumnen. Deutlich anspruchsvoller und bedeutsamer ist dagegen, Perspektivenvielfalt in den Redaktionen mit Leben zu füllen“, schreibt Hoffmann.

„Ermutigend wirken hier aktuelle Initiativen, die sich für eine angemessene Repräsentation von Frauen oder Personen mit Migrationshintergrund in Redaktionen einsetzen. Dies allein garantiert jedoch keine politische Perspektivenvielfalt. Menschen unterschiedlicher Geschlechter, Hautfarben und sexueller Identitäten können ein und demselben Milieu entstammen und identische Weltanschauungen aufweisen.“

Ja, können sie. Und tun sie auch meistens. Weshalb es deutlich mehr Journalistinnen und Journalisten bräuchte, mit einer Herkunft aus der unteren Mittelklasse und der Unterschicht, da, wo man als Jugendlicher erfährt, wie es wirklich ist, wenn man sich in einer Ellenbogengesellschaft durchschlagen muss. Die fehlen nämlich. Und die hätten tatsächlich eine andere Perspektive einzubringen als die in der Regel gut Etablierten mit wohlhabenden Elternhäusern im Hintergrund.

Weshalb die großen Medien in Wirklichkeit ein völlig anderes Media-Bias aufweisen, als in der Regel diskutiert wird: Dies meint ein Bias der falschen Vorstellungen über Reichtum und Armut, Besitzstandswahrung, Luxus, Wohlstand und prekäre Lebensverhältnisse. Das aber interessiert ja bekanntlich „rechte“ Politiker nicht die Bohne. Aber gerade das Fehlen dieser Perspektiven sorgt auch für die empfundene Kluft zwischen Berichterstattung und einem Publikum, das sich eben eher nicht dem wohlhabenden Bildungsbürgertum zurechnet.

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