„Die ARD steckt in einer schweren Krise“, schrieb der „Spiegel“ am 7. Januar zu einem Interview mit ARD-Chef Kai Gniffke. Und „Zeit online“ schrieb am 5. Januar: „Die ‚Tagesschau‘ ist eine sehr schlechte Sendung, deshalb muss sie viel länger dauern.“ Beides hat miteinander zu tun. Und mit einer Studie, die der ARD-Forschungsdienst gerade veröffentlicht hat. Zu: „Nutzererfahrungen mit konstruktivem Journalismus”. Gibt es auch einen anderen Journalismus? Ja.

Nämlich den, den nicht nur die öffentlich-rechtlichen Sender Tag für Tag präsentieren. Den, der die Menschen mit zumeist alarmierenden Nachrichtenschnipseln aus aller Welt konfrontiert. Und damit natürlich auch Emotionen auslöst – negative Emotionen. Destruktive. Und das nur, weil das so gut funktioniert. Denn darauf ist der Mensch geeicht: auf Alarmsignale. Wenn alles gut ist, schaltet er ab, geht zu seinen täglichen Verrichtungen über und freut sich des Lebens.

Aber wenn aus dem Apparat in der Schrankwand ständig beängstigende Bilder und Meldungen kommen, dann kann er nicht mehr herunterdimmen. Dann bleibt der Adrenalin-Spiegel oben. Denn Gefahr bedeutet: Jetzt musst du aufpassen. Irgendetwas Gefährliches bahnt sich an.

Wenn aber schon alle Medien ringsum ständig auf die Alarmtube drücken, weil man damit permanent Aufmerksamkeit und Klicks erzielt, welche Rolle spielen dann noch ARD und ZDF, wenn sie es genauso machen? Eine Frage, die natürlich in den beiden Artikeln von „Spiegel“ und „Zeit“ steckt. Wären die Öffentlich-Rechtlichen nicht geradezu verpflichtet, stattdessen konstruktiven Journalismus abzuliefern?

Empowerment und Co-Kreation

„Konstruktiver Journalismus unterscheidet sich vom traditionellen Journalismus dadurch, dass Nachrichten nicht nur mit negativer und konfliktbasierter Konnotation präsentiert, sondern konstruktive Auswege aufgezeigt werden“, beschreibt der ARD-Forschungsdienst diesen Ansatz. „Er zeichnet sich durch spezifische Elemente in der Berichterstattung aus: Lösungs- und Zukunftsorientierung, Diversität, Empowerment, Kontextorientierung und Co-Kreation.“

Die Co-Kreation steht da nicht ganz zufällig, denn Menschen gehen anders mit Nachrichten um, wenn sie dabei das Gefühl haben, hilfreiche Informationen zu bekommen, die ihnen aktive Teilhabe ermöglichen. Denn – zumindest für die Demokratie gilt das: Unsere Gesellschaft entsteht durch das Mitwirken ihrer Mitglieder. Und durch das Gefühl, tatsächlich gefragt zu sein und nicht einfach durch die Polizei vom Feld geräumt zu werden.

„Auch strukturelle und Kontextbedingungen, wie etwa die wahrgenommene oder tatsächliche Pressefreiheit und Unabhängigkeit des Journalismus, nehmen Einfluss darauf, wie sehr die Rezipientinnen und Rezipienten solche Inhalte als hilfreich bewerten und sich in der Folge möglicherweise gesellschaftlich engagieren“, formuliert es der ARD-Forschungsdienst.

„Dies gelingt, wenn das Publikum sich als Teil einer (globalen) Gemeinschaft wahrnimmt und in der Folge eher bereit ist, gemeinschaftliche Interessen zu verfolgen.“

Belehren statt einzuordnen

„Positive und unterstützende, Lösungen aufzeigende und stärkende Nachrichtenberichterstattung im Sinne eines konstruktiven Journalismus sind demgegenüber für die Rezipienten angenehmer, könnten aber diese wichtige Funktion schlechter oder nicht mehr erfüllen“, merkt die Studie an.

„Ob dies tatsächlich zutrifft, untersuchten die Autorinnen und Autoren im Rahmen eines Onlineexperiments. 829 Personen (Durchschnittsalter: 43 Jahre) in Österreich rezipierten einen Nachrichtenbeitrag über die COVID-19-Pandemie oder die Klimakrise, die man entweder als unterstützendes/positives Narrativ oder als negatives Narrativ präsentierte. Ersteres verwendete im Sinne eines konstruktiven Journalismus eher positive Begriffe, beschrieb Lösungsansätze und machte Vorschläge, wie man mit der Krise umgehen kann.“

Ergebnis: Die Rezipienten reagierten positiver auf das unterstützende Narrativ, das sie nicht mit der alarmistischen Meldung allein ließ, sondern das Thema einordnete und Handlungsmöglichkeiten aufzeigte.

Seltsam. Als hätte man nicht schon aus der Pädagogik gewusst.

Aber augenscheinlich lieben die meisten Senderchefs Schwarze Pädagogik. Noch immer. Was wohl ein Grund ist, warum die ARD derart tief in der Krise steckt.

„Laut der Studie kann die Tatsache, dass stärkende Nachrichten-Narrative deutlich mehr positive Emotionen bei den Rezipienten auslösen, als ‚traditionelle‘ Nachrichten mit negativem Tenor zur Resilienz der Rezipienten beitragen. Auch dass sie diese Art des Journalismus besser finden, sollte Anlass sein, über eine ausgewogenere Mischung aus konstruktiver und traditioneller Berichterstattung nachzudenken, um die emotionale Belastung der Nutzer stärker auszubalancieren.“

Die Rolle der negativity bias

Und warum machen es dann die Nachrichtenmacher nicht einfach? Sie wissen doch um die – negativen – Folgen permanenter Alarm-Berichterstattung.

In der Studie selbst heißt es dazu: „Der Grund dafür, dass Nachrichten häufig negativ gefärbt sind, liegt zum einen an traditionellen Nachrichtenwerten, das heißt, es gibt eine generelle Tendenz, eher negative gegenüber positiven Nachrichten auszuwählen (negativity bias). Zum anderen wird angenommen, dass Nutzer negativen Informationen mehr Aufmerksamkeit schenken als positiven Informationen. Sie sind zwar belastender für die Rezipientinnen und Rezipienten, erfüllen aber gleichzeitig eine Art Kontrollfunktion (i.S.v. was könnte bedrohlich werden und erfordert eventuell Gegenmaßnahmen?).“

So verstehen sich auch die meisten Nachrichtenmacher: als permanente Warner. Journalismus als Alarmsirene der Demokratie.

Dumm nur, dass der Mensch zunehmend depressiv, gereizt und überfordert wird, wenn ihm kaum noch etwas anderes serviert wird als lauter schlimme und gewaltvolle Meldungen.

Das könnte man auch die Primitiv-Variante des Journalismus nennen. Eine nach dem Motto: Wir zeigen euch, wie schrecklich alles ist. Aber was ihr draus macht, ist eure Sache.

Aber das funktioniert nicht. Denn die geballte Dauerberieselung mit schlechten Nachrichten macht Menschen krank. Und bringt sie auch zum Ausschalten.

Ob das in den Chefetagen auch verstanden wird?

Nur Probleme, oder auch Lösungen?

Denn dazu gehört ja auch ein patriarchalisches Denken, das die Zuschauer noch immer als Konsumenten betrachtet. Nicht als Partner, die ja auch deshalb die Nachrichtensendung anschauen, um Anregungen für das eigene Handeln zu bekommen – zum Beispiel in Zeiten von Pandemien oder steigenden Energiepreisen.

„In einer weiteren Studie wurde gezeigt, dass das Nachrichtenthema ebenfalls eine signifikante Rolle dabei spielt, wie ausgeprägt der positive Einfluss von lösungs- versus problemorientierten Fotos auf das Interesse an der Thematik, die wahrgenommene Selbstwirksamkeit und die Bereitschaft, sich zu engagieren, war“, stellt der ARD-Forschungsdienst fest.

„Außerdem ergab ein Experiment, dass die Stimmung nach der Nachrichtenrezeption und die Bereitschaft, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen, auch von der Kongruenz bzw. Nicht-Kongruenz von Text und Bild im Hinblick auf deren Lösungsorientierung abhängig war.“

Am Ende geht es auch – wie die Forscher betonen – um Resilienz, also auch um das Gefühl, von den Nachrichten nicht überwältigt zu werden, sondern damit umgehen und sie einordnen zu können, sodass sie Orientierung ermöglichen und nicht das lähmende Gefühl hinterlassen, bei all diesen Negativnachrichten gar nichts mehr machen zu können.

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