Die Inflation trifft auch Journalistinnen und Journalisten. Und besonders hart jene, die nicht festangestellt sind und sich als Freischaffende bei großen Medienhäusern verdingen müssen. Viele dieser Medienhäuser haben in den vergangenen Jahren ihre Sparmaßnahmen sowieso schon auf dem Rücken der Freien ausgetragen. Doch der Freischreiber e. V., der Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten, will das nicht mehr hinnehmen: „Erhöhen Sie endlich unsere Honorare!“, fordert er.
Mit einem Offenen Brief unter diesem Titel wendet sich der Freischreiber-Verband an Redaktionen, Verlage und Medienhäuser.
„Wir sind wütend. Und wir haben die Ausreden satt. Dass für uns freie Journalist:innen und unsere Arbeit kein Geld da ist. Dass wir für ’n Appel und ’n Ei Qualitätsjournalismus abliefern sollen“, schreiben sie.
Und betonen: „Uns selbstständige Journalist/-innen trifft die aktuelle Hochinflation besonders hart. Zugleich zahlen Verlage für freie Mitarbeit seit Langem dieselben Sätze. De facto sanken unsere Einnahmen in den letzten Jahren also stetig. Das zeigt eine Geringschätzung unserer Arbeit, die wir scharf kritisieren. Wir Freischreiber schicken Ihnen deshalb heute, am 15. November 2022, einen offenen Brief. Wir fordern Wertschätzung in Form fairer Honoraren!“
Gegründet wurde der Freischreiber-Verband 2008. Nicht ganz zufällig in diesem Jahr, das mit dem Beginn der Finanzkrise zusammenfällt. Denn in diesem Jahr wurde das große Sparen in deutschen Redaktionen überall spürbar.
Ein Sparen, das direkte Folge der seit 2002 einsetzenden Medienkrise war, die außerhalb der Medienbranche augenscheinlich die meisten Menschen vergessen haben. „Die Gründung fällt in eine Zeit, in der freie Journalisten zudem für Redaktionen wichtiger werden: Sie übernehmen immer mehr Aufgaben, da Verlage und Sender zunehmend Personal entlassen“, schreibt Wikipedia.
Von disruptiven Plattformen an die Wand gedrückt
Ausgelöst wurde die Medienkrise durch das Aufkommen der neuen Digitalplattformen, die nicht nur Milliarden Nutzer dazu brachten, ihre Informationsgewohnheiten radikal umzustellen und ihren „Medienkonsum“ in die „social media“ zu verlagern.
Da sich die Plattformbetreiber von Facebook bis Twitter von Anfang an weigerten, sich wie Herausgeber behandeln zu lassen, hebelten sie nicht nur die Arbeitsgrundlage klassischer Medien aus, sie zerstörten im Grunde den kompletten Markt, auf dem Medien bis dahin funktionierten.
Denn in der Folge brachen die Auflagen der meisten Zeitungen und Zeitschriften regelrecht zusammen. Und gleichzeitig wanderte der Großteil der Werbeerlöse ab – von klassischen Zeitungen hin zu Facebook &. Co.
Denn wo Zeitungen bis dahin vor allem ein seriöses Umfeld für geschaltete Werbung boten, das mit der täglichen Zeitung in hunderttausende Haushalte verteilt wurde, verkauften die neuen Plattformen vor allem Aufmerksamkeit.
Eine heißbegehrte Ware für Anzeigenkunden. Denn wer direkt da mit seiner Werbung sichtbar ist, wo die Leute sowieso schon unterwegs sind und twittern und kommentieren, der braucht dann kein klassisches Trägermedium mehr. Mit der entfesselten Datenhamsterei kann die Werbung dann auch noch personalisiert werden. Der Werbekunde wird gläsern und manipulierbar.
Disruption nennt man das: die Zerstörung eines vorher gut funktionierenden Marktsegments durch neue Plattformen, denen die Seriosität von Informationen jedenfalls in den ersten Jahren völlig egal war. Die gesellschaftlichen Folgen dieser Desinformationswelle kann man überall beobachten.
Sinkende Auflagen, ausgedünnte Redaktionen
Eigentlich ein Vorgang, in dem in den Redaktionen mehr kompetente Kollegen vonnöten gewesen wären, um gegenzusteuern und mehr gut recherchierte Beiträge zu liefern. Aber die Disruption des Medienmarktes hatte ja tatsächlich zur Folge, dass viele Redaktionen ausgedünnt wurden, Zeitungen ebenfalls dünner wurden und auch die Budgets für freie Autorinnen und Autoren schrumpften.
„Verlage müssen jetzt Verantwortung für uns freie Mitarbeiter/-innen übernehmen“, heißt es im Offenen Brief der Freischreiber.
„Schließlich profitieren Redaktionen seit Jahren von unserer Arbeit. Ein großer Teil der journalistischen Produkte könnte nicht ohne die Mitarbeit freier Journalist/-innen entstehen. Wenn Verlage in der Krise nur die Teuerung des Papiers und der Energiepreise in Kauf nehmen, sparen sie ihre wichtigste Ressource tot: die freien Mitarbeiter/-innen, die ihre mitunter preisgekrönten journalistischen Beiträge initiieren, recherchieren und verfassen.
Wir fordern Sie auf:
Erhöhen Sie Honorare für freie Mitarbeiter:innen unverzüglich um mindestens 15 Prozent. Denn die Anhebung muss sowohl die aktuell hohen Inflationsraten abfangen als auch versäumte Honorarerhöhungen vergangener Jahre nachholen.
Erhöhen Sie Honorare auch künftig regelmäßig, und zwar in Relation zur Inflationsrate und zu den Tarifrunden der festen Mitarbeiter/-innen.“
Warum Populisten die „Mainstream-Medien“ angreifen
Womit natürlich die Frage im Raum steht, wie journalistische Arbeit künftig überhaupt noch bezahlt werden soll. Denn die erwähnten Preissteigerungen bei Papier und Energie sorgen ja auch dafür, dass das verfügbare Budget der Verlage weiter schrumpft und tatsächlich sogar weniger Geld für journalistische Arbeit zur Verfügung steht.
Was ja im Grunde die dritte Disruption ist, die die riesigen Plattform-Konzerne zustande gebracht haben: Sie entziehen der sogenannten Vierten Gewalt die finanzielle Grundlage, sodass tatsächlich weniger recherchiert und berichtet wird und viele einst schlagkräftige Tageszeitungen zu simplen Mantelausgaben geworden sind, ganze Medienhäuser zusammengelegt wurden und gerade regionale Berichterstattung regelrecht ausgedünnt wurde.
Während die riesigen Plattformen der Verbreitung von Fakenews, Lügen, Hass und Verschwörung nicht nur Platz eingeräumt haben, sondern diese auch noch mit ihren Algorithmen befeuert haben, denn sie lösen allesamt heftige Emotionen aus. Und heftige Emotionen bedeuten Aufmerksamkeit und Werbeumsätze.
Während viele Nutzer dieser Plattformen nicht einmal mehr unterscheiden können, welche Quellen überhaupt noch seriös sind und was stimmt und was nicht. Während gerade rechtsradikale und populistische Parteien dort regelrechte Kampagnen gegen die „Mainstream Medien“ fahren.
Denn sie wissen genau, dass unabhängige journalistische Medien für eine Demokratie überlebenswichtig sind. Und dass man gerade damit, dass man diese Medien attackiert, die Seele der Demokratie unter Feuer nimmt.
Die freien Autorinnen und Autoren sitzen da zwischen allen Fronten, wenn ihre Arbeit von den klassischen Medienhäusern immer schlechter honoriert wird oder die Aufträge gleich ganz ausbleiben.
Im Grunde geht der Offene Brief an die demokratische Gesellschaft. Denn ohne die Arbeit auch der frei schaffenden Journalistinnen und Journalisten wird sie Vieles nicht mehr erfahren, was aber zur Selbstverständigung in einer demokratischen Gesellschaft unerlässlich ist.
Es geht nicht nur darum, dass sich eine demokratische Gesellschaft Gedanken darüber macht, was ihr unabhängige journalistische Berichterstattung tatsächlich wert ist. Sondern auch darüber, wie wehrlos sie sich macht, wenn sie den Verlust journalistische Medienvielfalt billigend in Kauf nimmt.
Eine Vielfalt, die eben auch von der Unabhängigkeit freier Autorinnen und Autoren lebt, die nicht in den strengen redaktionellen Tagesablauf eingebunden sind, sondern in Eigenregie ihre Themen und Geschichten recherchieren. Denn gerade solche Geschichten brauchen oft viel mehr Zeit, Geduld und Mühe als die täglich reportierten Nachrichten.
Aber wer bezahlt das, wenn die Budgets für die Freien entweder eingefroren sind oder weiter schrumpfen? Und die meisten Mediennutzer der felsenfesten Überzeugung sind, dass Journalismus eigentlich nichts kostet?
Keine Kommentare bisher