Am Dienstag, 3. Mai, veröffentlichte „Reporter ohne Grenzen“ seine neue „Rangliste der Pressefreiheit“ für das Jahr 2021. Es ist ja kein Zufall, dass Meinungsfreiheit und Pressefreiheit im Grundgesetz Artikel 5 in einem Absatz genannt werden. Das eine ist nicht ohne das andere zu haben. Und wenn das eine angegriffen wird, geht es immer auch um das andere. Das ist längst auch ein sächsisches Thema.
Im Artikel 5 des Grundgesetzes steht dazu zu lesen: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
Eigentlich eine logische Folge: Ohne eine gut recherchierte Datenbasis kann man sich keine fundierte Meinung bilden. Mit Betonung auf fundiert, denn irgendeine Meinung hat jeder. Doch darüber lässt sich nicht diskutieren. Das ergibt keine Gesprächsbasis in einer Gesellschaft. Die entsteht erst, wenn die Beteiligten am Gespräch die wichtigsten Fakten und Zusammenhänge kennen. Und zwar nicht aus „diversen“ Quellen, wie es so schön heißt.
Denn zum Wissen gehört immer auch, dass die Quelle verifizierbar ist und das Medium transparent arbeitet. Dazu gehört nun aber auch, dass Journalistinnen und Journalisten mit offenem Visier arbeiten, sich auch auf Demonstrationen als solche zeigen, ihre Rundfunkbeiträge und Artikel mit Namen kennzeichnen.
Zunehmende Gewalt gegen Reporter
Doch genau das macht sie bei Feinden der Meinungsfreiheit auch zur Zielscheibe. Seit einigen Jahren in Deutschland vermehrt, wie auch „Reporter ohne Grenzen“ feststellt: „Die Lage in Deutschland (Rang 16 von 180) hat sich 2021 um drei Plätze (Vorjahr: Rang 13) leicht verschlechtert. Für diese Entwicklung sind drei Gründe zentral: eine Gesetzgebung, die Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Quellen gefährdet, abnehmende Medienvielfalt sowie allen voran Gewalt bei Demonstrationen.
Die Zahl der gewaltsamen Angriffe lag mit 80 von RSF verifizierten Fällen so hoch wie noch nie seit Beginn der Dokumentation im Jahr 2013. Bereits im Vorjahr war mit 65 Fällen ein Negativrekord erreicht worden. Die meisten der Angriffe (52 von 80) ereigneten sich bei Protesten des ‚Querdenken‘-Spektrums gegen Corona-Maßnahmen, an denen regelmäßig gewaltbereite Neonazis und extrem rechte Gruppen teilnahmen. Medienschaffende wurden bespuckt, getreten, bewusstlos geschlagen. Betroffene klagten häufig über mangelnde Unterstützung durch die Polizei. Zudem wurden 12 Angriffe der Polizei auf die Presse dokumentiert.“
Die Lage in Sachsen
Einen erheblichen Teil der Zahlen liefert das Bundesland Sachsen. Hier begann es mit Angriffen auf Reporter und Fernsehteams im Umfeld der „Pegida“-Demonstrationen in Dresden und hat sich mit dem Aufkommen der „Querdenker“-Bewegung weiter zugespitzt. Und das oft mit fatal hilflos oder gleichgültig agierender Polizei, die sich in einigen Fällen nicht in der Lage sah, die Reporter gegen Übergriffe aus den Demonstrationen zu verteidigen.
Ein Umstand, der das European Centre for Press and Media Freedom in Leipzig 2020 dazu veranlasste, einen „Pressefreiheitskodex für die Polizei“ herauszugeben.
Im selben Jahr veröffentlichte auch der Presserat „Verhaltensgrundsätze für Medien und Polizei zur Vermeidung von Behinderungen bei der Durchführung polizeilicher Aufgaben und der freien Ausübung der Berichterstattung“. Anlass dafür waren die vermehrten gewalttätigen Übergriffe, insbesondere bei Demonstrationen in Sachsen.
Die Linksfraktion im Sächsischen Landtag stellte dazu extra eine Große Anfrage an die Staatsregierung, mit der sie die Zahlen dieser Übergriffe erfahren wollte.
In der Antwort des Sächsischen Innenministeriums wurde dann auch deutlich, dass es vor dem Jahr 2015 gar keine Berichterstattung zu dem Thema gegeben hatte. Was auch damit zu tun hat, dass es derart viele gewalttätige Übergriffe auf Reporter so auch in Sachsen zuvor nicht gegeben hat.
Das Ministerium kann sogar ganz genau das Jahr benennen, als das Problem tatsächlich sichtbar wurde: „Eine Datenbankrecherche nach politisch motivierten Straftaten gegen Medien (z. B. journalistisch tätige Personen, Presse, Rundfunk, Fernsehen) im Jahr 2015 ist nicht möglich, da entsprechende Erfassungs- und Abfragewerte erst im Jahr 2016 eingeführt wurden. Zwar wurden auch vor dem 1. Januar 2016 Straftaten aus einer politischen Motivation gegen Medien gemeldet und registriert, die automatisierte trennscharfe Abbildung von politisch motivierten Straftaten gegen Medien ist jedoch erst seit diesem Zeitpunkt möglich.“
2015 – das ist das Jahr, als „Pegida“ und seine Ableger immer mehr Zulauf bekamen und in etlichen sächsischen Kleinstädten mit teilweise aggressiven Protesten gegen Flüchtlingsunterkünfte für deutschlandweite Schlagzeilen sorgten.
„Ausweislich jährlicher Sondererhebungen des LKA Sachsen auf der Grundlage des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) sind im Zeitraum 2016 bis 2020 insgesamt 86 derartige Straftaten registriert worden“, fasst das Ministerium die Zahlen zusammen.
Die Tabelle zeigt dann deutlich den Anstieg der Übergriffe auf 29 im Jahr 2020 und auch den anteiligen Anstieg von Gewalttaten auf 10. Inzwischen liegen auch Zahlen für das Jahr 2021 vor. Und 2021 ist das Niveau nicht wirklich gesunken. In diesem Jahr registrierte die sächsische Polizei 27 Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten, davon sieben mit Körperverletzung.
Wenn unabhängige Berichterstattung die Selbstdarstellung stört
Gerade die „Querdenker“-Demonstrationen haben dabei zusehends für mehr Aggressivität und zahlreiche Übergriffe auf die berichtenden Reporter gesorgt. Dass die Zahlen 2021 leicht zurückgingen, kann auch damit zu tun haben, dass die Sächsische Polizei die Kritik tatsächlich ernst genommen hat und Einsatzleiter inzwischen besser schult.
Dennoch sind die Zahlen hoch geblieben. Und die meisten Straftaten – etwa verbale Bedrohungen und Beleidigungen aus Demonstrationen heraus – werden auch selten angezeigt. Das ist ja auch nicht die Art von Journalist/-innen, die berichten: Sie dokumentieren, was sie sehen und hören und schaffen damit Öffentlichkeit.
Und gerade deshalb werden sie angegriffen. Denn natürlich stört ihre Berichterstattung das Bild, das viele der Demonstrierenden von sich selbst haben und haben wollen.
Die anderen beiden Punkte, die „Reporter ohne Grenzen“ anführt, müssen wir extra beleuchten. Das ist die Gesetzgebung in Deutschland, die zunehmend Quellenschutz erschwert, und – noch viel einschneidender – die abnehmende Medienvielfalt. Was „Reporter ohne Grenzen“ damit benennt, ist ein zunehmender Druck auf eine nicht ganz unwichtige Säule der Demokratie. Es gibt Grund zur Besorgnis. Auf die leichte Schulter nehmen sollte man das nicht.
Vom 3. bis 10. Mai 2022 findet die „Woche der Meinungsfreiheit“ zum zweiten Mal überhaupt statt. In verschiedenen Artikeln und Beiträgen wird sich die Leipziger Zeitung mit den verschiedenen Aspekten von „Meinung und Freiheit“, persönlichen Sichtweisen unserer Journalistinnen und Einblicken in die eigene Arbeit befassen.
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