Vom 3. bis 10. Mai 2022 wird es sie wieder geben, die „Woche der Meinungsfreiheit“. Als eine gemeinsame Aktion großer Buch- und Zeitungsverlage wie dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels, aber auch unzähliger Buchläden, bis hin zu „Reporter ohne Grenzen“ und „Amnesty International“ eine breit angelegte Initiative, die mit der Freiheit, sich frei zu informieren, sich eine Meinung zu bilden und diese zu äußern scheinbar Selbstverständliches in den Fokus rückt.
Wie sehr etwas heute Selbstverständliches anderen Ortes fehlen kann, wissen längst nicht nur ehemalige DDR-Bürger ohne Erinnerungsschwäche, sondern auch und gerade Menschen, die in Russland mit dem Kriegskurs der Regierung Putin nicht konform gehen oder sich in autokratischen Gesellschaften regierungskritisch äußern. Eigentlich immer gehörten und gehören das geduckte Flüstern, der nicht gesprochene Satz, das nicht gemalte Demoschild zu den Eigenarten diktatorischer Zeiten.
Mit der Ausgabe 101 (VÖ 29.04.) hat die Leipziger Zeitung mit ersten Beispielen begonnen, sich mit den verschiedenen Aspekten, persönlichen Sichtweisen unserer Journalistinnen und Einblicken in die eigene Arbeit zu befassen. Und ab 3. Mai geht’s online auf L-IZ.de weiter.
Hier der Beitrag von René Loch:
Meinung & Freiheit: Objektivität im Journalismus
Wer regelmäßig über Demonstrationen und andere Aktivitäten von Rechten berichtet, sieht sich immer wieder mit der Frage konfrontiert, wie „objektiv“ Journalismus sein soll. Oder sein kann. Oder sein darf. Was genau diese Objektivität eigentlich bedeutet, hängt sehr vom Blickwinkel ab.
Was ich häufig erlebe: Nach einem kritischen Bericht über die AfD oder eine Kundgebung von „Querdenkern“, bei der sich niemand über NS-Verharmlosungen, antisemitische Codes und Reichsbürgerfahnen stört, hagelt es den Vorwurf, nicht „objektiv“ zu berichten. Objektiv wäre im Sinne der erzürnten Leser/-innen in diesen Fällen offenbar, zu verschweigen, dass es NS-Verharmlosungen, antisemitische Codes und Reichsbürgerfahnen gegeben hat.
Objektiv wäre, ohne Einordnung zu wiederholen, was Redner/-innen behaupten: Dass wir beispielsweise in einer ähnlich schlimmen Diktatur wie unter den Nationalsozialisten leben und die „Querdenker“ von heute die Juden von damals sind.
Aber diese geistigen Ausfälle einzuordnen, ist der Kern von Journalismus. Wir verfügen im Idealfall über das nötige Fachwissen oder die nötigen Erfahrungen, um Behauptungen, die an der Realität vorbeizielen, einen faktischen Rahmen zu geben. Unsere eigenen politischen Überzeugungen spielen bei diesem Anspruch eigentlich gar keine Rolle. „Sagen, was ist“, um es mit dem Leitbild eines großen Nachrichtenmagazins auszudrücken.
Dass wir zu solchen Einordnungen und Korrekturen bei rechten Veranstaltungen viel häufiger gezwungen sind als bei anderen, hat offenbar einen simplen Grund: Es gehört zum Kern rechter Ideologie, zu lügen, zu manipulieren und rücksichtslos die Geschichte umzuschreiben.
Man kann sich aber auch noch eine ganz andere Frage stellen: Will man als Journalist bei Veranstaltungen dieser Art überhaupt „objektiv“ bleiben? Will man es als eine Veranstaltung wie jede andere betrachten, wenn Teilnehmer/-innen das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte relativieren – in welcher Form auch immer.
Ich meine: Nein. Journalist/-innen sind Aktivist/-innen im Sinne der Menschenrechte und als solche ist eine klare Haltung angemessen: Wer mich als Journalist bei einer „Querdenken“-Demo antrifft, darf von mir erwarten, dass ich ausgewogen berichte, das Geschehen nicht verzerrt darstelle und stets bei der Wahrheit bleibe. Nicht erwarten darf man hingegen, dass ich „Querdenkern“ unvoreingenommen gegenüberstehe. Für vieles, was sie sagen, empfinde ich Abscheu.
Noch tiefer zielt die Frage, ob Objektivität im Journalismus überhaupt möglich ist – ein Klassiker sozusagen. Journalist/-innen sind Menschen und als solche von Haltungen, Stimmungen und Vorurteilen geprägt. Zudem verfügen wir alle nur über ein begrenztes Wissen. Objektivität nach meinem Verständnis könnte vielleicht eine Maschine aufbieten, aber kein Mensch.
Letztlich bleibt es aber allen Journalist/-innen selbst überlassen, wie „objektiv“ sie sein wollen. Vielfalt ist schließlich auch in dieser Hinsicht eine Stärke. Nur eines mag ich nicht: falsch verstandene Objektivität. Wer nach zwei Jahren immer noch von „Corona-Kritikern“ spricht, bleibt nicht objektiv, sondern verbreitet einfach Unsinn. Die sogenannten Corona-Kritiker sind vieles – Pandemie-Leugner, Neonazis, Verschwörungsfans, Demonstrierende mit Abgrenzungsproblemen zum rechten Rand – aber ganz sicher keine Menschen, die das Coronavirus in irgendeiner Form kritisieren würden.
„Meinung & Freiheit: Objektivität im Journalismus“ erschien erstmals am 29. April 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 101 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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